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6. Zu beherzigende Lehren
ОглавлениеMan wird sich der Vorteile einer Bürgergesellschaft nur solange erfreuen, wie wünschenswerte Streitlust oder Radikalität gerade nicht zur Gewaltanwendung führen, wie also dem jeweiligen Streitgegner – und sei er auch ein Radikaler – gerade nicht mit Gewalt begegnet wird. Deshalb sind unbedingt die folgenden Regeln zu akzeptieren und zu befolgen. Erstens: Gewalt, die gegen Gesetze verstößt, ist grundsätzlich abzulehnen, ganz gleich, gegen wen sie sich richtet, und unabhängig von allen Motiven außer Notwehr und Nothilfe. Gegen dennoch ausgeübte Gewalt ist polizeilich vorzugehen. Zweitens: Als Mittel innerstaatlicher Politik ist Gewalt erst recht abzulehnen, und zwar bereits solche Gewalt, die – noch ganz im Rahmen der Gesetze – auf Einschüchterung ausgeht. Auch Sorgen um die Folgen unzulänglicher Politik oder Empörung ob der Arroganz politischer Gegner rechtfertigen niemals Gewalt oder deren Androhung.
Wir tun gut daran, solche Grundsätze für das Funktionieren einer Bürgergesellschaft nicht nur abstrakt aufzustellen, sondern sie auch in ihren konkreten Folgen zu bedenken und ganz praktisch zu beherzigen. Beziehen wir deshalb diese Grundsätze beispielsweise auf die – uns gewiss noch lange begleitenden – Streitfragen der Einwanderungs- und Integrationspolitik, und zwar präzis auf die immer wieder vorkommenden Übergriffe auf Geflüchtete und auf deren Unterkünfte. Zwar ist dieses Beispiel austauschbar, derzeit aber besonders lehrreich. Halten muss man es – bei aller Radikalität im politischen Streit – nämlich so:
Es ist ungerecht, Unzufriedenheit über Mängel von Einwanderungs- oder Integrationspolitik an Bürgerkriegsflüchtlingen oder Asylbewerbern, an im Land lebenden Ausländern oder an fremdartig anmutenden Mitbürgern auszulassen. Deshalb sind Flüchtlings- und Asylbewerberunterkünfte die völlig falsche Stelle für Protestaktionen zur Einwanderungs- und Integrationspolitik. Es ist schäbig, um der öffentlichen Aufmerksamkeit willen derlei Kundgebungen dort zu veranstalten, wo vor allem solche Menschen zur Zielscheibe von Feindseligkeiten werden, die gar nichts für die in einem Land auszufechtenden politischen Konflikte können. Es ist ferner ungerecht, Sorgen und Empörung angesichts der Unzulänglichkeiten oder Fehlerhaftigkeit von Einwanderungs- und Integrationspolitik in Feindseligkeiten gegen überforderte Bürgermeister und Landräte oder gar gegen jene Polizisten umzusetzen, die unter so schwierigen Umständen die öffentliche Ordnung zu wahren sowie die Demonstrationsrechte aller zu sichern haben. Und dass jemand anders aussieht oder anders kulturell geprägt ist als man selbst, rechtfertigt es ohnehin in keiner Weise, ihn herabzusetzen, zu verachten oder gar entsprechend zu behandeln. Wer das tut, sich also rassistisch verhält, hat einen beschädigten moralischen Kompass oder einen schlechten Charakter. Und wen man trotz eigener Dialogbereitschaft nicht für ein humanes Miteinander gewinnen kann, den muss man aus dem akzeptablen politischen Diskurs eben ausgrenzen.
Aufs Knappste verdichtet, heißt das alles: Gerade um des Fortbestehens einer Bürgergesellschaft und ihrer pluralistischen Demokratie willen muss man gewalttätige Radikale sowie alle Extremisten bekämpfen – und kann sich dann gerade dank selbstverständlicher Durchsetzung von Gewaltlosigkeit die für politische Lernfähigkeit so wichtige Radikalität leisten und dadurch die pluralistische Demokratie besonders lernfähig machen. Gewiss ist das eine komplexe Einsicht, eine nicht selten emotional schwerfallende Haltung. Doch ohne die entsprechenden intellektuellen und emotionalen Kosten auf sich zu nehmen, kann man einfach nicht vom großen Wert einer Bürgergesellschaft und ihrer pluralistischen Demokratie profitieren.