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a) Vernetzung der Geschichte Israels und der biblischen Schriften in der altorientalischen politischen »Großwetterlage«
ОглавлениеDie Bibliothek der Hebräischen Bibel besteht aus diversen Schriften, die in der Zeit des Zweiten Tempels zu einem Buch zusammengewachsen sind. Mit Ausnahme der meisten Psalmen (hier aber noch einmal eigens zu betrachten sind die Geschichtsspsalmen) und der Weisheitsschriften lassen sich in fast allen Büchern zeitgeschichtliche Reflexe und Bezüge aufzeigen. Dabei geht es nirgends darum, eine geschichtliche Chronik der Ereignisse zu entwerfen, als vielmehr darum, Selbstinterpretationen der eigenen Geschichte und theologische Texte unterschiedlicher Zielrichtungen vorzulegen. Alle biblischen Bücher teilen das Bekenntnis des Glaubens an Jhwh ebenso wie das Bestreben, in ihrem Zeugnis andere zu überzeugen. Die Hebräische Bibel entwirft dabei die Geschichte des Gottesvolkes eingebettet in den Anbeginn der Schöpfung der Welt zu Anfang aller Zeit (Gen 1) und ihrer Neuschöpfung am Ende der Zeiten (Jes 60,19), vom Auszug aus Ägypten über den Einzug ins Gelobte Land, über die Gründung der Staaten Israel und Juda samt deren Ende durch die Assyrer bzw. Babylonier bis zur Wiederherstellung des Jerusalemer Tempels nach dem babylonischen Exil unter persischer Protektion (Esr 1,1–6,18) und dessen Entweihung durch den Seleukiden Antiochus IV. Epiphanes (175–164 v. Chr.) durch die Aufstellung des »Gräuels der Verwüstung« (Dan 9,27; 11,31; 12,11; 1Makk 1,41–43; 2Makk 6), wobei seine Wiedereinweihung im Jahre 164 v. Chr. (memoriert im Chanukkafest) im hebräischen Kanon nicht mehr mit aufgenommen ist. Damit sind schon die wichtigsten altorientalischen Reiche genannt, die den Vorderen Orient und die Geschichte Palästinas dominiert haben: Ägypten, Assyrien, Babylonien, Persien und das Reich der Seleukiden. Die dargestellte Zeit, die Geschichten vom Exodus mit dem Zeltheiligtum bis zu dem entweihten bzw. wieder eingeweihten Tempel zur Zeit der Makkabäer erzählt, ist im Wesentlichen mit dem identisch, was man in der Archäologie Palästinas als die Eisenzeit, die babylonisch-persische und hellenistisch-römische Zeit beschreibt. Wie man unschwer erkennen kann, sind in diese Terminologie die jeweils herrschenden Großreiche mit eingeflossen, die in der Tat auch archäologisch ihre Spuren hinterlassen haben.
Schon die Anfänge »Israels« waren eng mit den Nachbarn verbunden. Wie auch immer man die genauen Vorgänge rekonstruiert,9 nicht umsonst ist die erste außerbiblische Bezeugung des Begriffs »Israel« auf einer ägyptischen Stele des Pharaos Merenptah zu finden (1208 v. Chr.),10 und einer der zentralen Ursprungsmythen der Entstehung des alten Israel, die Exoduserzählung, zentriert sich um das Reich der Pharaonen. Und auch in den folgenden Epochen setzt sich die enge Verbindung des alten Israel mit seinen näheren (Moab, Edom, Ammon, Aram-Damaskus, Tyros, Ekron, Aschdod, Gaza etc.) und ferneren Nachbarn (Ägypten, Mesopotamische und »Griechische« Reiche) weiter fort. Entweder weil die südliche Levante durch einen Feldzug umgestaltet oder auch nur in Mitleidenschaft gezogen wurde, oder weil die Königreiche Israel (Nordreich) oder Juda (Südreich) Allianzen oder Intrigen mit ihren Nachbarn schmiedeten, kollaborierten oder rebellierten, oder einfach mit ihnen Handel trieben. Auch von interkulturellen Eheschließungen weiß die Hebräische Bibel zu berichten, wenn z. B. Isaak mit Rebekka eine Aramäerin (Gen 25,20), Salomo eine Pharaonentochter (1Kön 3,1) oder Ahab mit Isebel eine Phönizierin (1Kön 16,31) ehelichen. Politische Verflechtungen zwischen Israel/Juda mit den Nachbarn spiegeln sich vor allem im Kanonteil der (Vorderen und Hinteren) Propheten, wenn die Königsbücher bestimmte Feldzüge oder Tributzahlungen notieren (2Kön 15,19f.; 738 v. Chr. Menahem von Israel zahlt dem Assyrerkönig Tiglat-Pileser III. Tribut11; 734 v. Chr. Ahas von Juda u. a. zahlen demselben König Tribut 2Kön 16,712; 722/0 v. Chr. Fall Samarias 2Kön 17,5f.13), in den Prophetenbüchern (bes. Jeremia und Jesaja) vor diplomatischer Schaukelpolitik und falschen Allianzen gewarnt wird, Fremdvölkerorakel Jhwhs Willen über die Völker bekunden (z. B. Jes 19), wenn das Prophetenbuch Nahum erleichtert über den Untergang des neuassyrischen Reichs frohlockt, wenn Jes 45,1 den Perserkönig Kyros als Messias bezeichnet, u. a. weil damit die verhasste babylonische Herrschaft ein Ende haben wird, oder auch wenn das Edikt des Perserkönigs Kyros (538 v. Chr.) gleich mehrfach überliefert wird (Esr 6,3–5; 5,14; 1,2–4 = 2Chr 36,23).
Dieser kurze Durchgang zeigt: Im 1. Jt. geriet Palästina wiederholt in die Einflusssphäre seiner expandierenden Nachbarn, die denn auch sein politisches und wirtschaftliches Geschick bestimmten. Viele der religiösen und politisch-sozialen Vorgänge innerhalb der Levante spielten für die Autoren und Redaktoren des Alten Testaments keine Rolle, da sie ihnen keine Relevanz für die Glaubensgeschichte mit Jhwh zuerkannten. Folgerichtig ließen sie sie weg oder erwähnten sie nur am Rande. Andere wurden mit klaren Bewertungen versehen oder wurden als derart bedeutend angesehen, dass sie gleich mehrfach erzählt wurden, so dass sich Doppelüberlieferungen ergeben, die unterschiedliche Perspektiven zum Ausdruck bringen. Den alttestamentlichen Theologen lag durchwegs an einer theologisch-programmatischen und nicht an einer historisch-deskriptiven Aussage. Um zu erkennen, was die jeweiligen Autoren nun in ihrer Darstellung für wichtig und was sie für unwichtig erachteten, wo sie also ihre Akzente setzten, selektierten, (ver-)schwiegen, umdeuteten oder auch wie sie ihre theologisch-programmatische Aussage gestalteten, ist es wichtig, die biblische Erzählung mit anderen Quellen zu konfrontieren, die aus derselben Lebenswelt stammen, wenn nicht gar dasselbe Ereignis oder dieselben Vorgänge zum Gegenstand haben. Nur so kann man profilieren, was genau einem biblischen Autor am Herzen lag, und was er den nachfolgenden Generationen mitteilen wollte. Das war im seltensten Fall die reine Information über das Stattfinden irgendeines Krieges in irgendeiner Stadt im Vorderen Orient, sondern der Erweis des göttlichen Heilsplans mit seinen Menschen. Die theologische Interpretationsleistung der biblischen Autoren kann vor dem Hintergrund der (Re-)Konstruktion der Ereignisse, wie sie sich unabhängig von ihrer theologischen Interpretation vielleicht »tatsächlich« abgespielt haben (was immer unter dem Vorbehalt der Hypothese bleibt), erst präzise erfasst werden (was ebenso immer hypothetisch bleibt). Das ist nicht immer möglich, da für die historische (Re-)konstruktion mit den Methoden der modernen Geschichtswissenschaft häufig die außerbiblischen Quellen fehlen, die die Vorgänge der Vergangenheit erhellen könnten. Doch wurden in den letzten Jahrzehnten in dieser Hinsicht große Fortschritte erzielt. Zum einen sind aus Palästina selbst außerbiblische Schriftzeugnisse hinzugekommen, zum anderen wird aus den Nachbarkulturen unaufhörlich neues Textmaterial bekannt, aus dem sich neue Erkenntnisse gewinnen und alte verifizieren oder falsifizieren lassen. Generell gilt: Je mehr man bereit ist, verschiedene Quellenbereiche (archäologische Befunde, biblische und außerbiblische Texte, Bilder), Methoden und die daraus erarbeiteten Interpretationen miteinander ins Gespräch zu bringen, desto differenzierter, plastischer und dichter wird die vergangene Kultur und Gesellschaft Palästinas zu beschreiben sein. Und umso besser werden wir die biblischen Autoren und ihre Schriften verstehen.