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Die Welt von ihren beiden Enden her kartografieren
ОглавлениеWegen des damaligen Kenntnisstandes waren China und Amerika die Regionen, die die europäischen Kartografen am wenigsten genau darstellten. Ihre Form schüchterte die Kartografen noch jahrzehntelang ein, da niemand auch nur die geringste Erinnerung daran hatte. Um die beiden Amerikas zu zeichnen, fuhren die Europäer kartografierend die Küsten entlang und die Flüsse hinauf und stellten diese Kontinente zusehends besser dar. Für China, das dieser Art fremden Eindringens widerstand, fand man eine andere Lösung: chinesische Karten ausleihen. Die Jesuitenmissionare, die als Erste gegen Ende des 15. Jahrhunderts in China einreisten, erwarben chinesische Karten und stellten sie den Kaufleuten und den europäischen Staaten zur Verfügung, die erpicht darauf waren, in den ostasiatischen Gewässern Handel zu treiben. So kamen langsam chinesische Karten nach Europa und manche wurden sogar in europäischen Publikationen abgedruckt. Allerdings war es schwierig, sie auf den Raum bezogen zu interpretieren, und das nicht nur, weil niemand in Europa Chinesisch lesen konnte, sondern auch, weil niemand die chinesische kosmologische Geometrie verstand.
Die Grundregel der chinesischen Kosmologie ist, dass der Himmel rund ist und die Erde quadratisch oder wenigstens rechteckig. So tendierten die chinesischen Kartografen dazu, die Konfigurationen der Erde, auch die Chinas, als Quadrate darzustellen, selbst wenn sie keinen rechten Winkel hatten. Da sie ihre Welt als Quadrat im Gedächtnis hatten, zeichneten sie sie so. Es handelt sich um ein durchaus bemerkenswertes Charakteristikum der Karten, die uns das China der Ming-Dynastie hinterlassen hat. Da sie sich nicht vorstellen konnten, dass sie die symbolische Darstellung Chinas außer Betracht lassen sollten, reproduzierten die europäischen Kartografen, was sie vor Augen hatten. Erstaunlicherweise war das Resultat – das man auf der Karte Chinae regnum in der Universalgeschichte Westindiens von Cornelius van Wytfliet aus dem Jahr 1607 sehen kann – nicht ein topografisch exaktes Bild, sondern eine chinesische Erinnerung an den Blickwinkel, unter dem das Land dargestellt werden sollte. Als vollständigere maritime Informationen bezüglich der chinesischen Küste nach Europa gelangten, änderten die Kartografen ihre Darstellung Chinas und gaben ihm eine ovale Form, obwohl einige wie Samuel Purchas (um 1577–1626), englischer Chronist und Geograf, lauthals protestierten, dies sei ein Irrtum, und nachdrücklich behaupteten, dass die korrekte Konfiguration Chinas die der chinesischen Version sei.
Die Beeinflussung machte sich auch in umgekehrter Richtung bemerkbar. Als die Jesuitenmissionare und die gewöhnlichen Reisenden sich über ganz Asien verbreiteten, brachten sie europäische Karten mit. Vor Ort übten diese Bilder Einfluss auf die lokale kartografische Praxis aus und brachten ein neues hybrides Bild der Welt hervor. Ebenso, wie die europäischen Kartenverleger wollten, dass ihre Leser ein Bild von der Welt einschließlich Chinas haben können, reproduzierten chinesische Herausgeber in den ersten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts europäische Karten, um die Neugier ihrer Leserschaft anzustacheln. Matteo Ricci (1552–1610), Missionsleiter in Peking, benutzte bewusst die Kartografie, um die Aufmerksamkeit zu wecken, indem er mehrere mappae mundi reproduzierte und sie sowohl an Freunde als auch an Verleger verteilte. Er ist insbesondere berühmt, weil er 1602 eine im 16. Jahrhundert gebräuchliche Variante des Werks von Mercator druckte, die unter dem Namen Pseudozylinderprojektion bekannt wurde, bei der sich die Meridiane in Richtung der Pole krümmen, um zu einem Kompromiss zwischen einem Quadrat und einem Kreis zu kommen. Auf dieser Karte und auf anderen trug er Sorge, die westliche und östliche Hemisphäre leicht zu verschieben, damit China – das er mit seinem dynastischen Namen Großer Ming-Staat bezeichnete – näher an der Stelle sei, an der die Chinesen es erwarteten. Das Ergebnis glich überhaupt nicht dem, was die Chinesen kannten. Einige waren interessiert, aber die meisten waren nicht überzeugt: Diese Karte erinnerte sie an nichts, was sie kannten – außer China und selbst dieses hatte nicht die richtige Form.