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5.Keine Predigt ohne Emotion!
ОглавлениеDer Altmeister evangelischer Predigtlehre, Rudolf Bohren, beschreibt in seiner Predigtlehre die Freude am Predigen als eine seiner Leidenschaften:
„Vier Dinge tue ich leidenschaftlich gerne: das Aquarellmalen, das Skilaufen, das Bäumefällen und das Predigen … Predigen ist schön, es macht Freude. Das ist das erste, was in einer Predigtlehre zu lehren ist.“50
Predigen als Leidenschaft ist zwar noch keine Garantie dafür, dass die Predigt gelingt; die persönliche Freude und Begeisterung an der Verkündigung eröffnen aber jedenfalls leichter jene Räume der Kommunikation, wo bei Zuhörenden nicht nur der Verstand, sondern auch das Herz angerührt, bewegt wird. Erkenntnis (Verstand) und Gefühl gehören ja in einem ganzheitlichen Verständnis des Menschen untrennbar zusammen.
Die Analyse der klassischen Rhetorik hat gezeigt, dass Emotionen einen wesentlichen Aspekt der Kommunikation ausmachen; zugleich wird damit aber auch deutlich, dass sie nicht instrumentalisiert werden dürfen, um eigene Ziele zu erreichen. Vielmehr gehört es zur Authentizität der PredigerInnen, mit den eigenen und fremden Emotionen nicht zu spielen.
„Im Blick auf den pathos muss der Prediger eine ‚emotionale Garantie‘ gewährleisten, er oder sie hat für die Echtheit von Gefühlen und Appellen an das Gewissen einzustehen.“51
In ähnlicher Weise betont Klaus Müller die Bedeutung der Emotionalität als „viertes Instrument“52 der Redekunst, warnt aber zugleich davor, sie gewissermaßen „anlernen“ zu wollen und zu intensiv einzusetzen. „Eine Überbeanspruchung emotionaler Mittel verunklart die Sache und manipuliert die Hörer“53.
Keine Predigt kommt ohne Emotionen aus – nur wird es in manchen expliziter, in manchen impliziter erfolgen. Eine neuere Form, Emotionen explizit zum Thema zu machen und auch zu versprachlichen, ist der Bibliolog. Dort sind die „unterschiedlichen Rolleninszenierungen, -phantasien, -imaginationen das zentrale Experimentierfeld. Die körperlich wahrnehmbaren Gefühle und Gedanken rücken ins Zentrum und können verbalisiert werden.“54
Vor allem das Einbringen von (persönlichen) Erfahrungen und Betroffenheiten, das Erzählen von Erlebnissen ist ein Weg, Emotionen auszudrücken und anzusprechen. Alois Schwarz geht in seiner Homiletik von der „persönlichen Betroffenheit vom Wort Gottes“55 aus, sieht aber auch die Bedeutung der persönlichen Erfahrungen, denn gerade „Erlebnisse und Erfahrungen bewirken emotionale Betroffenheit“56.
„Wenn der Prediger ein persönliches Erlebnis erzählt oder von den Erfahrungen seiner Hörer spricht, wird er viele ansprechen und aufhorchen lassen. … Wer das Gefühl, die Stimmung, das ‚Herz‘ der Zuhörer anspricht, wirkt mit seinen Worten viel bestimmender. Der Prediger soll den Menschen in seinem Innersten treffen, ohne daß er ‚rührselig‘ oder zu ‚gefühlsbetont‘ seine Aussagen verdeutlicht.“57
Predigt hat Zeugnischarakter – und damit ist Predigt herausgefordert, Glauben und Leben (mit all seinen Facetten) zu thematisieren und zu verbinden.
„Damit Menschen vom Evangelium angesprochen und zur Metanoia bewogen werden, reicht das empathische Einbringen von menschlicher Erfahrung so wenig zur Verkündigung aus wie das bloße Repetieren von Glaubenssätzen. Es kommt auf die gelungene Korrelation von Glaube und Leben, von Botschaft und Situation an.“58
Predigt als Zeugnis nimmt die PredigerInnen in Pflicht, „persönlich zu predigen“,59 nicht „über“ das Wort Gottes zu reden, sondern davon, was einen selbst betroffen hat und betroffen gemacht hat.
„Jede Predigt im Gottesdienst der Kirche muß ein persönliches Bezeugen dessen sein, wovon der Prediger spricht. Dabei richtet der Zeuge zunächst die Aufmerksamkeit auf sich selbst und auf das, was er verkündet.“60
Unter den vielen Emotionen, die das Leben bestimmen, ist die Freude hinsichtlich der Verkündigung des Evangeliums zentral – und wo sie fehlt oder nicht spürbar wird, hat es auch die „frohe Botschaft“ nicht leicht. „Der fehlende Raum für die Freude ist nicht nur ein homiletisches und kirchliches Problem, sondern eines der gegenwärtigen Theologie. Sie vermag nicht den Indikativ darzustellen, sondern bleibt oft … beim Imperativ stehen.“61 Verkündigung des Evangeliums ist wie die Seelsorge zuallererst eine Zusage, kein Appell: Die Zusage des Heils, der Gegenwart und Liebe Gottes. „Predigt ist also das gottesdienstliche Zeugnis, daß sich die Verheißungen Gottes in Jesus erfüllt haben.“62
Axel Denecke bringt den häufig vorfindbaren Widerspruch zwischen dem Anspruch des Evangeliums und der konkreten Haltung bei Predigten unnachahmlich zum Ausdruck:
„Jeder von uns … kennt das schöne Beispiel, daß der Prediger auf der Kanzel sagt: ‚Christen sind – von Christus dem Gesetz entrissen – befreite und fröhliche Menschen.‘ Und die Stimme des Predigers, sein ganzer Habitus, sagt das Gegenteil. Melancholie, Wehmut, Trauer liegen in der Stimme und im Aussehen des Predigers der Fröhlichkeit. Verkrampfte Hände, herunterhängende Schultern, aufs Manuskript gesenkter oder ins Nichts zwischen Orgelempore und Kronleuchter enteilender Blick. Nietzsches bis zum Überdruß zitierte Feststellung, die Christen müßten erlöster aussehen, damit ihre Botschaft von der Erlösung tatsächlich glaubwürdig sei, hat hier ihren Platz; immer noch, immer wieder neu.“63
Die HörerInnen reagieren eben nicht nur auf den Inhalt, auf das gesprochene Wort, sondern auf die ganze Person der Predigenden. „Der anschaulichste Teil der Predigt bin ich selbst.“64
Freude an der Verkündigung zu haben bedeutet nicht, nur fröhlich zu predigen. Die „frohe Botschaft“, das „Eu-Angelion“, ist auch die Botschaft der Umkehr, des Kampfes gegen die Sünde und gegen die Dämonen, der Selbstzweifel, des Ringens um die eigene Sendung und um das Verstehen eines Gottes, der seinen eigenen Sohn opfert „für uns Menschen und zu unserem Heil“ (großes Glaubensbekenntnis). Aber Verkündigung geht nicht ohne Emotionen – und zwar sowohl auf Seiten der VerkündigerInnen als auch auf Seiten derer, denen verkündigt wird.
Predigt hat deshalb mit Emotion zu tun, weil sie keine wissenschaftliche Abhandlung und keine Katechese ist, sondern Zeugnis dessen, der/die anhand der Heiligen Schrift vom eigenen Glauben, von der eigenen Betroffenheit, von den eigenen Erfahrungen spricht. Denn auch das Evangelium ist nicht eine Lehrschrift, keine Chronik historischer Ereignisse, „sondern Zeugnis, das zum Zeugnis anstiften und Zeugen erwecken will“65.