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1.3Fazit und Ausblick

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Die Analysen der drei Grundlagentexte der Nachhaltigkeitsdebatte haben gezeigt, dass sich anhand der fünf Kernaspekte (Anlass, Ressource, Bezugseinheit, Wissen und Akteure) das jeweilige Verständnis von Nachhaltigkeit klarer konturieren lässt und die unterschiedlichen Wissensformationen dadurch vergleichbar werden. Ein Vergleich kann die genannten Anlässe und die Weise, wie mit ihnen ein bestimmtes Handeln plausibilisiert wird, nebeneinanderstellen. Interessant wäre auch, wie sich die Bezugseinheit, mit der die Erhaltung der Ressourcen berechnet wird, vergrößert: Hatte von Carlowitz noch den Holzvorrat im Land Sachsen als Referenz, weitet sich der Bezug über das Weltsystem bis zum planetarischen Blick auf die Erde als ganze aus. Auch im Hinblick auf die Frage, wer aus welcher Position für welche anderen spricht, geben die drei Texte unterschiedliche Antworten, deren Ähnlichkeiten und Differenzen man noch genauer herausarbeiten könnte.

Es wurde außerdem deutlich, dass es bei den verschiedenen Nachhaltigkeitsverständnissen nicht nur um Ideen oder begriffliche Definitionen geht. Vielmehr formiert sich das Wissen in unterschiedlichen medialen Artikulationen (Buch mit Druckgrafiken, computergenerierte Graphen) wie auch technischen und sozialen Settings (Oberbergamt, MIT mit Großcomputer), die in ihrem Zusammenspiel komplexe historische Dispositive im Sinne Michel Foucaults (vgl. 1978) bilden. Exemplarisch wurde an der Grafik im Meadows-Buch gezeigt, welche impliziten Ansprüche wie Wissenschaftlichkeit (und implizite Abwertung anderer ‚Wahrheitsformen‘) und globale Gültigkeit (‚wir haben als einzige die wesentlichen Dynamiken der ganzen Welt im Blick‘) mit den spezifischen Möglichkeiten bestimmter Medien transportiert werden können. Gleichzeitig wurde auf die widersprüchlichen Bedeutungen hingewiesen, die im Zustandekommen und der Rezeption des blue-marble-Fotos liegen.

Die einzelnen Wissensformationen lagern sich im Laufe der Zeit ab. Sie bilden in der Folge Bedeutungsschichten, die aufgegriffen und aktualisiert werden können, wenn Nachhaltigkeit zur Sprache kommt. Das, was im frühen 18. Jahrhundert als forstwissenschaftliches Wissen entwickelt worden ist, stellt dreihundert Jahre später eine wichtige Referenz dar. Immer wieder findet sich in Formulierungen zur Nachhaltigkeit eine Bedeutungsschicht, in der es um den Erhalt einer Ressource geht, um ihr Wachstum, darum, nicht mehr zu verbrauchen, als nachwächst. Der Holzvorrat im Wald fungiert dabei als metaphorischer Bildspender, um das, was Nachhaltigkeit bedeutet, zu veranschaulichen und zu plausibilisieren. Die Überlagerung der verschiedenen Bedeutungsschichten, durch die der Nachhaltigkeitsdiskurs heute gekennzeichnet ist, erklärt einerseits dessen Vieldeutigkeit und Komplexität und stellt andererseits einen Grund für dessen hegemoniale Stellung dar. Die Unschärfe kann, wie oben bereits ausgeführt, der kommunikativen Anschlussfähigkeit dienen. Daraus kann sich aber auch das Bedürfnis ergeben, die verschiedenen semantischen Schichten bzw. die unterschiedlichen Verständnisse von Nachhaltigkeit mit ihrer historisch-sozialen Herkunft und ihren medialen Prägungen voneinander zu unterscheiden – die Heuristik der fünf Kernaspekte soll dazu als Analyseinstrument fungieren.

Durch die unterschiedlichen Sinnformationen und ihr Zusammenspiel wird der Nachhaltigkeitsdiskurs und damit ein wichtiger Teil des sozialen Imaginären der Gegenwart bestimmt. Wenn die Systemtheoretiker des MIT ihr Weltmodell aufstellen, dann formulieren sie mit diesen Mitteln ein Verständnis von Nachhaltigkeit und ein entsprechendes Wissen darüber, welches es ohne die Simulation nicht gegeben hätte. Sie wählen fünf Grundgrößen, die aus ihrer Sicht die entscheidenden Faktoren darstellen (und beanspruchen, sämtliche Aspekte der Welt zu repräsentieren). Diese stehen miteinander in systemischer Wechselwirkung und lassen sich technisch berechnen. Auch das Foto der Erde aus dem All ist kein bloßes Foto, sondern wird durch Geschichten gerahmt – ganz neue, hochtechnologische der Raumfahrt und ganz alte mit dem Anfang der Genesis – und auf diese Weise mit Bedeutung aufgeladen.

Auch wenn sich gerade wissenschaftliche Beschreibungen diesen Anstrich geben, so gibt es von der Erde oder der Menschheit keine Darstellungen, die nicht über ihre Medialität und ihre Positionierung das Dargestellte mit prägen. Die Bilder bringen die Wirklichkeit, die sie beschreiben, immer auch mit hervor. Das bedeutet nicht, dass es sich bei der Kultur um ein autonomes System handelte. Vielmehr gilt es, die „komplexen Interdependenzen von Naturgegebenem und Menschengemachtem zu analysieren“ (Zemanek 2018: 15), Natur und Kultur nicht dichotom zu konzipieren. Wenn man jedoch die konstitutive Leistung der Darstellungsformen anerkennt, stellt sich die Frage, welche Weltbilder hier zum Tragen kommen und auf welche Weise sie unsere Zukunft prägen. Gerade in einem Diskurs, der einen globalen Anspruch hat, muss außerdem gefragt werden, wer die Sprache und die Bilder für die Darstellung der Welt stellt. Entsprechend wichtig sind Analysen, die zeigen, wie und unter welchen Bedingungen das jeweilige Verständnis von Nachhaltigkeit formiert und formuliert wurde und wird. Denn in dem Wie und dem Woher stecken Selbstverständnisse, Wertungen, Ansprüche, soziale Asymmetrien etc., die politisch wirksam sind. Eine solche Konturierung der verschiedenen Nachhaltigkeitsverständnisse könnte die Grundlage für die gesellschaftlichen Diskussionen über ein nachhaltiges Leben bilden, wobei es dann nicht nur um ökonomische Herausforderungen ginge, sondern ebenso um die Frage nach kulturellen Artikulationen, Visionen und Übersetzungen.

Nachhaltigkeit interdisziplinär

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