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Die kurze Herrschaft des liberalen Bürgertums

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Zwar herrschte das „deutsche“ Bürgertum in Österreich zunächst nur in Gestalt der Bürokratie.11 Mit der Zurücknahme „bürgerlicher“ Freiheiten erhielt aber das unternehmerische Großbürgertum erhebliche Freiräume. Die schwierige finanzielle Lage des Staates steigerte noch die Einflussmöglichkeiten der Finanzbourgeoisie, denn der Staat brauchte ungeheuer viel Geld für den Aufbau des neuen, staatlichen Gerichts- und Verwaltungssystems mit zahllosen neuen Beamten. Gleichzeitig blieben die Ausgaben für Armee und die (neue) Gendarmerie hoch.12 Und sie stiegen noch, als im Rahmen des Krimkrieges Österreich die rumänischen Fürstentümer besetzte und eine Armee in Galizien stationierte. Diese Politik führte zur Dauerfeindschaft mit Russland, ohne die liberalen Westmächte (England, Frankreich) als Freunde zu gewinnen. Schließlich wurde nach der Niederlage bei Solferino 1859 dem Kaiser bedeutet, dass es neue Kredite für den hoch verschuldeten Staat nur mit einer parlamentarischen Vertretung, zumindest für eine Kontrolle der Staatsfinanzen, geben würde. So erzwang man vom unwilligen Kaiser die Einrichtung von Vertretungskörpern, von Landtagen und eines gesamtstaatlichen „Reichsrats“, die in erster Linie als Kontrollore der Steuerzahler gegenüber der undurchsichtigen Ausgabenpolitik des Staates gedacht waren.

Das 1861 im Rahmen des „Februar-Patents“ erlassene Wahlrecht für Gemeinden und Landtage, aus denen dann erst die Vertreter im Reichsrat gewählt wurden, war sehr deutlich auf die Interessen des Bürgertums zugeschnitten. Da es theoretisch in erster Linie um die Finanzkontrolle ging, wurde das Wahlrecht konsequent an die Steuerleistung gebunden: In den Gemeinden war jede Person wahlberechtigt, die eine direkte Steuer (Grund-, Gewerbe-, Hausklassen- oder Einkommensteuer) bezahlte. Für die Landtage waren allerdings nur die oberen zwei Drittel der Gemeindewähler bzw. in großen Städten nur Steuerzahler mit einer Steuerleistung von mehr als zehn Gulden pro Jahr wahlberechtigt. Zusätzlich wahlberechtigt waren Inhaber von Bildungspatenten: Lehrer, Professoren, Priester, Ärzte, Ingenieure, Advokaten, in den Küstengebieten auch Kapitäne. Gemeindevertretungen, Landtage und „Reichsrat“ sollten von „Besitz und Bildung“ beherrscht werden.

Erst 1867 – nach der Niederlage von Königgrätz – erhielten diese Vertretungskörper mehr Aufgaben und alle Staatsbürger mit den fünf Staatsgrundgesetzen („Dezemberverfassung“) die vom liberalen Bürgertum schon lange geforderten Grundrechte, die Unabhängigkeit der Rechtsprechung, die Trennung von Justiz und Verwaltung und eine klare Definition für die Positionen von Parlament und (kaiserlicher) Regierung. Jetzt wurde auch erstmals eine Regierung eingesetzt, die weitgehend aus Herren aus dem Bürgertum bestand – das „Bürgerministerium“. Sein Chef, der Ministerpräsident, war zum Ausgleich für soviel Bürgerlichkeit „Carlos“ Fürst Auersperg, der „erste Kavalier des Reiches“. Die bürgerlichen Minister leisteten in der Tat gute Arbeit. Erwähnt sei hier nur die Verabschiedung des Reichsvolksschulgesetzes, das der Unterrichtsminister Leopold Hasner Ritter von Arta (1818– 1891)1869 im Reichsrat eingebracht hatte. Die Vertretung des Bürgertums, der deutsche, zentralistische Liberalismus, entwickelte noch bis 1875 einige Lösungskompetenzen für Felder, die zukünftiges „zivilgesellschaftliches“ Engagement erleichtern sollten, etwa durch das Genossenschaftsgesetz (1873), das die 1867 errungene Vereinsfreiheit im Bereich der wirtschaftlichen Tätigkeit ergänzen sollte. Mit der Koalitionsfreiheit erleichterten die Liberalen auch die Selbstorganisation der Arbeiterschaft. Nach einigen konfessionellen Gesetzen war um 1875 ihre Gestaltungskraft erlahmt. Die Liberalen wurden zu Verteidigern der errungenen gesetzlichen und der erarbeiteten materiellen Möglichkeiten, aber sie verloren jetzt ihre Rolle als vorwärtstreibende Spitze der bürgerlichen Gesellschaft. Sie wurden tatsächlich konservativ.

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