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WELCHE RECHTE FÜR WEN, WELCHE MITSPRACHE FÜR WEN?

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Die bürgerlichen Rechte, die politischen Rechte und die sozialen Rechte bildeten seit dem Beginn des Sozialstaats die Trias der staatlichen Zugehörigkeit, erklärte Thomas H. Marshall in seinem berühmten, 1950 publizierten Essay.5 Doch heute verlaufen die Trennlinien ganz anders: Die politischen Rechte gehören den Staatsbürgern. Die bürgerlichen Rechte, die immer mehr zu universell geschützten Menschenrechten geworden sind, gehören allen, egal, welchen Status sie in einem Land haben, denn Rede-, Versammlungs- und Meinungsfreiheit sind nicht an einen bestimmten legalen Status gebunden; viele grundlegende Rechte werden daher heute nicht mehr nur durch das Staatsbürgerrecht bestimmt, sondern auch durch Menschenrechtsvereinbarungen. Die sozialen Rechte wiederum gehören der Gruppe, die einen bestimmten, von der staatlichen Zugehörigkeit unabhängigen Aufenthaltsstatus besitzt. Wer über ein stabiles Aufenthaltsrecht verfügt, hat auf sozialer Ebene die gleichen Rechte wie ein Staatsbürger und ist im Hinblick auf AHV, Pensionskasse, Krankenkasse, Versicherungen, Arbeitslosenunterstützung, IV u. a. gleichgestellt. Alle diese Rechte waren ursprünglich geschaffen worden mit Blick auf die Staatsbürger, also auf eine klar abgrenzbare Gruppe. Heute aber gelten sie für viele weitere Menschen.

Es ist somit ein Zwischenstatus entstanden zwischen Staats- und Weltbürger, etwa «denizen»6 oder Wohnbürger7 genannt. Unter diesem Status wird ein automatischer Zugang zu sozialen Rechten auch für Nicht-Staatsbürger nach einer bestimmten Aufenthaltsdauer verstanden.8 Gleichzeitig werden aber die entscheidenden Weichenstellungen gerade im Bereich der Sozialpolitik von den Staatsbürgerinnen und -bürgern getroffen, wesentliche Teile der Betroffenen also ausgeschlossen. Das kann politisch langfristig nicht funktionieren. Immer mehr Menschen nutzen die Sozialwerke eines Landes nur für eine begrenzte Zeit, immer weniger Menschen nehmen deren Leistungen ein Leben lang in Anspruch. Die Rechte, die wir heute als Bürger und Bewohner eines Staates auf den unterschiedlichsten Ebenen haben, können daher nicht mehr als Einheit gedacht werden. Wir betonen die staatsbürgerliche Ebene der Zugehörigkeit überaus stark, nehmen die globale Ebene der bürgerlichen Freiheiten als selbstverständlich und vernachlässigen die Ebene der sozialen Rechte.

Eine unmittelbare und vollständige Gleichstellung aller Bewohnerinnen und Bewohner hat politisch keine Chancen, wie verschiedene Abstimmungen gezeigt haben. Sie dürfte aber auch gar nicht sinnvoll sein, da neu ankommende und nur zeitlich begrenzt hier lebende Menschen weder das gleiche Interesse an der lokalen Gemeinschaft haben, noch die gleiche Verantwortung tragen müssen. Sinnvoll wäre eine Abstufung, sodass die Menschen nach einer bestimmten Zeit bei lokalen Belangen, in die man sich am schnellsten einlebt, mitbestimmen können, in einem weiteren Schritt bei kantonalen und in einem dritten bei nationalen. Dies würde dem Staatsaufbau entsprechen, aber auch eine sinnvolle Entwicklungslinie vom konkreten Umfeld zu zunehmend abstrakteren Ebenen der Politik und der Gesellschaft definieren, was zugleich den Lernprozess fördern würde.

Menschen, die einige Jahre in einer Gemeinde gelebt haben, würden gemäss diesem Modell das lokale Stimm- und Wahlrecht erhalten. An Veranstaltungen würde ihnen das politische System auf lokaler Ebene vorgestellt. In enger Zusammenarbeit mit lokalen Parteien, Verbänden, Vereinen und Medien könnte zum Beispiel ein Jahrmarkt der Demokratie kreiert werden, wo sich diese Organisationen vorstellen und den Neuwählerinnen und -wählern die Möglichkeiten der Mitarbeit aufzeigen würden. Der zweite Schritt wäre eine Ausweitung auf die kantonale Ebene, wo in die Funktionsweise dieser Behörden, Parteien und Organisationen eingeführt würde, der dritte eine Ausweitung auf die nationale Ebene. Exkursionen mit aktiven Politikerinnen und Politikern, Führungen mit engagierten Bürgerinnen und Bürgern in ihrem Betätigungsfeld, Kurse zur demokratischen Bildung und weitere Anlässe, zu denen die neu Wahl- und Stimmberechtigten speziell eingeladen werden, sollten das Angebot ergänzen.

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