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Werte und Demokratie

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Die Verbindung von christlichen Werten und Demokratie ist alles andere als selbstverständlich und taucht in dieser Kombination erst nach 1945 auf. So hat die katholische Kirche die Demokratie erst nach dem Zweiten Vatikanum in ihrer Soziallehre anerkannt. Innerhalb der Kirche gilt sie, anders als in der evangelischen Kirche, als theologisch ungeeignetes Ordnungssystem, da Herrschaft und Recht zunächst nicht beim Volk, sondern bei Gott liegen. Gleichwohl haben alle Kirchen in Österreich ein großes Interesse an funktionierenden Demokratien und setzen sich für diese ein.

Umgekehrt waren Werte auf der europäischen Ebene lange Zeit überhaupt kein politisches Thema. Die Wertesemantik wurde erst nach 1989 in den politischen Debatten virulent.12 Kontext dieses Rückgriffs auf „Werte“ bildeten dabei die Fragen nach der Integration und der „Idee“ Europas. Im Zuge der weiteren Entwicklungen diente die Beschreibung der Europäischen Union als „Wertegemeinschaft“ zur Selbstverständigung des europäischen politischen Prozesses wie auch des europäischen Gemeinwesens. Denn seit den 1980er-Jahren war die Identität Europas und der Europäischen Union als ihr politisches Projekt fraglich geworden: Die Wohlstandssteigerung taugte – infolge der Ölkrisen und des instabilen Wirtschaftswachstums – nicht mehr als einigendes und legitimierendes Selbstkonzept. Mit der Erweiterung um die mittel-und osteuropäischen Staaten stellte sich überdies die Frage nach dem Sinn und Ziel der europäischen Integration. Das imaginierte Selbstverständnis als „Wertegemeinschaft“ sollte so die Frage nach der politischen Identität der Europäischen Union beantworten.

Seit 2009 sind nun mit dem Artikel 2 des Vertrags von Lissabon13 folgende Werte in Kraft: Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung der Menschenrechte. Diese Werte sind in einer Gesellschaft zu wahren, „die sich durch Pluralismus, Nichtdiskriminierung, Toleranz, Gerechtigkeit, Solidarität und die Gleichheit von Frauen und Männern auszeichnet“14.

Auch wenn dieser Werterekurs der EU von Anfang an auf heftige Kritik stieß15, ist mittlerweile doch unumstritten, dass der freiheitliche, säkularisierte Staat – und mit ihm die Demokratie – von Voraussetzungen lebt, die er selbst nicht garantieren kann (Böckenförde-Paradoxon); dies bedeutet unter anderem von den Werten seiner Bürgerinnen und Bürger. Damit kommen auch die Kirchen ins Spiel, die solche Werte einbringen können und sollen – beziehungsweise die Rede von „christlichen Werten“. Aus demokratischer Sicht erhalten sie von hier ihre Legitimation.

Freilich ist seit 9/11 und den darauf folgenden weiteren Terroranschlägen sowie im Zuge der sogenannten Flüchtlingskrise 2015 der Begriff der „christlichen Werte“ zunehmend zu einem Identifikations- und Abgrenzungsmarker, sogar zu einem politischen Kampfbegriff 16 gegenüber der islamischen Welt beziehungsweise dem Islam als Religion mutiert – ungeachtet des historischen Befundes, dass der Islam zu Europa gehört.17 Astrid Mattes18 zeigt anhand einer Analyse von über 800 Parlamentsprotokollen, Presseberichten und politischen Stellungnahmen aus Österreich, Deutschland und der Schweiz, wie in einem Zeitraum von 20 Jahren vor allem die christdemokratischen Parteien den Islam zum Politikum gemacht haben und auf diese Weise ihre inneren Probleme bearbeiten, sei es durch die Problematisierung des Islam, die Aufspaltung in einen „guten“ und einen „bösen“ Islam oder die Konstruktion einer „universalen Religion“ auf Basis des christlichen Erbes.

Christliche Werte und deren Auslegung werden in Europa und Österreich jedenfalls im öffentlichen Raum wieder heftig diskutiert. So wurde zum Beispiel im Umfeld der Frage, welche Flüchtlingspolitik man legitim als „christlich-sozial“ bezeichnen dürfe, eine intensive mediale Debatte geführt.19 Bemerkenswert angesichts dieser Konflikte ist das, trotz gravierender gesellschaftlicher Bedeutungsverluste des Christentums, nach wie vor große Bedürfnis nach religiöser Legitimation politischen Handelns.

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