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4.1 Ästhetische Religion

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(1) Die Einsicht in den nicht-moralischen, zumindest nicht rein-moralischen Charakter der Religion, das Ende der Reduktion der Religion auf das caput mortuum, das von ihr innerhalb den Grenzen der bloßen (moralischen) Vernunft übrig geblieben ist, hätte einen Weg zur Erkenntnis der Religion als eines eigenständigen Phänomens, einer Gestalt, die nur ihrem eigenen Recht untersteht, öffnen und sichern können – einen Weg, der sie nicht allein dieser Ankoppelung an die Moral entnommen hätte, sondern sie auch aus der Nützlichkeitsrelation befreit hätte, in die sie von der späten Aufklärung mehrfach gestellt worden ist – ob man diesen Nutzen nun mehr in ihrem Wert für den Erfolg im täglichen Leben oder in der politischen Integrationsleistung der Religion gesehen hat. Gegen diesen Nutzenkalkül hat insbesondere Jacobi polemisiert: „So lange in diesem Zirkel herumgelaufen wird, muss die Religion den Staat, und der Staat die Religion verderben. Einen Gott sich nur darum zu wünschen, dass er unsere Schäze hüte, unser Haus in Ordnung halte, ein bequemes Leben uns verschaffe, das scheint mir ein Gräuel.“108

In Richtung der Befreiung der Religion aus solchen funktionalen Abhängigkeiten wie auch in Richtung ihrer Ablösung von Metaphysik und Moral hat insbesondere Schleiermacher in seinen ‚Reden‘ gewirkt: im Interesse der Anerkennung der Religion als „eigne Provinz im Gemüthe […], in welcher sie unumschränkt herrscht“.109 Doch entgegen Schleiermachers Absicht verrät sein Ausdruck ‚Provinz‘ vielmehr die Nicht-Eigenständigkeit, das Eingegliedertsein in ein größeres Ganzes, die Nicht-Souveränität: ‚Provinz‘ und ‚unumschränkte Herrschaft‘ schließen sich aus. Deshalb verwundert es nicht, wenn auch für die Religion nach ihrer Bindung an den metaphysisch begründeten Gottesgedanken und nach ihrer bedingungslosen Unterwerfung unter die Moral nunmehr neue Allianzen gesucht werden.

(2) Eine Option für eine solche neue innere Verbindung scheinen bereits Schleiermachers ‚Reden‘ nahezulegen – und er würde sie nicht so intensiv dementieren, wenn kein Anlass zu ihr bestände: die Nähe von Religion und Kunst, des Religiösen und des Ästhetischen. Die vielfältigen, tendenziell unendlichen Formen der ‚Anschauung des Universums‘ lassen sich zwanglos als Formen eines ästhetischen Weltverhältnisses beschreiben – schon der Begriff der ‚Anschauung‘ legt ja eine Spur zur Kunst. Hierfür spricht zudem, dass Schleiermacher sämtliche Charakteristika der herkömmlichen Religionen bedenkenlos preisgibt – einzelne Eigentümlichkeiten, Probleme ihrer jeweiligen Bestimmung des Menschen, ihres Verhältnisses zu einander und ihrer unterschiedlichen Ausprägungen des menschlichen Gottesverhältnisses. Die Unbestimmtheit, in der diese sonst durchaus bewegenden Fragen verbleiben, gerät zur Demonstration, dass dies alles minder wichtig sei, ob nun von Gott oder von der Gottheit oder von Göttern oder schlicht vom ‚Universum‘ geredet werde, und dass den einzelnen ‚Anschauungen‘ eine an einem inneren Kriterium gemessene Form der Wahrheit zukomme, die der Wahrheit eines Kunstwerks vergleichbar ist.

Dennoch – oder eben deshalb – polemisiert Schleiermacher gegen die Identifizierung der religiösen ‚Anschauung des Universums‘ mit den Formen eines ästhetischen Weltverhältnisses kaum weniger als gegen die Reduktion der Religion auf Metaphysik und Moral. Gegen das Missverständnis der von ihm angepriesenen Religion als Poesie schärft er ein, Anschauung und Gefühl des Universums, Sinn und Geschmack für das Unendliche seien nicht – wie diese Ausdrücke oder auch seine Rede vom ‚Virtuosen‘ eigentlich nahelegen – als ästhetische aufzufassen. Diese Abgrenzung antizipiert offenbar eine nicht erst nachfolgende Diskussion; sie richtet sich gegen eine damals, weit über den Kreis der Frühromantik hinaus verbreitete Tendenz. Den poetischen Charakter der Religion betont etwa Hölderlin. Sein Fragment Über Religion geht zwar aus von der Frage, warum die Menschen, wenn sie erst über die Verhältnisse der Notwendigkeit hinaus sind und ein „menschlich höheres Leben“ leben, „den Zusammenhang zwischen sich und ihrer Welt gerade vorstellen, warum sie sich eine Idee oder ein Bild machen müssen, von ihrem Geschik, das sich genau betrachtet weder recht denken ließe noch auch vor den Sinnen liege“ – und er beantwortet sie zunächst mit der Feststellung, dass der Mensch auf diese Weise „eine unendlichere, durchgängigere Befriedigung erfährt, als die Befriedigung der Nothdurft ist“. Dieser „innigere Zusammenhang des Lebens“ könne aber „weder blos in Gedanken, noch blos im Gedächtniß wiederholt werden“, da der Gedanke nur den „nothwendigen Zusammenhang“ erfassen könne. Diese Verhältnisse müssten vielmehr „als religiöse das heißt, als solche Verhältnisse“ betrachtet werden, „die man nicht so wohl an und für sich, als aus dem Geiste betrachten müsse, der in der Sphäre herrscht, in der jene Verhältnisse stattfinden“. Aus der Verschiedenheit der Sphären folgt aber, dass jeder seinen eigenen Gott habe, „und nur in so ferne mehrere Menschen eine gemeinschaftliche Sphäre haben, […] nur in so ferne haben sie eine gemeinschaftliche Gottheit“ – doch könne man „auch die beschränkte, aber reine Vorstellungsweise billigen, die der andere vom Göttlichen hat“, weil man sich auch in „der Beschränktheit dieser Lebensweise“ seine Freiheit geben und sie „in einem harmonischen Ganzen von Lebensweisen“ begreifen könne.

Insoweit betont Hölderlin insbesondere die sozialen Aspekte von Religion; dann aber grenzt er die religiösen Verhältnisse „von intellectualen moralischen rechtlichen Verhältnissen einestheils, und von physischen mechanischen historischen Verhältnissen anderntheils“ ab – und schließlich führt er aus, „daß die religiösen Verhältnisse in ihrer Vorstellung weder intellectuell noch historisch, sondern intellectuell historisch, d. h. Mythisch sind, sowohl was ihren Stoff, als was ihren Vortrag betrifft. Sie werden also in Rüksicht des Stoffs weder blos Ideen oder Begriffe oder Karaktere, noch auch bloße Begebenheiten, Thatsachen enthalten, auch nicht beedes getrennt, sondern beedes in Einem.“ Je nachdem, ob die mehr geschichtlichen oder mehr persönlichen Partien überwögen, werde die Darstellung mehr eine „epische Mythe“ oder eine „dramatische Mythe“ sein – doch die „eigentliche Hauptparthie“ sei ohnehin der „Gott der Mythe“. Und so zieht auch Hölderlin das Fazit aus seiner Darlegung: „So wäre alle Religion ihrem Wesen nach poëtisch.“110

Bezeichnend ist es, dass insbesondere im Umkreis des Athenäums – dem Schleiermacher selber angehört – Kunst bzw. allgemeiner „Poesie“ und Religion in enger Nachbarschaft gesehen werden. Und wenn es dort bereits im Athenäumsfragment 406, also vor der Veröffentlichung der ‚Reden‘, geheißen hat, „das Verhältnis des wahren Künstlers und des wahren Menschen zu seinen Idealen“ sei „durchaus Religion“,111 so rücken danach, in den ‚Ideen‘, Religion und Kunst noch weit enger an einander. Zum Teil wird der Religion eine konstitutive Bedeutung zwar nicht für Kunst überhaupt, aber für ihre Vollendung zugesprochen: Ohne Religion hätten wir „statt einer ewig vollen unendlichen Poesie […] nur Romane“; nur derjenige könne Künstler sein, „welcher eine eigne Religion, eine originelle Ansicht des Unendlichen hat“; die Religion sei „nicht bloß ein Teil der Bildung, ein Glied der Menschheit, sondern das Zentrum aller übrigen, überall das Erste und Höchste, das schlechthin Ursprüngliche“; überall keime die „Religion der Menschen und der Künstler“ auf, und wer Religion habe, werde Poesie reden.112 Doch wenn es danach scheinen kann als sei Schlegel nun ganz von Schleiermacher und die Poesie ganz von der Religion abhängig, so formuliert Schlegel auch in bewusster Entgegensetzung gegen Schleiermacher, Poesie und Philosophie seien „die Faktoren der Religion“, diese entstehe somit durch deren Multiplikation; man solle „alle Religionen aus ihren Gräbern wecken, und die unsterblichen neu beleben und bilden durch die Allmacht der Kunst und Wissenschaft“ – und ohne Poesie „wird die Religion dunkel, falsch und bösartig; ohne Philosophie ausschweifend in aller Unzucht und wollüstig bis zur Selbstentmannung“.113 Dann aber lebt Religion nicht in einer abgesonderten ‚Provinz‘, sondern sie ist ein konstitutives, gelegentlich dominierendes Moment in der Wechselbeziehung insbesondere mit Poesie und Philosophie.

(3) Doch nicht allein im engeren Umkreis der Frühromantik werden Kunst und Religion als benachbarte Gestalten gesehen; Gleiches gilt für die gleichzeitigen Systemkonzeptionen Schellings und Hegels. Diese Nähe ist – damals – aber keineswegs selbstverständlich. Sie setzt zwei Prozesse voraus – zum einen den betrachteten Prozess der Ablösung der Religion von der Moral und eine Neuinterpretation, die sie gegenüber der Kunst ‚anschlussfähig‘ macht – ob nun dadurch, dass beide als Manifestationsformen des Absoluten oder als Gestalten des Sichverstehens des Menschen gefasst werden. So lange hingegen die sittliche Forderung als der vernünftige Kern der Religion gilt, bleibt diese der Kunst fremd, und jeder Versuch, beide einander anzunähern, ist zum Scheitern verurteilt. Zum anderen aber muss auch der Begriff der Kunst erst die Wandlungen durchlaufen, die er insbesondere in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zurückgelegt hat: ‚Kunst‘ muss erst von der früheren τéχνη bzw. ‚ars‘, von der Kunst als ‚Kunstfertigkeit‘, als ‚Fertigkeit, gewisse mögliche Dinge zur Wirklichkeit zu bringen‘ (Gottsched), durch die Trennung der ‚freien‘ und ‚mechanischen Künste‘ von den ‚schönen Künsten‘, zunächst zu den ‚schönen Künsten‘ und schließlich zur schönen Kunst und zum ‚Werk‘ der schönen Kunst werden. Und auch damit noch nicht genug, denn auch dann blieben Kunst und Religion noch getrennt. Das ‚schöne‘ Werk muss noch – einen Schritt weiter – zu einem ‚heiligen‘ werden, und dies nicht etwa in dem Sinne, dass sein Sujet aus dem Bereich der Religion genommen würde, sondern teils dadurch, dass das Werk – vermittelt über den Begriff der Schönheit – auch dort eine gleichsam religiöse Bedeutung und Würde zugesprochen erhält, wo es nicht um Darstellung explizit-religiöser Themen zu tun ist, und teils dadurch, dass das Werk als Produkt eines vom Göttlichen begeisterten ‚Genies‘ aufgefasst wird.114

Dieses Ergebnis ist im Jahr 1800 erreicht – in der Frühromantik und im sogenannten ‚Frühen Idealismus‘, also im Umkreis einerseits der Brüder Schlegel, andererseits Schellings und Hegels. Für Schelling ist die Kunst „die einzige und ewige Offenbarung, die es giebt, und das Wunder, das, wenn es auch nur Einmal existirt hätte, uns von der absoluten Realität jenes Höchsten überzeugen müßte“. Mit dieser Formulierung überträgt Schelling gleich mehrere Begriffe, die der Sphäre des Religiösen entstammen, auf die Sphäre der Kunst, und er schränkt ihre Anwendung zugleich auf diese ein: Die Kunst sei die ‚einzige‘ Offenbarung. Dann aber verrät es ein Missverständnis, neben ihr noch eine weitere suchen und glauben zu wollen. Und er fügt noch einen weiteren Begriff hinzu, der ebenfalls theologisch konnotiert ist – den des Unendlichen: Durch die ästhetische Produktion werde „ein Unendliches endlich dargestellt. Aber das Unendliche endlich dargestellt ist Schönheit.“115

Das ‚Unendliche‘ ist aber nur ein anderes Wort für das ‚Absolute‘. Hegel hat in seiner ‚Differenz-Schrift‘, im Rückbezug auf Schellings System des transscendentalen Idealismus, diesen Gedanken weiter ausgeführt, in einer an Schelling angelehnten Skizze des Verhältnisses von Kunst, Religion und Philosophie: Kunst und Philosophie („Spekulation“) seien „in ihrem Wesen der Gottesdienst; beydes ein lebendiges Anschauen des absoluten Lebens, und somit ein Einsseyn mit ihm“. Aber diese „Anschauung“ erscheine „in der Kunst mehr in einen Punkt koncentrirt und das Bewußtseyn niederschlagend – entweder in der eigentlich sogenannten Kunst, als Werk, […] ein Produkt des Individuums, des Genies, aber der Menschheit angehörend – oder in der Religion, als […] das Produkt einer Menge, einer allgemeinen Genialität, aber auch jedem einzelnen angehörend“.116

Kunst im ‚eigentlichen‘ Sinne und Religion unterscheiden sich nur durch die Richtung ihrer Bewegung – vom Einzelnen zum Allgemeinen oder vom Allgemeinen zum Einzelnen gehend – sowie durch den Werkcharakter der eigentlichen Kunst und die ‚allgemeine Genialität‘ der Religion; ungeachtet dieser Differenz aber sind sie als dem Wesen nach identisch aufgefasst: Gemeinsam mit der ‚Spekulation‘ sind sie beide ‚Anschauung des Absoluten‘. Der Religion kommt insofern ein spezielles Gewicht zu, als Hegel diese gesamte Sphäre als ‚Gottesdienst‘ bezeichnet, der Kunst jedoch insofern, als Hegel auch die Religion unter den Oberbegriff ‚Kunst‘ stellt. Die Religion ist somit hier zu einem speziellen Fall von ‚Kunst‘ geworden, und ihr traditionelles Spezifikum, Gottesdienst zu sein, hat sie an die höheren Einheiten, an Kunst und Spekulation abgetreten.

Wenige Monate später revidiert Hegel in der ersten, weit vorausgreifenden Skizze seines eigenen ‚Systems‘ diese Zuordnung von Kunst, Religion und Philosophie – ohne jedoch das Verhältnis von Religion und Kunst prinzipiell zu verändern. Die „Idee des Absoluten“ werde am Schluss ihrer Selbstexplikation, im letzten Systemteil, einer „Philosophie des Geistes“, „in der Philosophie der Religion und Kunst“ zu sich zurückkehren und die „Anschauung Gottes“ organisieren.117 Damit ist zwar das schellingianisierende architektonische Gefüge der ‚Differenz-Schrift‘ mit seinen Unter- und Überordnungen verändert, doch bleibt es bei der inneren Einheit von Kunst und Religion. Und selbst wenn Hegel hier nicht eine einheitliche ‚Philosophie der Religion und Kunst‘, sondern eine Trennung von ‚Philosophie der Religion‘ und ‚Philosophie der Kunst‘ geplant hätte, so wäre auch dadurch nicht die Einheit beider aufgelöst, in der sie als Formen der Selbstanschauung des Absoluten stehen.

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