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4.Freud und Leid, Lust und Last des Predigens

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Nembach zitiert hinsichtlich des Leidens an der Predigtarbeit einen Pfarrer aus dem Roman „Der Vater“ von Jochen Klepper:

„Die Woche flog ihm hin wie Spreu im Winde, und er quälte sich täglich bis zur Nacht mit seiner Predigt für den Sonntag; und wenn er sie dann hielt, war sie so kurz, daß in seinem Gottesdienst nicht nötig wurde, die von Majestät verordnete Sanduhr auf den Rand der Kanzel zu stellen. Seine Rede war knapp; seine Sprache war schwer; Himmel und Erde und der Abgrund, der im Menschen ist, war in seiner Predigt aufgerissen. Er mühte sich die wenigen Worte ab; so schwer war es ihm, den Menschen die Botschaft von Gottes Gnade zu bringen; …“.38

Wer von der Freude der Verkündigung spricht, darf das Leiden am und mit dem Verkündigen nicht außer Acht lassen. Dieses findet sich prominent bereits im Alten Testament. Thomas Hieke bezeichnet es als „kleines Wunder“39, dass die Bibel auch die Schwächen von Verkündigern überliefert, wie z.B. jene des Jeremia: Zorn, Frustration, Klage. Die biblischen Verkündiger (vor allem die Propheten) sind emotional. Sie nehmen den Verkündigungsauftrag persönlich und leiden mit der Erfolgslosigkeit ihrer Predigten mit.

Jeremia ist kein fundamentalistischer, unantastbarer Unheilsprophet, sondern er leidet an seiner Botschaft – und gerade seine eigene Betroffenheit und Emotionalität machen ihn „‘echt‘ und ‚authentisch‘“40. Angesichts der Verkündigung des Jeremia ist es jedoch auch heute PredigerInnen „erlaubt, Frustrationen, Enttäuschungen, Missmut und Selbstmitleid vor Gott an- und auszusprechen. … Jeremia hat seiner Klage freien Lauf gelassen – ihm darf sich anschließen, wen die ‚Ohnmacht der Verkündigung‘ verzweifeln lässt.“41

Und Hieke stellt die wichtige Frage: Warum ist Verkündigung mitunter auch eine Last? Seine Antwort, ausgehend vom Propheten Jeremia, lautet: „Das Problem Jeremias ist das Grunddilemma jeglicher Rede von Gott: Ist sie angesichts der Unanschaulichkeit Gottes überhaupt möglich?“42 Die Verkündigung eines Gottes, der nicht (be-)greifbar ist, stellt vor das Problem, das Unaussprechliche zur Sprache zu bringen.

Hieke betont jedoch den entscheidenden Unterschied der Verkündigungssituation des Jeremia, der „Vernichtung und Unheil“ ankündigen musste, zur Verkündigung der „Frohen Botschaft“ in der christlichen Verkündigung heute.43

Dass Predigen auch zur Last (für die PredigerInnen) werden kann, kann unterschiedlichste Gründe haben: Das Fehlen von persönlicher Begeisterung für die Glaubensweitergabe; mangelnde Resonanz auf Predigten von Seiten der HörerInnen; Zeit- und Ideenmangel in der Predigtvorbereitung; die Herausforderung, häufig zu ganz unterschiedlichen Anlässen zu predigen etc.

Erich Garhammer sieht das Leiden aber als Herausforderung, diese Emotionen zu benennen – denn keiner kann auf alle Fragen des Lebens Antworten bieten:

„Predigt verfügt über kein Passepartout für alle Eventualitäten des Lebens, sondern fordert lebensnahe, erstrittene und auch erlittene Konkretion. ‚Zeige deine Wunde‘ ist nicht nur ein Programmwort eines Kunstverständnisses (Josef Beuys), sondern könnte auch Leitfaden der eigenen Predigtpraxis sein.“44

Und auch Ulrich Nembach stellt die Frage: „Warum sprechen Hörer und Prediger nicht über ihr Leid an der Predigt?“ Er thematisiert das Problem anhand des Begriffs „Mit-Teilung“: Er meint, dass es in der Predigt darum geht, sich mitzuteilen und auch teilzugeben an der eigenen Freude. Mitteilung aber wird zumeist mit Information verbunden; die „Gemeinschaft, die zwischen den Teil-Gebenden und –Nehmenden entsteht, kommt nicht in den Blick.“45 Beim Brechen des Brotes, bei diesem Teilen, wird die Gemeinschaft sichtbar. Daher möchte Nembach auch die Predigt als Geschehen des „Teil-Gebens und Teil-Nehmens“ sehen, und nicht der Mit-Teilung. „Teilen vollzieht sich in den biblischen Texten als Anteil-Geben und -Nehmen an Leid und Freud.“46

Nembach baut in weiterer Folge seine ganze Homiletik anhand von Leid und Freud auf: „Leid und Freud begegnen sich zunächst in der Predigt, wandeln sich zu solchen mit der Predigt und werden schließlich zur Möglichkeit des Teilens.“47 Und er stellt (1996) fest, dass Arbeiten zum Leid der Prediger fehlen.48 „Auch die praktische Theologie nimmt das Leid der Prediger nicht wahr.“49 Fast 20 Jahre später stimmt dieser Befund leider immer noch: Es gibt meines Wissens außer den Klagen über (schlechte) Predigten keine Arbeiten, die sich mit dem Leid der PredigerInnen beschäftigen würden (genauswenig übrigens wie über das Leiden mit den Predigten – und über das Thematisieren des Leides der Welt in den Predigten).

Es geht somit um die Frage, wie Leid und Freud, wie Emotionen, in der Predigt selbst thematisiert und aufgegriffen werden; wie Emotionen vorkommen und wie emotional die Predigten sein sollen und dürfen.

Emotionen, Freud und Leid, sind aber nicht einfach mit dem „Amen“ nach der Predigt abzustellen und abgeschlossen, sondern wirken weiter. Für mich bedeutet dies, dass zur Emotionalität der Predigt auch gehört, dass es über die Predigt einen Austausch gibt – und zwar vor der Predigt, aber auch danach: am Kirchplatz, in Bibelrunden, in E-mails oder in persönlichen Gesprächen.

Die Aussage „Schön haben Sie gepredigt, Herr Pfarrer!“ ist ja ein erster Schritt dazu; sie zeigt (wenn sie ehrlich gemeint ist), dass auf der Gefühlsebene jemand erreicht worden ist. Wenn aber ein Prediger/eine Predigerin ihre persönliche Glaubensüberzeugungen, ihre eigenen Erfahrungen und damit auch viel Emotion in die Predigt hineingelegt haben, dann eröffnet sich die Erwartungshaltung einer Reaktion auf der anderen Seite. Dabei ist dies aber nicht nur etwas, was von Seiten der Hörenden zu erwarten ist, sondern auch von Seiten der Predigenden aktiv angestoßen werden kann.

Wie heute predigen?

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