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1918 – Ende der bürgerlichen Welt?

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Doch 1914 wurde in Wien ein Weltbrand entzündet, den die Habsburgermonarchie nicht überlebte. 1918 zerbrach nicht nur die Monarchie, sondern auch die sichere Welt des Bürgertums – die Welt der soliden, traditionellen Geschäftsbeziehungen zwischen Reichenberg, Prag, Proßnitz, Wien und Budapest, zwischen Lemberg und dem Balkan, Triest und Alexandria. Es zerbrachen der gemeinsame Markt und der gemeinsame Staat. Was wurde nun aus den bürgerlichen Schichten?

Die traditionellen Sicherungsstrategien der bürgerlichen Schichten (auch der kleineren) erwiesen sich als trügerisch: Weder der Besitz an Wert- (insbesondre Staats-)Papieren noch der Besitz eines Miethauses, weder eine gehobene Position im öffentlichen Dienst noch im privaten Dienstleistungssektor schützten in der Kriegs- und Nachkriegsinflation vor plötzlichen Vermögensverlusten – bis hin zur totalen Infragestellung der Lebensgrundlage. Selbst sehr vorsichtig agierende Rentiers, die sich keineswegs auf Kriegsanleihen einließen, verloren bis zu drei oder vier Fünftel ihres Vermögens.19

Aber dieser Bruch traf nicht alle bürgerlichen Klassen der Monarchie in gleicher Weise. Sicher, gewisse Vermögenseinbußen durch den Wertverlust der österreichischen (und ungarischen) Staatspapiere dürften so ziemlich alle Besitzenden erlitten haben. Aber es ist erstaunlich, wie schnell die tschechoslowakische Aufbauanleihe unmittelbar nach der Staatsgründung 1918 überzeichnet war – die tschechische Bourgeoisie hatte offenkundig einige Reserven, die sie dem alten Österreich vorenthalten hatte, dem neuen – ihrem – Staat aber gerne anvertraute. Hauptverlierer der Veränderung war eindeutig – Otto Bauer hat das in oft zitierten Worten gesagt – das deutsch-österreichische, insbesondere das Wiener Bürgertum: „[...] Derselbe Prozeß der Geldentwertung [...] hat breite Schichten der alten Bourgeoisie pauperisiert. Zunächst traf dieses Schicksal die Rentiers [...] Mit den Rentiers wurden die Hausbesitzer expropriiert [...] Auch die höhere Beamtenschaft wurde von der Geldentwertung niedergedrückt [...] Es war das Altwiener Patriziat, es waren die führenden Schichten der österreichischen Intelligenz, es waren große Teile des mittleren und kleineren Bürgertums, die durch die Geldentwertung verelendet wurden. Sie waren die eigentlich herrschende Klasse der Habsburgermonarchie gewesen. Sie waren die Träger des österreichischen Patriotismus, der altösterreichischen Tradition gewesen. Sie hatten der Habsburgermonarchie ihre Beamten, ihre Offiziere gestellt. Sie waren die Träger des österreichischen Patriotismus, der altösterreichischen Tradition gewesen. Sie waren seit einem Jahrhundert die Träger der spezifisch österreichischen Kultur, der Wiener Literatur, der Wiener Musik, des Wiener Theaters gewesen. Sie waren die eigentlich Besiegten des Krieges. Es war ihr Reich, das im Oktober 1918 zusammengebrochen war. Und mit ihrem Reich hatten sie auch ihren Reichtum verloren [...]“ 20.

Allerdings hat gerade der Mieterschutz verarmten Bürgerlichen weiterhin die Aufrechterhaltung eines Wohnstandards ermöglicht, der bei einem völlig freien Wohnungsmarkt nicht zu halten gewesen wäre.21 Auch die Freizeit- und Sommerfrischegewohnheiten veränderten sich kaum. Im Gegenteil – gleich nach dem Kriege flüchtete man sich oft in die Sommerfrischen, in der stillen Hoffnung, hier gäbe es bei den Bauern noch etwas Nahrung. Der Kapitalmangel ließ auch keinen bedeutenderen Käufermarkt für schon früher erstandene Sommersitze entstehen, sodass auch hier eine recht erstaunliche Kontinuität zu beobachten ist.22

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