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1.Theologie mit Gefühl? 14
ОглавлениеDie Emotionalität ins Spiel zu bringen, ist auf dem Feld der Homiletik (wie überhaupt in der Theologie) nicht selbstverständlich. So findet sich das Stichwort „Gefühl“ in der 3. Auflage des LThK überhaupt nicht mehr. In der 2. Auflage war zumindest noch das Stichwort angegeben – mit dem Verweis auf Affekt und Gefühl. Unter dem Stichwort „Gefühl“15 wird darauf verwiesen, dass im allgemeinen Sprachgebrauch Gefühl, Affekt und Emotion synonym verwendet werden, wobei der Mensch im Unterschied zum Denken, das eine Form der Vergewisserung darstellt, im Gefühl etwas in Bezug auf sich selbst lernt. Und während ethisch das Denken als Ort des Meinens und Urteilens und das Wollen als Ort der Handlungsausführung gesehen werden, betrachtet man das Gefühl als jene Kraft, die es braucht, damit letztlich das objektiv Gute eine Herrschaft über den Willen gewinnt. Gott erspürt man nämlich leichter mit dem Herzen als mit der Vernunft.16
Diese Gefühlsebene ist es nun aber, die für unser gegenseitiges Verstehen zentral ist. Psychologisch spricht man hier von der sogenannten „Verstehenspyramide“:17
Abb. 118
Hiermit wird deutlich, dass ein Großteil des Verstehens im Unterbewusstsein geschieht, wo unser Gefühl, unsere Wünsche und Interessen bzw. auch unsere Grundantriebskräfte (Selbsterhaltung, Selbstentfaltung, Selbstbestimmung) liegen.19
Auch andere Rhetorikhandbücher verweisen auf die Bedeutung der Gefühlsebene für die Überzeugungskraft einer Rede:
„Die Wirksamkeit von Argumentations-Ketten, in denen nicht nur Verstand und Wille, sondern auch das Gefühl angesprochen werden, ist unbestritten.“20
Wenn ein Hauptziel der Verkündigung darin besteht, Menschen in ihrer Erfahrungswelt zu erreichen und ihnen Horizonte des Reiches Gottes darinnen zu zeigen oder zu eröffnen, so darf dabei die Ebene der Emotionen nicht missachtet werden. Engemann beklagt zu Beginn seiner Einführung in die Homiletik zu recht, dass „die Wahrnehmung der Lebenswirklichkeit der Hörer einen auffallend spärlichen Raum“21 einnimmt in den landläufigen Predigten – und dies nicht nur in den stärker biblisch ausgerichteten Predigten der protestantischen PredigerInnen. Die Bedeutung der Gefühle greift Engemann unter der Überschrift der „psychologischen und soziologischen Probleme“ auf: „Der Predigt eignet wie jeder sprachlichen Äußerung das Vermögen, sowohl Empfindungen (des Redenden) anzuzeigen als auch auf Seiten der Hörer auszulösen.“22
Er sieht aber die Problematik der Differenz zwischen den Gefühlen des Predigers, seinen Intentionen – und dem, was er tatsächlich im Hörer auslöst. Als Missstand benennt er zu Recht, dass häufig von der Kanzel her bestimmte Befindlichkeiten anempfohlen und unvermittelt aus der eigenen Rede abgeleitet werden. Dies aber setzt das Missverständnis voraus, dass eine Predigt schon in der Form der Aussage bzw. der Aufforderung auch auf der emotiven Ebene das herbeiführen könnte, wovon sie spricht. Nur weil ich von etwas Tröstlichem spreche, müssen die ZuhörerInnen noch nicht getröstet aus dem Gottesdienst gehen. Es gibt aber sehr wohl Ansätze, die diesen Aspekt der Emotionalität positiv und kreativ aufgreifen. Einer davon ist jener von Harald Schroeter-Wittke,23 der unter dem Aspekt der „Unterhaltung“ versucht, Predigten so zu gestalten, dass die Menschen nicht nur auf der Verstandesebene, sondern auch auf der emotionalen Ebene erreicht werden, ohne aber dabei die Gefahr zu übersehen, zur billigen Unterhaltung zu werden.
Für eine Theologie, die weitergegeben, verkündigt werden will, ist somit das Beachten der emotionalen Ebene unumgänglich. Einer Wort-Verkündigung stehen dazu vor allem rhetorische Mittel zur Verfügung. Daher ist es nicht verwunderlich, dass die Emotionalität bereits in der klassischen Rhetorik eine wichtige Rolle spielte.