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Fallbeispiel

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Ein bereits altes Ehepaar lebt im engen Verhältnis mit den eigenen Kindern. Eine Tochter lebt zehn Minuten entfernt. Andere Kinder etwas weiter weg, jedoch auch innerhalb der gleichen Stadt. Lediglich der älteste Sohn lebt im Ausland.

Der Ehemann ist gebrechlich und leidet unter Schmerzen und liegt daher zumeist im Bett im Schlafzimmer. Er ist zudem nicht immer orientiert über die aktuellen Vorkommnisse. Es wird vermutet, dass er an Demenz erkrankt ist. Die Ehefrau ist an einem wiederholten Auftreten eines Tumors im Bauchraum erkrankt. Bereits vor zwei Jahren sei sie mit einem Tumor dieser Art im Krankenhaus gewesen. Das Gefäßsystem und das Herz seien zu dieser Zeit schon so schwer geschädigt, so dass eine Operation mit erheblichen Risiken verbunden gewesen sei. Trotz erheblicher Bedenken der Ehefrau und Mutter hatte sie sich damals, nach langen Diskussionen und dem drängenden Anraten vor allem der Söhne zu der sehr risikoreichen Operation durchgerungen.

In der jetzigen Situation ist eine Operation gänzlich ausgeschlossen. Der Tumor ist bereits weit fortgeschritten. Der körperliche Zustand verschlechtert sich zunehmend und die Ehefrau kann kaum noch Essen und Flüssigkeit zu sich nehmen. Sie liegt nach dem Krankenhausaufenthalt in einem Pflegebett in einem zur Pflege eingerichtetem Zimmer. Übelkeit begleitet die Frau den Tag über und Erbrechen stellt sich nach Nahrungsaufnahme ein. Eine im Krankenhaus begonnene Zufuhr von Flüssigkeit und Nährstoffen über die Venen lehnt sie zu Hause vehement ab. Die Tochter und die jüngeren Söhne konnten nach Gesprächen mit dem Behandler-Team annehmen und akzeptieren, dass die Mutter am Ende ihres Lebens Maßnahmen der künstlichen Ernährung nicht annehmen möchte. Es ist hier insbesondere die Frage zu stellen, ob eine künstliche Ernährung in der jetzigen Situation noch eine lebensverlängernde und lebensqualitätssteigernde Maßnahme darstellt. Der Ehemann konnte die Situation nicht erfassen. Der Frau wurde als medizinische Maßnahme gegen die stets vorhandene Übelkeit ein Medikament verordnet, das sie nicht mehr selbst einnehmen konnte. Eine Dauerinfusion mit dem Medikament zur kontinuierlichen Behandlung lehnte sie aufgrund der damit verbundenen Zufuhr von Flüssigkeit ab. Sie ließ es zu, mehrmals täglich das Medikament injiziert zu bekommen.

Als der entfernt wohnende Sohn bei seinen Eltern eintraf, plädierte er sofort für eine Flüssigkeitszufuhr über die Venen und darüber hinaus für eine künstliche Ernährung. Auch viele Gespräche konnten ihn nicht umstimmen. Die Mutter verweigerte weiterhin jede künstliche Zufuhr von Flüssigkeit und Nährstoffen. Nach einigen Tagen der ständigen Auseinandersetzung des ältesten Sohnes mit den Geschwistern und der Mutter gab es einen Moment, in dem die Mutter dem Legen eines Venenzugangs und der Infusion von Nährstoffen zustimmte. Obgleich sie bei der Meinung blieb, grundsätzlich keine Flüssigkeit und Nahrung künstlich zugeführt zu bekommen, ließ sie sich die Nadel legen und ließ auch das Anhängen der Infusionen missbilligend geschehen. Die Frau verstarb nach einigen Tagen.

An diesem Beispiel wird besonders deutlich, welche psychosozialen Herausforderungen in den Familien herrschen können, die zudem Fragen von möglichen Rechtsverletzungen aufwerfen können. Als Helfende*r kann es jedoch nicht die Aufgabe sein, zu richten oder Unzulänglichkeiten im sozialen System zu Recht zu rücken. Es gilt, unter dem Aspekt von Schaden und Nutzen abzuwägen und Handlungsalternativen aufzuzeigen. Wie das Beispiel zeigt, lässt sich jedoch manchmal auch damit ein tradiert handelndes soziales System nicht in andere, nach unserer Auffassung »bessere« Handlungsabläufe überführen. Angesichts der Sterbesituationen ist es sicherlich immer zu hinterfragen, wie viel Änderung überhaupt in dem langjährig geübten Verhalten tatsächlich gewünscht und gut ist. Zu dem Fallbeispiel sei noch anzumerken, dass der kulturelle Hintergrund dazu führte, dass sich die Mutter dem Wunsch des ältesten Sohnes beugte und ihren eigenen Wunsch dahinter stellte.

Bezogen auf das Konzept des Total Pain sind die in diesem Fallbeispiel vordergründigen palliativpflegerischen Probleme sicherlich mehr in der psychosozialen Begleitung und Unterstützung der Familie zu sehen als in der Umsetzung der ärztlichen Therapie.

Palliativpflege versucht im Kern, die eigenen Ziele der Erkrankten zu erfahren und daran orientiert die Hilfen und die Helfenden so zu unterstützen und zu koordinieren, dass die Hilfen als Unterstützung wahrgenommen werden und nicht als Last zusätzliche Herausforderungen darstellen.

Unter dem Einfluss all der bedrückenden Eindrücke durch Diagnose, der daraus entstehenden Perspektive sowie unter dem Einfluss der tatsächlich erfahrenen und zu erwartenden Einschränkungen, ist der Verlust von Autonomie und Selbstbestimmung aufzufangen und die Hilfe so auszurichten, dass als oberste Prämisse in der Unterstützung die Wahrung der Autonomie der Person im Vordergrund steht. Dieser Grundsatz gilt auch, wenn die Wünsche der Angehörigen in eine andere Richtung weisen.

Aktivierend-therapeutische Pflege in der Palliative Care

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