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2. Die Forschungsgeschichte

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Mit den Ausgrabungen in Babylon und der Auffindung und Entzifferung der großen babylonischen Weltschöpfungsepen gerieten babylonische Literaturwerke am Ende des 19. und zu Anfang des 20. Jh.s in den Fokus biblischer Forschung. Das babylonische Weltschöpfungsepos Enuma Elisch wurde mit der Schöpfungserzählung, das Gilgamesch-Epos mit der Sintflutgeschichte verbunden. Der Vergleich erbrachte: Die biblische Schöpfungserzählung in Gen 1,1–2,4a wie die Sintflutgeschichte in Gen 6–9 haben in der babylonischen Literatur Entsprechungen und teilen mit ihr diverse Motive, Konzepte und Abläufe. Da relativ schnell klar war, dass die babylonischen Texte die älteren waren, konnte die vermutete Abhängigkeit der verwandten Texte aus Israel und Babylonien nur dahingehend erklärt werden, dass die biblischen Texte auf den babylonischen aufbauten und nicht etwa umgekehrt. Ein wichtiger Meilenstein war Hermann Gunkels Buch »Schöpfung und Chaos in Urzeit und Endzeit« aus dem Jahr 1895. Nach seinen Einsichten geht die biblische Schöpfungserzählung von Gen 1 auf das babylonische Epos zurück, welches in der »vorprophetischen Zeit« nach Israel gekommen sei. Von den Babyloniern habe man somit sehr viel gelernt. Dieses babylonische Wissen sei aber erst in Israel »mit israelitischen religiösen Gedanken durchdrungen« worden.6 Das babylonische Wissen habe sich inzwischen als Irrtum erwiesen, wohingegen die religiösen Gedanken Israels die babylonischen Mythen eigenständig so umgestaltet hätten, dass sie nach wie vor Grundlage christlichen Glaubens sein können. Noch stärker auf diesen Pfaden wandelte Friedrich Delitzsch, der mit seinen beiden Vorträgen der Jahre 1902 und 1903, die er unter dem Titel »Babel und Bibel« publizierte (und denen sich ein dritter Vortrag 1904 anschloss), den gleichnamigen Streit provozierte. Ihm zufolge stammen zentrale biblische Gedanken und Konzepte aus Babylonien und wurden durch die Entlehnung in das Alte Testament umgegossen und »monotheisiert«. Die Präferenz, die er Babylonien als der älteren, klareren, moralisch-ethisch und kulturell höher stehenden Kultur gab, und der während der Jahre durch Vertreter des sog. Panbabylonismus sich steigernde Eifer, überall in der Hebräischen Bibel babylonische Vorlagen zu entdecken, so dass den biblischen Texten, die als eine jüdische Adaptation der babylonisch-assyrischen Texte angesehen wurden, kaum noch Eigenwert und Originalität zukam, führte schnell zu einer Abwertung des Alten Testaments. Delitzsch selbst hatte anfangs keinen Zweifel daran zugelassen, dass er die weltgeschichtliche Bedeutung des Alten Testaments im Monotheismus sah, wohingegen Babylonien immer polytheistisch geblieben sei.7 Allerdings wurden seine Urteile über das Alte Testament im Laufe seines Lebens immer unsachlicher, antijudaistischer und schärfer, so dass er 1920 klar formulierte, dass das Alte Testament »für die christliche Kirche und damit auch für die christliche Familie vollkommen entbehrlich« sei.8 Schon der erste Vortrag hatte in der Folge eine breite und z. T. sehr emotional geführte öffentliche Diskussion ausgelöst, da besonders konservative christliche und jüdische Kreise die heilsgeschichtliche Bedeutung der Bibel und ihren Offenbarungsgehalt in Frage gestellt sahen. Schon 1904 war das öffentliche und kaiserliche Interesse an Delitzsch jedoch deutlich zurückgegangen. Allerdings verschärften die Vertreter des Panbabylonismus die Auseinandersetzung um das Alte Testament, die immer stärker antijüdische und antisemitische Züge annahm.

Nach nun mehr als 100 Jahren nach dem Babel-Bibel-Streit kann als Konsens betrachtet werden, dass lineare literarische Abhängigkeiten alttestamentlicher Texte von mesopotamischen, ägyptischen, syro-aramäischen (oder aber auch von den ab 1928 entdeckten ugaritischen) Texten nur in wenigen Ausnahmen (s. u.) mit Sicherheit festgestellt werden konnten. Was jedoch sehr klar herausgearbeitet werden konnte, ist, wie stark die Hebräische Bibel in Themen, Motiven, Konzepten, Vorstellungen und Abläufen ihrer altorientalischen Welt verpflichtet und verhaftet ist. Die biblischen Autoren brauchten keine mesopotamische oder ägyptische literarische Vorlage, um ihre eigenen Literaturen zu schreiben. Sie waren Teil der altorientalischen Welt, in der bestimmte Motive, Themen und Konzepte zum kollektiven Gedächtnis gehörten, und sie schöpften aus diesem Fundus, um ihre Gedanken in literarische Werke zu fassen. Sie waren dabei eigenständige Schöpfer ihrer Texte, so dass Kategorien wie »entlehnen«, »umgießen«, »kopieren«, »abschreiben« oder gar »fälschen« einfach nur falsch sind. Dass sich bei ihrer Arbeit Anklänge und Übereinstimmungen mit babylonischen, assyrischen, ägyptischen u. a. altorientalischen Literaturwerken und -gattungen ergeben, ja sogar Zitate und Namensgleichheiten möglich sind und man auch dieselbe Bildsprache verwendet, liegt in der Natur der Sache. Wer die Lebenswelt (z. B. die Wüste als Grenzgebiet), den Klima-, Sprach- und Wirtschaftsraum, dieselben kulturell-sozialen Parameter (z. B. Geltung des Gastrechts, Hochschätzung von Tradition, Königtum als Regierungsform, Schultexte), anthropologischen (z. B. patriarchale Strukturen) und religiösen Grundüberzeugungen (z. B. Bestrafung von Sünde durch Gott/die Götter, Gesetzgebung gründet in Gott/den Göttern, Bedeutung der »Weisheit« s. u.) miteinander teilt, teilt auch die Motive, Themen und Konzepte, die in diesem Kulturraum heimisch sind. Die Fragen mögen dabei oft dieselben sein, die Antworten sind es jedoch bei genauem Hinsehen eben gerade nicht.

Die Welt der Hebräischen Bibel

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