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1. Der Rahmen
ОглавлениеDas Alte Testament, die hebräisch-aramäische Bibel (TNK)1, ist eine altorientalische Bibliothek in hebräischer (und z. T. aramäischer) Sprache. Als Sammlung verschiedener Literaturwerke, die aus dem Alten Palästina des ersten vorchristlichen Jahrtausends kommen und dort tradiert wurden, kann das auch nicht anders sein. Denn Palästina verbindet als Landbrücke Nordafrika und Vorderasien, was konkret heißt, dass die Heimat des Alten Testaments mitten am Westrand des Alten Orients liegt: Im Süden grenzt Palästina an Ägypten, im Norden liegen Syrien und Anatolien, im Westen blühen die Küstenstädte, die in der südlichen Levante zu dieser Zeit unter philistäischer, in der nördlichen Levante unter phönizischer Herrschaft waren; auch Zypern, Kreta und »die Inseln« des Mittelmeers können als westliche Nachbarn betrachtet werden. Im Osten schien Mesopotamien vielleicht geographisch weit entfernt gelegen, jedoch bildeten sich dort im ersten vorchristlichen Jahrtausend große, expansive und international agierende Imperien, die von Norden kommend, mit ihren Armeen die syro-palästinische Landbrücke betraten (Assyrer, Babylonier, Perser).
Die besondere geographische Lage in einem Korridor brachte es für Palästina frühzeitig mit sich, dass die benachbarten Reiche, die sich weit vor den Staatenbildungen in Palästina2 konsolidiert hatten, immer wieder wirtschaftlich, politisch und militärisch auf diese strategisch wichtige Region ausgriffen, zumeist, um sich einen Zugang zum Mittelmeer zu verschaffen und/oder um Ägypten zu erobern. Beides versprach reiche Beute und war daher sehr lukrativ.
Palästina selber war im ersten vorchristlichen Jahrtausend keine unabhängige, selbstverwaltete politische Einheit, sondern entweder in kleine regionale Einheiten als Einzelstaaten mit wechselnden Allianzen zerstückelt, oder (und zum Teil auch gleichzeitig) in Vasallenstaaten, Provinzen oder Kolonien unter der Regie einer benachbarten Großmacht aufgeteilt. Diese Oberherrschaften bzw. Gebietsaufteilungen in der südlichen Levante wechselten sich leicht zeitverzögert zum Aufstieg und Untergang der jeweiligen Machthaber oder Reiche mit Expansionsambitionen ab. Im Zuge dieser fremdherrschaftlichen Dominanzen fanden sich auf palästinischem Boden schon spätestens seit dem 3. Jt. v. Chr. Ägypter, ab dem Ende des 2. Jt.s v. Chr. »Seevölkergruppen« (darunter die Philister aus der Ägäis), etwas später dann Aramäer aus dem Norden3, Assyrer, Babylonier, Perser, und zuletzt noch Griechen und Römer ein. Nicht nur politische Fremdherrschaften und Gebietsansprüche beeinflussten die kulturelle und religiöse Entwicklung Palästinas nachhaltig, sondern auch Handelskontakte mit den verschiedenen Nachbarn, z. B. den philistäischen Stadtstaaten der südlichen Küstenregion, den phönizischen Stadtstaaten der nördlichen Küstenregion, den Bewohnern Zyperns, Griechenlands oder den nord- bzw. südarabischen Stämmen. Palästina hat selber außer dem Mittelmeer im Westen keine natürliche Grenze, denn die Grenzen zu den unmittelbaren Nachbarregionen darf man sich nicht allzu abgeschlossen und scharf vorstellen: Die Übergänge zu den Steppen- und Wüstenregionen des Negev und dem (Palästina nicht zuzurechnenden) Sinai im Süden, im Osten zur jordanischen Wüste oder im Norden zur Küstenregion des heutigen Libanon oder zum heutigen Syrien waren fließend. Auf diesem Hintergrund wird deutlich, dass Palästina als Schwellen- und Durchgangsland mit »offenen Grenzen« die besten Voraussetzungen dafür bot, dass für die dortige Bevölkerung interkulturelle Begegnungen, Hochzeiten und entsprechend auch Mehrsprachigkeit an der Tagesordnung waren, insbesondere dann, wenn man als Händler auf Kontakte und Netzwerke angewiesen war oder an einer der zentralen Straßen (z. B. der sog. Via maris) wohnte. Aus dem Gesagten ist deutlich, dass die politische, die Sprach-, Kultur-, Sozial-, Religions- und Theologiegeschichte Palästinas eng mit den Vorgängen und Entwicklungen im Land, jedoch auch mit denen in der näheren (syrisch-phönizisch-arabischen) oder ferneren (ägyptisch-mesopotamisch-griechischen) Umgebung vernetzt waren und ohne Kenntnis derselben nicht sachgemäß beschrieben und verstanden werden können.
Die Heimat des hebräischen (und aramäischen) Alten Testaments, des TNK, liegt wie gesagt im Alten Orient. Der Alte Orient ist damit der Verstehenshorizont des Masoretischen Texts, wovon u. a. auch zahlreiche Lehnworte aus den dem Hebräischen verwandten Sprachen (z. B. dem Aramäischen, Akkadischen, Arabischen) zeugen. Für die griechische Übersetzung des Alten Testaments, die Septuaginta (LXX)4, gilt dies nicht in gleichem Maße. Hier ist auch die griechische Antike mit einzubeziehen. Grundsätzlich ist jede Übersetzung eine Interpretation des Übersetzers und daher von seinem Vorwissen und Kontext, seinen philologischen Kompetenzen, stilistischen Präferenzen und theologischen oder didaktischen Intentionen abhängig. Dies ist auch bei der LXX so, die auf die neue Situation des Judentums in der hellenistischen Zeit reagierte und den hellenistischen Juden ihre normativen Schriften in der inzwischen üblichen griechischen Sprache vorlegte. Sie stellte also für das Gemeinde- und Schulleben des hellenistischen Judentums eine enorme Erleichterung dar. Zugleich wurde durch sie die Hebräische Bibel zum ersten Mal der griechischen Welt vorgestellt. Die Übersetzung der biblischen Bücher begann mit der Tora wohl in der 1. Hälfte des 3. Jh.s v. Chr. in der zumeist Griechisch sprechenden, jüdischen Diasporagemeinde in Alexandria, wohingegen erst im Laufe der folgenden zwei Jahrhunderte die übrigen Bücher sukzessiv folgten (s. Prolog zu Jesus Sirach um 132 v. Chr., der das Gesetz, die Propheten und manche der Schriften in ihrer griechischen Version kennt). Es gab verschiedene Übersetzer, die mit unterschiedlich guten Sprachkompetenzen in der Ausgangssprache (dem Hebräischen und Aramäischen) und der Zielsprache (dem Griechischen) ausgestattet waren. Dies spiegelt sich darin, dass die Übersetzungsqualität der einzelnen Bücher recht unterschiedlich ist. Aus dieser Entstehungsgeschichte und dem Kontext der Übersetzer ergibt sich schon, dass die Septuaginta, ebenso wie der TNK, eine Bibliothek ist, wenngleich in griechischer Sprache. Sie ist aber weniger eindeutig altorientalisch als vielmehr stärker ägyptisch (s. Alexandria) als auch eben hellenistisch beeinflusst. Damit sind die Akzente deutlich verschoben, und hellenistische Elemente (z. B. griechisches Weltbild, griechische Philosophie) wurden bei der Übersetzung in die Texte mit eingetragen. Es kam somit zu einer Akzentverschiebung in Richtung auf die Aufnahme von Diskursen mit der hellenistischen Welt, faktisch also zu einer Hellenisierung des AT. Doch dies kann im Folgenden außer Betracht bleiben; wir konzentrieren uns ganz auf den Zusammenhang zwischen Hebräischer Bibel und Altem Orient.5