Читать книгу Die Welt der Hebräischen Bibel - Группа авторов - Страница 13
c) Vernetzung biblischer Schlüsselkonzeptionen mit altorientalischen Konzepten
ОглавлениеAn biblischen Schlüsselkonzeptionen, die mit altorientalischen und ägyptischen Konzepten in Beziehung stehen, gibt es eine breite Auswahl. Hier wären z. B. Weltbild-, Ordnungs- und Schöpfungsvorstellungen, die Bundeskonzeption, der sog. »Heilige Krieg«, Todesvorstellungen, Königsideologie, Tempeltheologie, Jurisdiktion und Gesetzgebung, Ethik, Reinheitsvorstellungen oder der große Bereich der Anthropologie zu nennen. Im folgenden Abschnitt soll es jedoch um den Bereich der Weisheit gehen, in dem das Alte Testament am stärksten an der Kultur seiner orientalischen Umwelt partizipiert. Dies gilt zunächst für die traditionelle Weisheit, die von der Vorstellung einer den Kosmos durchwaltenden Schöpfungsordnung geprägt ist, so dass sich der Mensch für ein gelingendes Leben auf feste geltende Regeln der Lebens- und Orientierungsweisheit verlassen kann: Allen voran ist dies der sog. »Tun-Ergehen- Zusammenhang«, der davon überzeugt ist, dass Tun und Ergehen eines Menschen einander bedingen. Aber auch die sog. »Krise der Weisheit«, die sich im Alten Testament in den Büchern Hiob und Kohelet niedergeschlagen hat, ist dem Alten Orient und Ägypten eng verbunden.
Weisheit ist ein internationales Phänomen, das in altorientalischen Schriften seit dem 3. Jt. v. Chr. bei den Sumerern und Ägyptern und seit dem 2./1. Jt. v. Chr. im syrisch-aramäischen Raum begegnet. Alttestamentliche Schriften, die der Weisheit zugerechnet werden, lassen sich von der Königszeit bis in die hellenistisch-römische Zeit nachweisen und stehen somit eher am Ende einer Jahrtausende alten Traditionsbildung. Zwischen allen altorientalischen Texten (hierin nun die biblischen eingeschlossen) lassen sich analoge Themen, Motive, Strukturen und Sprachformen erkennen. Gattungen, denen die Weisheitsbücher des TNK sowie die von weisheitlichen Sprach- und Denkmustern geprägten Abschnitte in den übrigen Kanonteilen (z. B. Josefsgeschichte) angehören, haben in Mesopotamien und Ägypten (aber auch Griechenland) Parallelen. Die Frage nach einer möglichen Abhängigkeit alttestamentlicher Texte von der Umwelt stellt sich bei der Vergleichslektüre jedes einzelnen Textes immer wieder neu. Ebenso die, wie man sich die Verbindung und Kontakte altisraelitischer Weisheitskreise und -lehrer zu mesopotamischen und ägyptischen Weisheitstraditionen und -lehrern vorzustellen hat. Wer hat wann von wem was gehört oder gelesen? Die Beziehungen zwischen weisheitlichen Texten unterschiedlicher Herkunft sind nicht alle gleich, sondern sehr unterschiedlich komplex. In den meisten Fällen handelt es sich um motivische und thematische Anklänge, die sich damit erklären lassen, dass die Texte in einem gemeinsamen Lebensraum im östlichen Mittelmeergebiet entstanden sind, in dem die Menschen seit dem 3. Jt. v. Chr. dasselbe Weltbild und dieselbe weisheitliche Wirklichkeitsauffassung teilten. Zudem ist es eben so, dass die Weisheit die Grundfragen menschlichen Lebens reflektiert, die zu einem erheblichen Teil ja doch interkulturell und überindividuell identisch sind (z. B. Tod, Leid, Krankheit, Grenzen menschlicher Erkenntnis, Ethik u. v. a.). Im Kontext vergleichbarer gesellschaftlicher und auch geistesgeschichtlicher Gegebenheiten und Veränderungen konnten in verschiedenen Regionen auch unabhängig voneinander analoge Themen- und Motivkomplexe, Konzepte sowie Fragen oder auch ihre Antworten entwickelt werden. Diskurse über dasselbe Thema konnten daneben aber auch sehr unterschiedlich intensiv und mit unterschiedlichen Ergebnissen miteinander geführt werden, so dass sich keine allgemeine Regel der interkulturellen altorientalischen Interaktion formulieren lässt.
Mit am eindeutigsten besteht eine literarische Abhängigkeit zwischen der ägyptisierenden Lehre in Spr 22,17–23,11 und der aus dem 12. Jh. v. Chr. stammenden ägyptischen Lehre des Amenemope19, die in Abschriften und Zitaten bis in das 2. Jh. n. Chr. überliefert und rezipiert wurde. Es bestehen inhaltliche und strukturelle Parallelen.20 So entspricht beispielsweise Spr 22,17 dem Anfang des ersten Kapitels von Amenemope. Nach der Einleitung beginnen die Weisungen zum Schutz des Schwachen in Spr 22,22 mit einer Parallele zum Anfang des zweiten Kapitels von Amenemope, mit dem dann der Hauptteil des Buches anfängt. Zudem haben fast alle Verse in Spr 22,17–23,11 eine Entsprechung im ägyptischen Text.
Wann die ägyptische Lehre in der biblischen Form verfasst und ins Sprüchebuch integriert wurde, ist nicht eindeutig geklärt. Notwendigerweise stand am Anfang eine Übersetzung des ägyptischen Texts ins Hebräische, doch werden teilweise zwischen dieser ersten Vorlage und der in Spr vorliegenden Textfassung mehrstufige Überlieferungsprozesse diskutiert. Bei allen bislang offenen Fragen, wenn man die beiden Texte nebeneinander legt, wird schnell klar, dass die ägyptische Lehre charakteristisch modifiziert wurde, da sie mit ihrer Ausrichtung des Handelns am Rechtsmaßstab Jahwes »jahwisiert« wurde. Jhwh selber nimmt sich nun der Armen, Witwen und Waisen an (Spr 22,19.23; 23,10f. [mit Textkonjektur]), wobei insbes. Spr 22,19 als Einleitung mit dem Hinweis auf Vertrauen zu Jhwh die folgenden Lehren religiös bzw. jahwistisch motiviert. Der Verfasser von Spr 22,17–23,11 hat das Material aus Amenemope also mit großer dichterischer Freiheit verwendet und es seinen Intentionen entsprechend neu gestaltet.
Thematische (aber keine wörtlichen) Übereinstimmungen bestehen zwischen dem Hiobbuch und anderen altorientalischen Texten, die sich mit dem Thema des leidenden Gerechten, der Theodizee und der Infragestellung des Tun-Ergehen-Zusammenhangs auseinandersetzen.21 Zu nennen sind aus dem mesopotamischen Bereich die sumerische und babylonische Version »Ein Mann und sein (persönlicher) Gott« (2200 bzw. 1700 v. Chr.), die sog. »babylonische Theodizee« (ca. 1200–1100 v. Chr.)22 und das große Dankgebet an Marduk »ludlul bel nemeqi« (»Preisen will ich den Herrn der Weisheit«; ca. 1300 v. Chr.)23. Doch auch aus Ägypten gibt es Vergleichbares in den »Mahnworten des Ipu-wer« (ca. 2200–2040 v. Chr.)24, dem Gespräch des Lebensmüden mit seinem Ba (Ende 2. Jt. v. Chr.)25, den Harfnerliedern (16.–11. Jh. v. Chr.)26 oder den »Klagen des Bauern«,27 der sein Recht einfordert. Unter der aramäisch überlieferten Literatur aus dem 1. Jt. v. Chr. ist insbesondere noch der Achiqar-Roman28 zu nennen, der wie das Hiobbuch eine rahmende Erzählung mit Weisheitssprüchen verknüpft. Motivparallelen zum Koheletbuch, insbes. dem dort belegten carpe diem-Motiv, finden sich u. a. in den schon erwähnten Harfnerliedern. Allerdings sind bei der Interpretation des Koheletbuchs auch hellenistische Texte (z. B. Gnomik) mit einzubeziehen.
Aufs Ganze gesehen lässt sich innerhalb der alttestamentlichen Weisheit eine Entwicklung beobachten, die von einer Alltags- oder Lebensweisheit mit eher impliziter religiöser Fundierung (wie sie im gesamten Orient vorzufinden ist) in der nachexilischen Zeit zu einer theologisch reflektierten Weisheit führt. Diese theologisierte Weisheit, die zumeist in Oberschichtskreisen verortet wird, tritt uns vor allem im schon erwähnten Hiobbuch und in Spr 1–9 entgegen. Diese Theologisierung der Weisheit ist charakterisiert durch die ausdrückliche Begründung weisheitlicher Lebensregeln mit dem Handeln, Wesen und Willen Jhwhs. Der Fokus liegt nun auf der Gottesfurcht, dem individuellen Gottesverhältnis und der (Tora-orientierten) vorbildlichen Ethik, die den Weg des Menschen für ein gelingendes Leben bestimmen sollen. Dazu kommt die Vorstellung von der Personifikation der Weisheit (Frau Weisheit Spr 9) als Mittlerin der Offenbarung Jhwhs, die in ihr Haus einlädt und dem Weisen/Gerechten den Weg des Lebens zeigt. Ihre Gegenspielerin ist Frau Torheit, deren Haus den Eintretenden geradewegs in die Unterwelt befördert. Der Weise wird damit denn auch mit dem Gerechten identifiziert, wohingegen der Tor den Gottlosen bezeichnet. Der wahre Weise ist somit der, der sein Leben an der Tora ausrichtet.
Den Bogen zwischen Weisheit und dem Pentateuch29 schließlich schlagen z. B. die späten, post-deuteronomistischen Zusätze zum Buch Deuteronomium. Sie spiegeln die Tendenz der Verbindung von Weisheit und Gesetz in entsprechender Weise, wenn die Gesetzesbefolgung mit weisheitlicher Lebensführung identifiziert wird, so dass die Nachbarvölker Israel als ein weises und verständiges Volk erkennen und preisen (Dtn 4,6):
So haltet sie nun und tut sie! Denn dadurch werdet ihr als weise und verständig gelten in den Augen der Völker, wovon gilt, wenn sie alle diese Gebote hören, werden sie sagen: Wahrlich, was für ein weises und verständiges Volk, (ist doch) diese große Völkerschaft.
Dtn 4,6–8 positioniert das Gottesvolk im Kontext der Nachbarvölker und benennt seine Besonderheiten aus der eigenen Perspektive heraus, wie sie sich dem spät-nachexilischen Schreiber darstellten: Diese sind in der besonderen Nähe des Gottesvolks zu Gott gegeben sowie im Besitz der gerechten Weisungen und Gebote der Tora, die Mose dem Volk am Horeb gab und die auch den anderen Völkern als »weise und verständig« erscheinen werden.
Damit ist auf den Punkt gebracht, was am Ende einer langen religions- und theologiegeschichtlichen Entwicklung stand: Gegenüber dem in der vorderorientalischen Umwelt üblichen Polytheismus setzte sich im alten Israel sukzessive die Überzeugung von einem einzigen Gott durch, der von der Welt als seiner Schöpfung wesensmäßig unterschieden und bildlos zu verehren ist. Mit dem Monotheismus wurde zugleich ab der exilischen Zeit eine Universalisierung der Geschichte und des Wirkungskreises Jhwhs verbunden, ohne die unverbrüchliche Bindung Jhwhs an sein von ihm erwähltes Volk aufzugeben. Mit diesem verbinden ihn eine lange gemeinsame Geschichte, besondere Nähe und vor allem die Tora.
Über Wirkungs- und Rezeptionsgeschichte gründeten sich Judentum und Christentum auf dieses Fundament und bezogen die gleichen Texte in den Kanon ihrer heiligen Schriften ein, für die bis heute Gültigkeit beansprucht wird. Die Entscheidung christlicherseits, dem Neuen Testament das Alte – in griechischer Übersetzung und in teilweise anderer Anordnung, gegenüber dem hebräisch-aramäischen Textbestand aber ungekürzt – voranzustellen, entspricht der grundlegenden Bedeutung des Alten Testaments, das auch das Erbe des Alten Orients weiter getragen hat.