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2.2 Grundlage: Theorien und Befunde der wissenschaftlichen Psychologie

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Vor mehr als 100 Jahren hat der große Hamburger Psychologe William Stern den Terminus »Angewandte Psychologie« als Sammelbegriff für die praktische Anwendung psychologischer Erkenntnisse eingeführt ( Kap. I-1). Der gleiche William Stern war es auch, der im Rahmen eines Jugendkongresses 1911 die Einsetzung von Schulpsychologen forderte – eine Forderung, die in den Reihen der Schulverantwortlichen und der Lehrerschaft noch jahrelang auf heftigen Widerstand stieß. In der Forschung hat William Stern 1911 mit seinem Buch Differenzielle Psychologie die Teildisziplin der Differenziellen und Persönlichkeitspsychologie begründet. Lange Zeit kannte die Forschungsdisziplin Psychologie daraufhin nur den Unterschied zwischen einer Allgemeinen Psychologie und einer Differenziellen Psychologie. Während erstere sich mit der Beschreibung und der für alle Menschen geltenden Erklärung des Verhaltens und Erlebens beschäftigte, war letztere an der Beschreibung und Erklärung systematischer interindividueller Unterschiede zwischen Menschen interessiert. Heute ist das Spektrum der auch für die Schulpsychologie relevanten Teildisziplinen der Psychologie ungleich breiter. Neben der Allgemeinen Psychologie der Wahrnehmung, des Lernens, des Denkens, der Motivation, der Emotionen und des Handelns spielen gerade für das Handlungsfeld der Schulpsychologie auch die Entwicklungspsychologie und die Sozialpsychologie eine große Rolle. Hinzu kommt die anwendungsorientierte Subdisziplin der Diagnostik, die Instrumente zur Verfügung stellt, um die interindividuellen Unterschiede zwischen Menschen in ihrem Erleben und Verhalten objektiv, reliabel und valide erfassen zu können. Aber auch die Anwendungsdisziplinen der Klinischen Psychologie, der Arbeits- und Organisationspsychologie und insbesondere der Pädagogischen Psychologie haben viele Theorien, Konzepte und Ansätze erarbeitet, die zur Grundlegung schulpsychologischen Handelns gut geeignet sind.

In allen diesen Teildisziplinen werden Phänomene des menschlichen Erlebens und Verhaltens beschrieben und mit Hilfe von Theorien zu erklären versucht. Der wissenschaftliche Wert einer psychologischen Theorie bemisst sich daher über deren Erklärungswert. Dieser wiederum hängt ab von der Kohärenz und Eindeutigkeit der in der Theorie formulierten Zusammenhänge sowie vom Grad der empirischen Bewährung von Vorhersagen, die man aus der Theorie ableiten kann. Um Letzteres beurteilen zu können, ist eine gründliche methodische Ausbildung zu den Forschungsgrundlagen der Psychologie ( Kap. I-3) erforderlich.

Aus der Perspektive der angewandten Psychologie ist ein hoher Erklärungswert allerdings nur die notwendige Bedingung dafür, dass die entsprechende Theorie eine geeignete Grundlage für professionell erfolgreiches Handeln ist. Hinzu kommt als zweites Kriterium die Nützlichkeit der Theorie. Erklärungsstarke psychologische Theorien unterscheiden sich im Grad ihrer Nützlichkeit für praktisches Handeln. So können beispielsweise zwei bewährte und erklärungskräftige Theorien über die Mechanismen, die bei Teilleistungsstörungen verantwortlich sind, für die Diagnostik und/oder die Intervention bei einer vorliegenden Lese-Rechtschreib- oder Rechenschwäche unterschiedlich nützlich sein, weil aus der einen Theorie unmittelbar diagnostische Herangehensweisen oder Fördermaßnahmen ableitbar sind und aus der anderen nicht.

Aufgrund ihres Studiums sollten Schulpsychologinnen und Schulpsychologen einen guten Überblick über zentrale Theorien der oben genannten Teildisziplinen der Psychologie haben. Außerdem sollten sie gelernt haben, wo und wie sie sich über den jeweils aktuellen Stand der Theoriebildung und ihres empirischen Bewährungsgrades informieren können – denn niemand kann alle für schulpsychologisches Handeln relevanten Theorien der Psychologie verfügbar haben. Schwerpunktsetzungen, gerade zum Berufseinstieg, sind daher sinnvoll.

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