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Оглавление1. Die Pubertät – sagenumwobene Phase der Jugend
Schön ist die Jugend
Die Pubertät ist eine geradezu sagenumwobene Lebensphase. Die Kindheit geht zu Ende, und das bewirkt bei vielen Eltern Wehmut. Die sogenannten „schwierigen Jahre“ brechen an und schüren bei etlichen Eltern Ängste. Unsere Kinder werden flügge, entwickeln eigene Ansichten, stellen unbequeme Fragen. Sie lassen sich durch viele außerfamiliäre Faktoren beeinflussen und beginnen uns zu durchschauen oder doch mindestens zu ahnen, dass Eltern auch nicht perfekt sind und sogar einiges an Fassaden zu bieten haben. Unsere Kinder hören plötzlich Musik, die nicht wirklich mehr die unsere ist, empfinden Schule so gar nicht mehr als wichtigste Aufgabe und bekommen Pickel, ihre Tage sowie sonstige Hormoneinschüsse: die erste Liebe, die erste Enttäuschung, die erste Zigarette, der erste Rausch.
Die Pubertät ist sagenumwoben. Gefühle werden unglaublich wichtig und die Musik, die wir zwischen 12 und 17 hören, werden wir unser ganzes Leben lang nicht mehr los. Sie konditioniert uns und es wird ihr gelingen, die turbulenten Gefühlserlebnisse der Aufbruchszeit gleichsam an sich zu binden und in späteren Jahren wie auf Knopfdruck zu reaktivieren. Teenie-Pop ist flashback-fähig.
Die Pubertät ist sagenumwoben. Der erste Kuss, die erste durchgemachte Nacht, der erste laute Stress mit den Eltern. Kraftstrotzende Vitalitätsausbrüche und schlechte Noten wechseln sich ab mit endloser Sinnfragerei und Suche nach Orientierung. Hoffnungspower in der Preisklasse von „Was kostet die Welt?“ oder „Wo sind die Klaviere, die ich stemmen soll?“ wird immer wieder jäh durchkreuzt von Lethargie und Zukunftsangst. Neugier nach allem, was der elektronische Fortschritt hervorbringt, korrespondiert mit der heillosen Überforderung, eine eigene Persönlichkeit zu entwickeln. Und das auch noch in einem Zeitalter, in dem traditionelle Rollen- und Verhaltensmuster immer mehr verblassen und unüberschaubar viele Möglichkeiten vorhanden sind, den eigenen Lebensweg zu gestalten. Pubertierende der Postmoderne leben im Wohlstand der Globalisierungsgewinner, tragen Jeans aus Kinderarbeit und sind einer unglaublichen Fülle medialer Einflüsse, Suggestionen und Versuchungen ausgeliefert – dabei suchen sie doch einfach nur einen Weg aus ihrer Kindheit hinein in das weite Land erwachsener Möglichkeiten. Auf ihrem Weg aus Ägypten (vgl. 2. Mose 14ff), dem Ort beschränkter Möglichkeiten, in das gelobte Land der Mündigkeit fallen ihnen nicht nur Manna und Wachteln zu (vgl. 2. Mose 16), sondern geradezu tonnenweise Wegweiser, Navis und falsche Pässe.
„Schön ist die Jugend“ – so haben unsere Großeltern gesungen. Das sagenumwobene Aufblühen! Ja, schön ist sie, vor allem in der Erinnerung, aber auch anstrengend, unüberschaubar und über weite Strecken ganz schön „fremd-getriggert“, dabei ständig – täglich sechs Stunden und mehr – der schulischen Bewertung ausgesetzt. Jugendliche werden häufig nicht in ihrer Suche nach sich selbst unterstützt, sondern in ihrem „Sich-noch-nicht-gefunden-Haben“ beurteilt und für etwas bewertet, das sie noch gar nicht werden konnten. Sie suchen Anleitung für das Leben in einer modernen Welt, auf deren Spielregeln ihre Eltern sie seit ihrer Geburt vorzubereiten bemüht sind. Doch wenn die Teenies die Schwelle zur Mündigkeit erreichen, haben sich die Spielregeln schon längst verändert, oft sogar unbemerkt von denen, die noch in der Illusion leben, sie zu kennen. Aber so mancher Vater und so manche Mutter sind nicht bei Facebook, und nicht wenige Großeltern halten ein I-Phone für gänzlich überflüssig – oder sind schlicht damit überfordert. Haben Sie möglicherweise auch bereits den „Knacks“ gespürt, den Roger Willemsen eindrucksvoll beschrieb?
„In jedem Leben kommt der Augenblick, in dem die Zeit einen anderen Weg geht als man selbst. Es ist der Moment, in dem man aufhört, Zeitgenosse zu sein.“1
Wenn Eltern diesen Punkt erreicht haben, bräuchten sie sich eigentlich nicht wundern, dass ihr Lotsendienst in die Zukunft der Kinder vergangen ist und sie diese zunehmend als Silhouette am Horizont einer neuen Zeit wahrnehmen. Probleme mit der Pubertät der eigenen Kinder weisen somit darauf hin, dass Eltern die eigene Zeitbezogenheit langsam verlieren. Jugendliche spüren so etwas ganz genau. Pubertätskonflikte sind auch der legitime Ausdruck dafür, dass Kinder ihre eigenen Eltern einem „Bewährungscheck“ unterziehen. Reiseführer und Kapitäne müssen im Stresstest zeigen, was sie können, denn wenn es ernst wird, hängt das Überleben der gesamten Besatzung und aller Passagiere von ihnen ab. Wer dann nicht steht, der fällt zu Recht.
Das spottende Bild der Medien
Vergleichen wir die skizzierte Auffassung der Pubertät mit ihrer Darstellung in den Medien, dann kommen wir zu dem Ergebnis: Pubertierende werden in Filmen auf oft verachtende Weise dargestellt, und diese kultivierte Kinderfeindlichkeit dient allein dazu, ein möglichst großes Publikum zu unterhalten. Jugendliche werden gezeichnet als aufsässig, rotznäsig, autoritätsverachtend, lernunwillig, sexbesessen und überhaupt ein bisschen verrückt. Pubertierende haben kein Problem, sie sind das Problem – und zwar von Eltern und Lehrern.
Vorurteile über die Pubertät
Ein eigentlich sehr lesenswertes und aufschlussreiches Buch über die Pubertät trägt den Titel Und plötzlich sind sie 13 oder: Die Kunst, einen Kaktus zu umarmen2. Die Wahl des Begriffes Kaktus für einen 13-Jährigen ist einerseits originell und anderseits aufschlussreich. Einen Kaktus berühren wir ungern. Er hat Stacheln, und wenn wir ihn zu hart anfassen, dann verletzt er uns. Sollten wir also einen Bogen um ihn machen?
Warum aber trägt ein Kaktus Stacheln? Wohl doch nicht, um zu verletzen, sondern um selbst nicht verletzt zu werden. Jugendliche wollen doch niemandem etwas, sie wollen sich nur in Ruhe entfalten und entwickeln dürfen. Sie wollen sich ausprobieren, dabei Fehler machen dürfen und Fehler vermeiden, die sie bei ihren Eltern oder Lehrern entdeckt zu haben meinen. Sie müssen abheben, um Reiseflughöhe zu erreichen. Nur wer abhebt, hat die Chance, fliegen zu lernen. Oder aber er fällt.
Wie dem auch sei, jeder hat das Recht auf seine Pubertät. Daher ist die Kennzeichnung eines jungen Menschen mit „Kaktus“ ambivalent. Sie unterstellt nämlich, dass die Ursachen aller pubertären Konflikte und Unbequemlichkeiten aus dem unbeholfenen Wesen unfertiger und hormon-getriggerter Persönlichkeitsfragmente resultieren. Weniger bewusst ist dabei, dass junge Menschen ihr spezifisches Wesen im Rahmen eines Systems entfalten, das viele andere Faktoren enthält: Eltern, Schule, Freunde, Medien etc., die ihrerseits emotional und systemisch mit ihnen korrespondieren. Auch Jugendliche sind ein „Wald, aus dem es herausschallt, wie man hineinruft“. Dreizehn Jahre elterlicher Input garen in dieser Zeit, genau deshalb beginnt es auch zu brodeln. Das Persönlichkeitsmenü auf dem Erziehungsherd enthält, unter vielem anderem natürlich, genau diejenigen Zutaten, die wir zuvor hineingeschnitten haben – oder eben auch nicht. Zu viel Pfeffer? Oder fehlt die Würze? Kein guter Geschmack? Oder ein Defekt im Herd? Kocht was über, weil wir es aus dem Blick verloren haben? Pfeift der Kessel, weil wir gar nicht in der Nähe sind? Oder haben wir es im Vertrauen auf die schnelle Mikrowelle gar nicht erst mit einem vernünftigen Rezept versucht?
Original oder Kopie?
Jeder Mensch wird als Original geboren,
aber die meisten sterben als Kopie.
Johann Caspar Schmidt
In der Pubertät entwickelt sich die Persönlichkeit eines Menschen. Seine Wesensmerkmale treten markant hervor und seine Veranlagungen, Talente und Begabungen melden sich zu Wort. Es werden die Konturen einer Person sichtbar, die bislang auf „Stand-by“ geschaltet schien, die erwacht, die zum Leben erweckt wird. Diese neue Person entspricht aber oft nicht dem Bild, das sich ihre Eltern von ihr gemacht haben, jedenfalls nicht durchgängig. Das hat Enttäuschungen zur Folge: Der Sohn interessiert sich nicht für das geliebte Hobby des Vaters, die Tochter zeigt sich mit der Rollenauffassung ihrer Mutter nicht einverstanden, der Klavierunterricht wird abgebrochen – er war immer schon eine Last, aber jetzt kann der junge Mensch es endlich aussprechen –, und die von den Eltern favorisierte politische Partei ist das Allerletzte. Der Jugendliche sucht seine Konturen in der Abgrenzung. Das Wissen um die bleibende Prägung des elterlichen „Stallgeruches“3 hat er natürlich noch nicht – im Gegensatz zu den Eltern, die dadurch in dieser Phase etwas gelassener werden könnten. Der junge Mensch steht vor einer grundlegenden und schicksalhaften Entscheidung: Soll er dem Bild, das seine Eltern sich von ihm gemacht haben, entsprechen? Entspricht dieses Bild seinem Wesen? Soll er also ein Klon werden? Oder soll er das Bild, das in ihm selbst angelegt ist, zur Entwicklung bringen? Soll er ein Original bleiben?
Jungen Menschen gerecht werden
Familien mit mehreren Kindern machen immer wieder eine verblüffende Entdeckung: Gleicher „Stallgeruch“, gleiche Erziehungsmaßstäbe, gleiche Prioritäten, gleiche Prägungen – doch die Geschwister entwickeln sich verschieden. Wir sind eben nur einerseits das Produkt unserer Erziehung und anderseits einfach die, die wir sind. Wie können wir dem gerecht werden? Indem wir unseren Kindern einzeln gerecht werden!
Dies entspricht auch den biblischen Begriffen für „Gerechtigkeit“ (hebräisch sedeka und griechisch dikaiosyne). Erst durch die lateinische Übersetzung mit justitia wurde dieses Verständnis von einer neuen Bedeutung überlagert: der „Gerechtigkeit“ bezogen auf einen für alle geltenden „objektiven“ Maßstab.
Das Ziel der „Gerechtigkeit“ besteht somit nicht in der Gleichbehandlung aller, sondern in dem Versuch, jedem Einzelnen und jeder Einzelnen gerecht zu werden, ihm oder ihr zu geben, was er oder sie braucht. Wir haben diese innere Haltung andernorts als „Agape“, als „Lebensstil gegenseitiger Bereicherung“ beschrieben.4 Gerecht werden heißt also streng genommen, jeden und jede anders zu behandeln, individuell angemessen.
Im Bild gesprochen: Ein Zoo beinhaltet eine bunte und artenreiche Vielfalt des Lebens. Würden neben den Affen auch die Löwen und Pinguine mit Bananen gefüttert, dann wäre dies einerseits gerecht, denn alle bekämen dasselbe. Anderseits wäre es höchst ungerecht, denn jeder benötigt etwas anderes. Gerechtigkeit realisiert sich somit in der „gerechten Ungerechtigkeit“, dass Tiger Fleischstücke, die Seelöwen Fische, die Pferde aber nur Hafer und Heu bekommen. Würde der Bedarf des einen zum Maßstab für alle anderen, entstünde echte, lediglich gerecht anmutende Ungerechtigkeit.
Somit müssen wir, um gerecht sein zu können, zunächst wahrnehmen lernen, und zwar nicht: Was wollen wir von unseren Kindern?, sondern: Was brauchen unsere Kinder von uns? Aus bislang mehr oder weniger stark formenden Eltern werden Entwicklungshelfer. Wenn die Saat sich anschickt aufzugehen, dann hört das Säen auf! Düngen, jäten, Felder schützen ist jetzt angesagt. Wachsen wird die Pflanze von ganz allein. Wer jetzt daran zieht, der würde sie zerstören, bevor sie geblüht hat.
Dieser erste Überblick über die sagenumwobene Pubertät zeigt: Wenn wir in die Pubertät unserer Kinder kommen, dann ist dies keineswegs nur eine Sache unserer Kinder oder gegebenenfalls einer kurzen Erziehungsberatung. Die Pubertät unserer Kinder ist eine Sache des gesamten Systems Familie, des Systems unserer Elternschaft und somit nicht zuletzt des Systems unserer Ehe, denn diese stellt die Achse des Gesamtsystems Familie dar. Die Pubertät unserer Kinder ist der Eintritt in einen Entwicklungsschritt des ganzen Systems – oder dessen Verhinderung.
Die Krise der Pubertät beinhaltet somit gleichzeitig auch eine Krise der Ehe. Unsere Kinder initiieren sie und wir sollten uns dieser Herausforderung stellen – ehe wir sie überhören und ehe die Zeit ohne uns an uns vorüberzieht.
Ehe in der Teenie-Krise
Die Pubertät fordert die Ehe der Eltern heraus.
In der Teenie-Krise geht es um die Weiterentwicklung der gesamten Familie.
Kinder sind nicht für die Probleme der Eltern verantwortlich.
Jede und jeder hat das Recht auf die eigene Pubertät.
Seien Sie Begleiter Ihrer Kinder, nicht Richter oder gar Feind.