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Von den Chancen christlicher Werte

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Ungeachtet dieser vielen nicht bewussten Spannungen ist es in kirchlichen wie politischen Diskursen heute europaweit gang und gäbe, von „christlichen Werten“ zu sprechen. Während Politikerinnen und Politiker nach deren Beitrag zur Demokratie fragen, sehen die christlichen Kirchen darin die Möglichkeit, christliche Ethik legitim in die ethischen und politischen Debatten einzubringen. Beides birgt Probleme, weil christliche Ethik politisch instrumentalisiert werden kann und der christliche Glaube auf Ethik reduziert zu werden droht.8 Die Interessen sind aber dennoch legitim, weil der Wertebegriff auch zahlreiche sinnvolle Dimensionen birgt. So zeigt sich in seiner weitverbreiteten Verwendung die unverzichtbare Suchbewegung pluralistischer Gesellschaften nach ethischer Orientierung. Bereits dieser Sachverhalt verpflichtet Politik und Kirchen wie auch die Theologie dazu, sich dem Wertebegriff auch positiv anzunähern.

So wurde der Wertebegriff im Anschluss an Talcott Parson im 20. Jahrhundert zu einem Disziplinen verbindenden Schlüsselkonzept der Human-, Sozial- und Kulturwissenschaften, um Kultur zu erforschen. Er ermöglicht es bis heute, in hermeneutischen wie empirischen Studien nach den real existierenden moralischen und ethischen Einstellungen von Menschen, deren individual- und sozialpsychologischen Funktionen sowie biologischen, soziologischen oder politischen Entstehungsbedingungen zu fragen. Charles S. Peirce, William James, John Dewy, Herbert Mead und Hans Joas wiederum etablierten den Wertebegriff als Teil von Gesellschaft und Kultur in der Sozialphilosophie und im philosophischen Pragmatismus. Hans Joas zum Beispiel definierte Werte als „mental-psychisch verinnerlichte Erfahrungen der Selbsttranszendenz und Selbstbindung, in deren Rahmen Menschen von Lebenswirklichkeiten, die ihnen widerfahren, so ergriffen werden, dass sie sich diese zu eigen machen“9. Werte sind demnach die erfahrungsbasierte, vorethische Grundlage für ethische Urteile. In ihnen bringen sich präreflexive Vorstellungen vom „guten Leben“ zum Ausdruck, die – mehr oder weniger bewusst – das Handeln von Menschen leiten. Weil jedoch nicht jede Vorstellung vom „guten Leben“ auch aus ethischer Sicht „gut“ ist10, bedürfen Werte der kritischen ethischen Reflexion und Bildung. Überdies erschließt sich der Sinn von Werten auch immer erst in konkreten praktischen Verwendungszusammenhängen. So können sich beispielsweise die Werte „Heimat“ oder „Solidarität“ mit politischen Inklusions- oder aber Exklusionspraktiken von gesellschaftlich „anderen“ verbinden.

Die Anerkennung des Wertebegriffs in diesen Disziplinen macht es den Kirchen und der Theologie jedenfalls möglich, diesen zu rezipieren. Seine Erfahrungsnähe und Subjektbezogenheit sowie die enge Verbindung mit Gesellschaft und Kultur bieten Theologie und Kirchen zahlreiche Anknüpfungspunkte und können Ausgangspunkt für ethische und politische Debatten sein. So definiert der christliche Sozialethiker Clemens Sedmak Werte als „Bezugsrahmen für Präferenzen; Werte sind nicht Entscheidungen, sondern die Grundlage für Entscheidungen; Werte sind nicht Bewertungen, sondern Kriterien für Bewertungen; Werte sind nicht Wünsche, sondern Konzeptionen des Wünschenswerten“11.

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