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6 Zu den Beiträgen in diesem Band

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Vor dem Hintergrund der oben angerissenen Themen ist der Sammelband in fünf Teile gegliedert. Unter der Rubrik „Translationspolitik und barrierefreie Kommunikation“ stecken einleitende Beiträge zunächst den gesamtgesellschaftlichen Rahmen und die durch Migration und Flucht bedingte ethnische Vielfalt (Super-Diversität) im DACH-Raum ebenso wie Entwicklungen infolge der zunehmenden Technologisierung ab. Das Dolmetschen in diesem Feld ist durch eine Ausdifferenzierung verschiedener Wissensvorräte (Alltagswissen, Expert:innenwissen) und Handlungsformen gekennzeichnet (vgl. Schmidt 2008:837). Im Hauptteil der Publikation werden daher unter dem Überthema „Translationskultur(en) im DACH-Raum“ Entwicklungen und der Status quo in Deutschland, Österreich und der Schweiz für die folgenden drei Ebenen dargestellt: „Wissenshervorbringung“ (Forschung), „Wissensvermittlung“ (Ausbildung) und „Wissensanwendung“ (Praxis). Vor der Folie dieser Darstellung werden im Weiteren ausgewählte innovative Praxisprojekte dargestellt und abschließend eine vergleichende Zusammenschau präsentiert.

Gerahmt und eingeleitet werden die diesen drei Abschnitten zugeordneten Ausführungen von Beiträgen, die sich aus translations- und sprachpolitischer Sicht und unter Einbezug des stetig zunehmenden Bedarfs an barrierefreier Kommunikation dem Feld nähern. So skizziert Peter Sandrini vor dem Hintergrund der zunehmenden Automatisierung und Digitalisierung der Berufswelt unseren Umgang mit Mehrsprachigkeit und damit verbundene Herausforderungen und Zukunftsaussichten für die Sprachmittlung. Judith Purkarthofer beschreibt aus soziolinguistischer Perspektive Spracherleben, Verständigung, sprachliche Identität und Kommunikationsbedarfe in multilingualen und von Diversität geprägten Gesellschaften. Vor dem Hintergrund der technischen Errungenschaften moderner Informations- und Kommunikationstechnologien beschreibt Ivana Havelka die Auswirkungen dieser Entwicklungen auf die interpersonale Kommunikation sowie die Konturen und den Handlungsrahmen einer technikgestützten Translationskultur für das video- und audiobasierte Dialogdolmetschen. Dem Abbau von Kommunikationsbarrieren in unterschiedlichen Bereichen und Möglichkeiten der barrierefreien Kommunikation zur Inklusion und Integration von Menschen mit unterschiedlichen Sinnes- oder kognitiven Beeinträchtigungen und Sprachkenntnissen widmet sich Judith Platter.

Dem Feld der Wissenshervorbringung sind drei Beiträge gewidmet. Die Bezugnahme auf wissenschaftsbasiertes Theoriewissen, die zunehmende Spezialisierung und einschlägige Fachwissensbestände sowie das Vermögen zur praktischen Anwendung von Theoriewissen sind Merkmale der Professionalisierung einer Tätigkeit (Schmidt 2008:840). Im Abschnitt Entwicklungslinien der Forschung skizzieren Bernd Meyer, Franz Pöchhacker und Tobias Haug & Gertrud Hofer vor diesem Hintergrund die Entwicklung und zentrale Themen der Forschung zum Community Interpreting und Gerichtsdolmetschen in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Meyer resümiert sozial-, sprach- und translationswissenschaftliche Forschung der letzten drei Jahrzehnte mit Fokus auf Deutschland zu diesem Themenfeld. Pöchhacker thematisiert die Entstehungsbedingungen und konzeptuellen Grundlagen der Forschung zum Kommunaldolmetschen in Österreich und Haug & Hofer gehen neben Untersuchungen zum Lautsprachendolmetschen im Gesundheits- und Sozialbereich in der deutschsprachigen Schweiz auch auf Entwicklungen im Bereich des Gebärdensprachdolmetschens ein.

Die Sektion Entwicklungslinien der Ausbildung schlägt die Brücke zum Themenkreis der Wissensvermittlung: Werden bzw. in welcher Weise werden Wissensbestände an die handelnden Personen weitervermittelt (formalisierte Ausbildungssysteme, teil-formalisierte Strukturen zur Wissensvermittlung vs. informell-„naturwüchsige“ Ausbildung und Anwendung von Wissen)? Erwerben die professionell Tätigen einen „sachgebundenen“ Habitus (Schmidt 2008:842), der die sachliche Bearbeitung von Problemen ohne Berücksichtigung subjektiver Interessen erlaubt? Werden die wissensvermittelnden Akteur:innen („Ausbildner:innen“) ebenfalls in Bezug auf die Weitergabe und Anwendung dieser spezifischen Wissensbestände geschult (etwa in Form von „Train-the-trainer“-Angeboten)? Ist die Tätigkeit an staatliche Lizensierung und Qualifikation (Berechtigung zur BerufsausübungTranslation) bzw. an Exklusivität (Monopolstellung) gebunden, die mit einem gewissen Berufsprestige einhergehen? Die zuletzt genannten Kriterien sind auf einer „vertikalen Ebene“ der Einbettung von Professionen in gesellschaftliche Strukturen (Schmidt 2008:840f.) Strukturmerkmale, die die Abgrenzung zu „einfacheren“ Berufen erlauben. Den oben genannten Themen nähern sich Şebnem Bahadır, Vera Ahamer und Michael Müller. Bahadır verortet die in Deutschland gegenwärtige Lage der Ausbildung und Praxis kritisch in einem migrations- und translationspolitischen Kontext. Mit Aspekten der Ausbildung und Professionaliserung des Community Interpreting in Österreich befasst sich Ahamer, und Müller skizziert das vergleichsweise wesentlich ausgereiftere System der Qualifizierung für interkulturell Dolmetschende in der Schweiz.

In Bezug auf die berufspraktische Wissensanwendung in konkreten Handlungssituationen lassen sich ebenfalls verschiedene Dimensionen skizzieren: Steht in der Ausübung der Tätigkeit das Wohl der Klient:innen und die Orientierung an der Sache im Zentrum („Kollektivorientierung“ als auf das Gemeinwohl hin abzielende Orientierung, vgl. Schmidt 2008:840)? Der sogenannte „Zentralwertbezug“ kann beispielsweise (Schmidt 2008:840) als Merkmal einer Profession definiert werden, das beschreibt, ob Professionen als gesellschaftlich relevant erachtete Leistungen erbringen, die an universelle gesellschaftliche Zentralwerte gebunden sind (etwa Recht auf Information und Zugang zu Leistungen)1. Ist die Ausübung der Tätigkeit durch eine „doppelte Autonomie“ gekennzeichnet (d.h. sind Professionelle nicht direkt staatsabhängig oder weisungsgebunden und können Entscheidungen damit sachgebunden treffen, und haben die Klient:innen das Recht auf autonome Wahl der Professionist:innen)? Diese Begriffe können auf einer Ebene der „horizontalen“ Einbettung von Professionist:innen in gesellschaftliche Strukturen verortet werden (Schmidt 2008:840). Als professionsinterne Strukturdimension kann auch noch beschrieben werden, ob Professionen „korporativ organisiert“ (Schmidt 2008:841) sind und Ausübende damit in ihrer beruflichen Autonomie an gewisse berufsständische Normen gebunden sind (etwa Vorhandensein von Berufsverbänden und (verpflichtende oder freiwillige) interne Kontrolle durch diese, Kodifizierung der Tätigkeit durch berufsethische Standards, Berufs- und Standesethos („Eid“), berufsständische Solidarität). Als ein weiteres Merkmal auf einer Handlungs- und Habitusebene formuliert Schmidt (2008:842) eine „Wissensasymmetrie“ zwischen Professionellen und Klient:innen, die die Schaffung und Akzeptanz einer „temporären Vertrauensbeziehung“ erforderlich macht, in der Klient:innen sich darauf verlassen müssen, dass sachorientiert und zu ihrem Wohle gehandelt wird. „Verschleiert“ (Schmidt 2008:848) wird bei dieser Orientierung am Klient:innenwohl die Tatsache, dass Professionist:innen sehr wohl auch von Eigeninteressen (Verdienst, berufliches Fortkommen) motiviert sind. Marktverbundene „Gefahren“ (Schmidt 2008:848) auf einer Praxisebene sind des Weiteren eine mögliche Instrumentalisierung der Professionellen sowie Bürokratisierung und „Technologisierung“ in Form von routinisierten, „eingefahrenen“ und nicht mehr hinterfragten Handlungsmustern (Schmidt 2008:849). Fragen wie den oben genannten gehen Elvira Iannone, Alexandra Marics & Aleksandra Nuč und Nives Grenko Curjuric & Barbara Strebel nach.

Iannone umreißt den Status quo des Dolmetschens im Gemeinwesen in Deutschland und geht vor allem auf rechtliche Rahmenbedingungen und finanzielle, strukturelle und organisatorische Aspekte ein. Marics & Nuč beschreiben die österreichische Marktlage und den daraus ableitbaren Grad an Professionalisierung des Kommunaldolmetschens. Und Grenko Curjuric & Strebel skizzieren die Praxis des interkulturellen Dolmetschens in der Schweiz, die sie als vergleichsweise gut aufgestellt verorten, und umreißen dabei auch die Tätigkeit der etablierten und professionell agierenden regionalen Vermittlungsstellen sowie das Wirken von INTERPRET, der Interessensgemeinschaft für interkulturelles Dolmetschen und Vermitteln.

Im abschließenden Abschnitt Translationskultur verortet stellt zunächst Katia Iacono die Ergebnisse einer Analyse ausgewählter Praxisprojekte im DACH-Raum vor und beleuchtet organisatorische und strukturelle Unterschiede wie auch Ähnlichkeiten. Eine abschließende Zusammenschau der im Rahmen der Beiträge dargestellten Entwicklungslinien nimmt Mira Kadrić vor, die die Strukturen der sich in diesem Band abzeichnenden Translationskultur und besonders die gesellschaftliche Verantwortung von Dolmetscher:innen ins Zentrum rückt. Dabei legt sie dar, dass translatorisches Handeln idealiter die Kommunikationsbedürfnisse aller Beteiligten wahren sollte, aber auch zum „Empowerment schwächerer Gesprächsbeteiligter“ beitragen kann.

Entwicklungslinien des Dolmetschens im soziokulturellen Kontext

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