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1.3 Aufbau
ОглавлениеIn der Nachkriegszeit ab 1945 wuchs die Erkenntnis, dass die schulische Entwicklung von Kindern und Jugendlichen durch intensive Unterstützung beeinflusst und verbessert werden kann. In Hamburg baute Hans Kirchhoff 1948 eine erste pädagogisch-psychologische Einrichtung zunächst unter dem Namen »Schülerkontrolle«, später »Schülerhilfe« auf. Ziel war es, gegen das Schulschwänzen vorzugehen, psychische Hintergründe bei Schulproblemen zu verstehen und Kinder und Jugendliche in ihrer Schullaufbahn zu unterstützen. Später ging dies als »Hamburger Modell« in die Geschichte der Schulpsychologie ein.
Auch die UNESCO diskutierte im Rahmen der Tagung »Psychologie im Dienst der Schule« 1954 über die Implementierung der Schulpsychologie in Europa und empfahl bereits zu diesem Zeitpunkt eine Versorgungsquote von einer schulpsychologischen Stelle auf 6000 Kinder (Aurin, 1997).
Verschiedene Städte gründeten erste schulpsychologische Dienste mit den Schwerpunkten Einzelfallhilfe und Schullaufbahnberatung: Hamburg 1948, Stuttgart 1950, Berlin und Hannover 1957, Köln 1958, Düsseldorf 1959 waren die ersten Einrichtungen. In Köln und Düsseldorf entstanden erstmals rein kommunale schulpsychologische Dienste in Trägerschaft der jeweiligen Städte, während in Berlin die Initiative von jungen Lehrkräften mit einem Diplom in Psychologie ausging und die doppelte Qualifikation über lange Jahre als Voraussetzung zur Tätigkeit als Schulpsychologin oder Schulpsychologe gesehen wurde (Seelig, 1997). In die Zeit des Wiederaufbaus und der Gründung neuer Schulen in den 1960er Jahren fiel auch der weitere Aufbau von schulpsychologischen Diensten, häufig als individuelles Unterstützungsangebot für Eltern und ihre Kinder. Auch die ländlichen Gebiete wurden einbezogen. Bei der Gründung von Gesamtschulen wurden schulpsychologische Stellen mitgeplant. Die Kritik am bestehenden Schulsystem, die Bildungsreformen in den Bundesländern, die Entwicklung der wissenschaftlichen Pädagogischen Psychologie und der Bildungsforschung prägten die 1960er und 1970er Jahre.
Eine eigene Entwicklung nahm die Schulpsychologie in Hessen. Hier wurden 1953 schulpsychologische Beratungsdienste mit einem verstärkten Auftrag zu Forschungsvorhaben und Systemberatung gegründet (Aurin, 1997). Schnell wurde dieses »Hessische Modell« als ein systembezogenes Angebot dem »Hamburger Modell« gegenübergestellt. Dieses Spannungsfeld der zwei Ansätze sollte die Schulpsychologie noch Jahrzehnte beschäftigen.
Während 1965 noch rund 100 schulpsychologische Fachkräfte gezählt wurden, waren es 10 Jahre später in Westdeutschland bereits rund 450. In diese Zeit fielen auch verschiedene Empfehlungen, konzeptionelle Überlegungen und Stellungnahmen, so z. B. im noch heute oft zitierten Beschluss der Kultusministerkonferenz von 1973 und der Empfehlungen der Bund-Länder-Kommission (BLK) zur »Beratung im Bildungswesen« vom gleichen Jahr. Diese empfahlen den Ausbau eines flächendeckenden Beratungssystems und eine Versorgungsquote von schulpsychologischen Fachkräften zur Schüleranzahl von 1:5 000 und 1:1 000 für Beratungslehrkräfte bis 1980 (Aurin, 1997). Die regelmäßig aktualisierten Erhebungen der Sektion Schulpsychologie im BDP zur Versorgungsquote der Schulpsychologie in Deutschland führten jedoch lange nur eine Quote von 1:12 000 bis 1:9 000 auf (BDP Sektion Schulpsychologie, 2020). Auffällig sind dabei seit Beginn der Erhebungen die durchgängig starken Unterschiede in den Bundesländern, die bis heute nicht egalisiert sind (BDP Sektion Schulpsychologie, 2020; Kap. I-4).
In Bayern wurde die Entwicklung wie in Berlin von einigen Lehrkräften mit zusätzlichem Psychologiestudium angestoßen (Staatsinstitut, 2007). Im Jahr 1952 wurde die erste Stelle in München, eine weitere 1955 in Nürnberg gegründet. Zu Beginn der 1970er Jahre kamen weitere staatliche Schulberatungsstellen zur Bildungsberatung in allen Bezirken Bayerns hinzu. Die Umsetzung der Empfehlung der BLK führte in Bayern bereits 1978 zu einem neuen Staatsexamen in Psychologie im Rahmen des Lehramtsstudiums. Diese Konzeption ist noch heute gültig: Schulpsychologie ist dort in der Regel in das Schulsystem integriert, Lehrkräfte mit entsprechender Qualifikation sind in der Schule stundenweise schulpsychologisch tätig.
Damals wie heute waren die Entwicklungen der Schulpsychologie in Deutschland jedoch abgehängt von internationalen Entwicklungen. Während Mitte der 1970er Jahre in Westdeutschland rund 450 Schulpsychologen gezählt wurden, waren es weltweit bereits 40 000 (Keller, 2013). Bis in die heutige Zeit sollte sich diese Diskrepanz in der Entwicklung nicht mehr verändern. Noch 2010 war der personelle Ausbau der Schulpsychologie in Deutschland im europäischen Vergleich weit abgeschlagen hinter Dänemark, Spanien oder Kroatien (BDP Sektion Schulpsychologie, 2010; Kap. I-8).