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2. Stand der Forschung: Varietäten und Plurizentrik des Spanischen 2.1 Sprachwissenschaftliche Perspektive

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Nach der arabischen Eroberung ab 711 ins Kantabrische Bergland zurückgedrängt, hat das Iberoromanische Stück für Stück zunächst die Iberische Halbinsel (zurück-)erobert und sich dann auch darüber hinaus v. a. nach Amerika verbreitet. Heute leben 90% der 442 Mio. L1-Sprecherinnen und Sprecher des Spanischen in Hispanoamerika gegenüber nur 43 Mio. in Spanien. Das größte spanischsprachige Land der Welt aber ist mit großem Abstand Mexiko (113 Mio. Sprecherinnen und Sprecher). Spanien teilt sich mit Kolumbien und den USA in etwa den zweiten Platz (vgl. Ethnologue 2019). Insofern ist es kaum verwunderlich, dass das Spanische regional variiert und sogar mehrere Normen parallel existieren (Plurizentrik). Dennoch können sich die hispanohablantes weltweit verstehen (unidad de la lengua).

2.1.1 Regionale Varietäten

Das Spanische hat eine vollkommen andere Dialektlandschaft als das Deutsche. Die regionalen Unterschiede sind viel geringer. Dies lässt sich historisch erklären: Die heutigen spanischen Regiolekte in Spanien setzen nicht das Vulgärlatein oder das Iberoromanische fort, sondern gehen auf die Varietäten des Kantabrischen Berglands ganz im Norden des Landes zurück. Von dort aus startete kurz nach der arabischen Eroberung von Covadonga aus die Rückeroberung (Reconquista). Die Varietäten Kastiliens und Andalusiens gehen also auf einen gemeinsamen Ursprung zurück. Es handelt sich um Migrationsvarietäten, die Koineisierungsprozesse durchgemacht haben (vgl. Penny 2002, 318). Lediglich das Asturisch-Leonesische und das Navarro-Aragonesische in Nordspanien sind Dialekte im engeren Sinne. Daneben existieren in Spanien auch Varietäten, die sich im Kontakt mit einer Regionalsprache (Katalanisch, Galicisch, Baskisch) herausgebildet haben. Die Dialektlandschaft in Hispanoamerika entspricht noch weniger den Vorstellungen der traditionellen Dialektologie. Auch hierhin wurde das Spanische durch Migration ‚importiert‘. In der Phonetik und Phonologie bestehen die größten Unterschiede allerdings nicht zwischen den alten Vizekönigreichen (Mexiko, Peru, La Plata-Region), sondern zwischen den sogenannten tierras altas, den Hochlandgebieten, und den tierras bajas, den Küstengebieten. In den Varietäten der tierras altas werden typischerweise die unbetonten Vokale geschwächt, in denen der tierras bajas dagegen das Coda-/s/. Demnach realisiert man in Mexiko diez pesos ‚zehn Pesos’ [ˈdjesːˈpesː] und in Argentinien [ˈdjeʰˈpesoʰ] (Pustka 2021, 204).

2.1.2 Normen

Heute ist unumstritten, dass das Spanische eine plurizentrische Sprache darstellt. Sogar die Real Academia Española, die sich als Hüterin der unidad de la lengua präsentiert, hat die Plurizentrik akzeptiert:

La norma tiene hoy carácter policéntrico. La muy notable cohesión lingüística del español es compatible con el hecho de que la valoración social de algunas construcciones pueda no coincidir en áreas lingüísticas diferentes. No es posible presentar el español de un país o de una comunidad como modelo panhispánico de lengua (NGLE 2011, Prólogo XLII).

Allerdings ist sich die Forschung nicht darüber einig, welche Normen genau zu unterscheiden sind. Während man in Hispanoamerika gemeinhin eine habla culta pro Land bzw. pro Hauptstadt annimmt (vgl. z. B. Chiquito & Quesada Pacheco 2014), geht Oesterreicher (2001, 310) neben einem „europäischen Standardspanischen“ von „mindestens drei amerikanischen Großzonen-Standards“ aus: „Mexiko, Buenos Aires mit den La Plata-Staaten und ein Spanisch der Andenstaaten“. Er ergänzt: „In der Karibik und im nördlichen Südamerika sowie in Chile sind die Verhältnisse noch nicht so klar, Vergleichbares gilt für die Beurteilung des Spanischen in den U.S.A.“. Moreno-Fernández (2015, 7-8) nimmt die Karibik und Chile noch dazu und unterscheidet innerhalb Spaniens zusätzlich zwischen einer kastilischen, einer andalusischen und einer kanarischen Norm. Dabei situiert er die Norm in der jeweiligen Hauptstadt sowie oft auch in anderen Großstädten.

Es stellt sich allerdings die Frage, ob sich die Aussprache, die uns im Rahmen dieses Artikels in erster Linie interessiert, überhaupt auf dieselben sprachlichen Modelle beziehen kann wie die Grammatik und das Lexikon: Während letztere in Grammatiken und Wörterbüchern explizit kodifiziert werden und diese Normen in Schule und Verlagswesen eingefordert werden, sind Aussprachenormen größtenteils implizit. Daher dürften diese viel mehr der Dialektlandschaft der spanischsprachigen Welt entsprechen, die den politischen Einheiten stark widerspricht (vgl. Kapitel 2.1.1); Normen im Bereich von Grammatik und Lexikon dagegen beziehen sich stärker auf die Hauptstädte und verlaufen stärker entlang der nationalen Grenzen.

Daneben existiert auch die Vorstellung eines hispanoamerikanischen español neutro – die sich ihrerseits speziell auf die Mündlichkeit bezieht. Darunter versteht man seit den 1960er Jahren die „Hybridform“ oder „Kunstsprache“ (Meisnitzer 2017, 202) von Synchronsprecherinnen und -sprechern, die für bestimmte Regionen typische Lexeme und Aussprachevarianten vermeiden. Perzeptionstests haben gezeigt, dass diese oft mit dem mexikanischen Spanisch verwechselt bzw. gleichgesetzt wird (vgl. Lüffe 2013; zit. in Meisnitzer 2017). Dies ist kaum verwunderlich, da die meisten Synchronisierungen US-amerikanischer Filme und Serien in Mexiko durchgeführt werden. Häufig existieren Parallel-Synchronisierungen auch im europäischen Spanisch, z. B. bei Disney-Filmen (vgl. ebd., 203-208).

Dieses hispanoamerikanische español neutro deckt sich immer mehr mit der Idee einer panhispanischen Norm, in der laut Pöll (2012, 42) der Anteil hispanoamerikanischer Varianten stetig zunimmt:

Respecto a las relaciones entre centro y periferia se ha constatado que en el caso del español la globalización favorece la periferia […]. […] El español es probablemente la única lengua en la que el ideal de una norma abarcando todo el dominio es compatible con el modelo pluricéntrico. Pese a algunas voces críticas, la coexistencia de varias ejemplaridades, vigentes cada una en su sector o ámbito respectivo, con un ideal normativo panhispánico que acoge cada vez más rasgos americanos parece ser la base adecuada para el cultivo del español por parte de la Real Academia y sus Academias asociadas. El hecho de que buena parte de los hispanófonos parezcan ser favorables a este proceso indica que se trata de un camino prometedor que otras comunidades lingüísticas todavía están buscando.

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