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2.2 Didaktische Perspektive

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Nach diesem kurzen sprachwissenschaftlichen Überblick über die regionalen Varietäten und die Plurizentrik des Spanischen kommen wir nun zu ihrer Berücksichtigung im Schul- und Universitätsunterricht. Dazu werden wir uns zunächst den Status quo der Bildungsnormen auf europäischer, nationaler und regionaler Ebene sowie der Lehrwerke genauer ansehen. Im Anschluss fassen wir die wissenschaftlichen Diskussionen in Bezug auf die Zielvarietät(en) für die aktive und passive Sprachkompetenz zusammen. Das abschließende Unterkapitel stellt die Ergebnisse der bisher existierenden Untersuchungen der Einstellungen von Spanischstudierenden vor (vgl. Reissner 2017; Reimann et al. 2018; Reimann & Cantone 2021), mit denen wir im Anschluss die Ergebnisse unserer eigenen Studie vergleichen.

2.2.1 Bildungsnormen

Der Gemeinsame Europäische Referenzrahmen für Sprachen (GeR) zählt zur soziolinguistischen Kompetenz auch „die Fähigkeit, sprachliche Variation“, u. a. aufgrund regionaler und nationaler Herkunft, „zu erkennen“ (Europarat 2001, 120). Diese taucht jedoch nicht in der Skala zur „Soziolinguistischen Angemessenheit“ auf, sondern lediglich beim „Hörverstehen“ und nur im Rahmen der „Rezeptive[n] Aktivitäten und Strategien“ in der Skala „als Zuschauer/Zuhörer im Publikum verstehen“ – und in beiden Fällen lediglich auf Niveau C2: „Kann genug verstehen, um längeren Redebeiträgen über nicht vertraute, abstrakte und komplexe Themen zu folgen, wenn auch gelegentlich Details bestätigt werden müssen, insbesondere bei fremdem Akzent“ bzw. „Kann Fachvorträge oder Präsentationen verstehen, die viele umgangssprachliche oder regional gefärbte Ausdrücke oder auch fremde Terminologie enthalten“ (Europarat 2001, 71-72).

Auf nationaler Ebene fordern die nationalen Bildungsstandards2 für die fortgeführte Fremdsprache in Deutschland dagegen bereits auf „grundlegendem Niveau“ im Bereich der „Sprachbewusstheit“ varietätenlinguistische Kompetenz: „Die Schülerinnen und Schüler können […] regionale, soziale und kulturell geprägte Varietäten des Sprachgebrauchs erkennen“ (KMK 2012, 21). In Österreich, wo es einen nationalen Lehrplan gibt, präzisiert dieser (für alle lebenden Fremdsprachen gleichermaßen):

Nationale Sprachvarietäten sind exemplarisch zu integrieren. Bei speziell gegebenen Interessensschwerpunkten sind auch regionale, soziale, berufsspezifische und nicht-muttersprachliche Sprachvarianten zu berücksichtigen. Handelt es sich bei der gelehrten Fremdsprache um eine internationale Verkehrssprache (Lingua franca), ist auch der Kontakt mit nicht-muttersprachlichen Aussprachevarianten zu ermöglichen (Lehrplan AHS, Lebende Fremdsprache (Erste, zweite)).

In Deutschland fordern die Spanisch-Lehrpläne der Bundesländer eine Berücksichtigung der regionalen Varietäten und Normen schon in der Spracherwerbsphase, z. B.:

[…] verstehen mäßig schnell gesprochene und auch regional gefärbte Äußerungen von Muttersprachlern global und erfassen den Informationsgehalt etwas anspruchsvollerer, klar gegliederter, auch erster authentischer Hör- und Hörsehtexte zu bekannten Themen, z. B. Interviews, Audio- und Videopodcasts für den Spracherwerb (LehrplanPLUS (Bayern) 2021, 2. Lernjahr, Jahrgangsstufe 9).

Die Schülerinnen und Schüler können Äußerungen und authentische Hör- bzw. Hör- sehtexte zu vertrauten Themen verstehen, sofern deutlich artikulierte repräsentative Varietäten der Zielsprache verwendet werden (Lehrplan NRW für Spanisch 2014, 19).

Die Lehrpläne und Bildungsstandards fordern also eine varietätenlinguistische Kompetenz auf rezeptiver Ebene (vgl. dazu auch die „rezeptive Varietätenkompetenz“ nach Reimann 2017).

Welche Varietäten im Unterricht behandelt werden sollen und in welcher Varietät der Unterricht durchgeführt werden soll, wird allerdings meist nicht thematisiert. Da oft die Lehrwerke als der ‚heimliche Lehrplan‘ angesehen werden, kommen diesen bei der Wahl der Varietäten eine tragende Rolle zu. Im Folgenden sehen wir uns deshalb zunächst die Lehrwerke an, bevor wir zu den Lehrerinnen und Lehrern kommen, die im Fremdsprachenunterricht kontinuierlich als Modell für die Schülerinnen und Schüler auftreten.

2.2.2 Lehrwerke

Laut didaktischer Forschungsliteratur (vgl. Leitzke-Ungerer 2017a, 42; Montemayor & Neusius 2017, 185) wird derzeit in den deutschsprachigen Lehrwerken das kastilische Spanisch stark favorisiert. Wir haben im Folgenden die beiden am weitesten verbreiteten Lehrwerke3 genauer untersucht – sowohl die Bücher für die Schülerinnen und Schüler als auch die zugehörigen Hörverstehensmaterialien: Encuentros (Edición 3000), das für Spanisch als dritte Fremdsprache eingesetzt wird, und Adelante für Spanisch als spätbeginnende Fremdsprache.

Beide Lehrwerke üben in der Aussprache v. a. spezielle españolismos ein: [θ] und [ʎ] (während die entsprechenden weiter verbreiteten Varianten [s] und [j] eigentlich gar keiner Übung bei deutschsprachigen Lernerinnen und Lernern bedürfen). Explizite Hinweise zur Aussprache in anderen spanischsprachigen Regionen geben beide Lehrwerke kaum. Adelante führt zu Beginn des ersten Lernjahres die Aussprache der spanischen Konsonanten ein: <ce>, <ci> und <z> werden mit [θ] transkribiert (vgl. Adelante 2010, 12). An dieser Stelle findet sich noch kein Hinweis auf Unterschiede zwischen verschiedenen Regionen. Die Schülerinnen und Schüler werden erst in der zweiten Lektion darauf hingewiesen, dass die Graphemfolgen <ce> und <ci> in Lateinamerika und einigen Regionen Spaniens als [s] realisiert werden (vgl. ebd., 34). Auch Encuentros stellt eine Übung zur Aussprache dieser Graphemfolgen zur Verfügung. In der ersten Lektion erarbeiten sich die Schülerinnen und Schüler anhand von Sprachbeispielen, wann [k] realisiert wird. Ein Hinweis auf die Aussprachevariante [s] neben [θ] folgt nicht (vgl. Encuentros 2010, 12). Auch bietet Encuentros gleich zu Beginn eine Ausspracheübung zum kastilischen [ʎ] an (vgl. ebd., 9), ohne darauf hinzuweisen, dass [j] deutlich verbreiteter ist (vgl. Rost Bagudanch 2015, 417). Das Lehrbuch bildet im Anhang die Aussprache der spanischen Konsonanten ab, wobei hier darauf hingewiesen wird, dass statt [ʎ] häufig [j] ausgesprochen wird. Ein Hinweis auf seseo fehlt auch hier (vgl. Encuentros 2010, 177). Im Gegensatz hierzu bietet Adelante im zweiten Lernjahr eine Hörverstehensübung, bei der die Schülerinnen und Schüler Unterschiede zwischen dem Spanischen aus Cusco und Zaragoza herausarbeiten (vgl. Adelante 2011, 16). Im dritten Lernjahr gibt es eine Ausspracheübung zum chilenischen Spanisch (vgl. ebd., 27).

Auch beim Audiomaterial, das den beiden Lehrwerken beiliegt, wird zum Großteil auf die kastilische Norm gesetzt. So hört man Sprecherinnen und Sprecher, die das typisch kastilische apikovelare [s̺] oder laminovelare [s̻] und eine Phonemopposition zwischen /s/ und /θ/ realisieren. Tabelle 1 gibt einen Überblick über die Länder bzw. Regionen, aus denen die (fiktiven) Personen stammen, die in den Lehrwerken sprechen.

Encuentros ( Edición 3000 ) Adelante
1. Lernjahr Kastilien, Katalonien, Kolumbien, Ecuador Kastilien, Katalonien, Argentinien
2. Lernjahr Kastilien, Mallorca, Mexiko, Kolumbien, Argentinien Kastilien, Katalonien, Mallorca, Kolumbien, Ecuador, Peru
3. Lernjahr Kastilien, Galizien, Andalusien, Mexiko, Guatemala, Kolumbien, Bolivien, Peru, Argentinien Kastilien, Andalusien, Mexiko, Kolumbien, Bolivien, Chile, Argentinien

Tab. 1: Länder, aus denen die (fiktiven) Sprecherinnen und Sprecher der Audiomaterialien der Lehrwerke stammen

Tatsächlich überwiegt bei beiden Lehrwerken vor allem zu Beginn stark Audiomaterial in kastilischer Varietät, da die Szenen im ersten Lernjahr in Encuentros hauptsächlich in Salamanca, in Adelante hauptsächlich in Madrid spielen. Dennoch versuchen beide Lehrwerke von Beginn an ein relativ umfassendes Bild der spanischsprachigen Welt zu vermitteln und sind auch bemüht, sprachliche Unterschiede in ihren Audiomaterialien abzubilden. Als Einstieg in den Spanischunterricht lassen beide Lehrwerke fiktive Personen aus unterschiedlichen spanischsprachigen Ländern zu Wort kommen4. Die Schülerinnen und Schüler erhalten so einen Eindruck über die weite Verbreitung der spanischen Sprache. Der Fokus wird dabei aber nicht auf die Unterschiede in der Aussprache gelegt.

Im Laufe der ersten Lektionen lernen die Schülerinnen und Schüler im ersten Lernjahr bei Encuentros einen Kolumbianer und dessen Familie kennen, bei Adelante einen Argentinier und dessen Bruder. In den folgenden Lernjahren kommen je nach Themenschwerpunkt Personen weiterer Regionen zu Wort. Allerdings wird häufig eine Vermeidungsstrategie, wie sie Leitzke-Ungerer (2017a, 61) u. a. für grammatische Formen ausmacht, auch im Bereich der Aussprache deutlich. Zwar ist hervorzuheben, dass die Aussprache der (fiktiven) Personen aus Lateinamerika stets durch seseo und yeísmo gekennzeichnet ist. Jedoch bleiben weitere regionenspezifische Merkmale wie die Schwächung von /s/ oder intervokalischem /d/ meist aus. Stattdessen wird ein diatopisch nicht stark markiertes Spanisch gesprochen (vgl. Kapitel 2.1.2). Einzig das argentinische Schibboleth, das rehilamiento – d. h. die Aussprache von <ll> als [ʒ]/[ʃ] – kommt bei argentinischen Personen fast durchgängig zum Einsatz.

Im ersten Lernjahr liest in beiden Lehrwerken ein Erzähler die Lektionstexte mit kastilischer Aussprache vor – selbst wenn es um ein Fußballturnier in Kolumbien geht (vgl. Encuentros 2010, 111). In den folgenden Lernjahren finden sich aber vermehrt Lektionstexte zu bestimmten länderspezifischen Themen auch in der Varietät des jeweiligen Landes bzw. zumindest in español neutro (vgl. ebd., 10; Adelante 2011, 12).

Im Bereich der Aussprache unterscheiden die Lehrwerke im Audiomaterial also von Anfang an zwischen kastilischem und lateinamerikanischem Spanisch (seseo und yeísmo). Zudem führen sie das argentinische Spanisch mit dem rehilamiento ein.

2.2.3 Fachdidaktische Normen für Lehrkräfte

Unabhängig vom Status quo der Lehrwerke – die wie die Bildungsnormen regelmäßig an den Stand der Wissenschaft angepasst werden – stellt sich die normative Frage nach dem sprachlichen Modell, das die Lehrpersonen verkörpern. Hierzu gibt es in der fachdidaktischen Literatur kontroverse Positionen.

Cor. Koch (2017, 39) führt drei Argumente für das kastilische Spanisch an: den Status quo der Lehrwerke, den Normcharakter und die geographische Nähe.

1 Die Lehrwerke: Da die Lehrbücher aktuell (noch?) das kastilische Spanisch bevorzugen (vgl. Kapitel 2.2.2), hätten diese den Vorteil, dass die Schülerinnen und Schülern so „nicht zu Beginn mit einer anderen Varietät verunsichert werden“ (Cor. Koch 2017, 39). In der Tat könnte eine parallele Einführung verschiedener Paradigmata von Pronomina und Konjugationen (z. B. kastilisches vs. argentinisches Spanisch) problematisch sein. Auf Ebene von Aussprache und Lexikon wäre eine parallele Einführung verschiedener Varietäten allerdings durchaus denkbar, ähnlich wie es im Englischunterricht mit dem britischen und amerikanischen Englisch schon seit Langem üblich ist.5

2 Der Normcharakter: „Ein Vorteil des kastilischen Spanisch liegt darin, dass diese Standardvarietät – trotz Plurizentrik – traditionell häufig noch als akademische Norm erachtet wird“ (Cor. Koch 2017, 39). Bei diesem Argument geht es letztlich um die Gewichtung der unidad de la lengua vs. Plurizentrik. Aus aktueller sprachwissenschaftlicher Sicht wäre der Plurizentrik Vorrang zu geben (vgl. Kapitel 2.1.2).

3 Die geographische Nähe: Das kastilische Spanisch stelle die „den Lernenden geographisch nächste Standardvarietät dar, was die Wahrscheinlichkeit eines unmittelbaren Kontakts“ (Cor. Koch 2017) erhöhe. Diesem Argument kann man erstens entgegensetzen, dass Schülerinnen und Schüler nicht nur für Urlaubsreisen, sondern auch für die Rezeption von Massenmedien geschult werden sollten, zweitens spricht man in vielen (Urlaubs-)Regionen Spaniens auch andere Sprachen als Spanisch6 und drittens gibt es auch eine große Anzahl von hispanoamerikanischen Immigrantinnen und Immigranten in Europa. Moreno-Fernández (2010a, 177) weist in diesem Zusammenhang auch darauf hin, dass die Universitäten in Europa unterschiedliche z. T. eher spanische, z. T. eher (verschiedene) hispanoamerikanische Schwerpunkte mit entsprechenden native speakern als Lektorinnen und Lektoren in der Sprachpraxis und dazugehörige Austauschprogramme haben.

Leitzke-Ungerer (2017a, 66), auf die sich Cor. Koch (2017) beruft, geht dagegen mit ihrer Priorisierung der kastilischen Varietät (aufgrund der entsprechenden Festlegung der Schulbücher) sogar so weit, dass sie in den ersten Lernjahren native speaker gar nicht einsetzen würde, wenn diese nicht bereit wären, diese Varietät zu sprechen bzw. – in den meisten Fällen – künstlich zu imitieren. Davon rät Gil Fernández explizit ab:

Lo que sí ha de evitarse es la tendencia de muchos docentes a convertir en norma su propia pronunciación, llegando incluso a corregir y censurar cualquier desviación –aun admisible– de cual modelo. Y, en una línea acorde con este espíritu, los materiales más convenientes serán los que reflejen, en la medida de lo posible y de lo aconsejable según el nivel, la diversidad de acentos que se dan en las comunidades hispanohablantes, de forma que los estudiantes no sólo conozcan otras formas de hablar español, sino que también aprendan a aceptar y a valorar la riqueza que tal pluralidad comporta (Gil Fernández 2007, 123; vgl. dazu auch Zimmermann 2001, 41).

Auch bei Lehrerinnen und Lehrern, die Spanisch als Fremdsprache gelernt haben, sieht Chr. Koch (2017, 98) ein „Umlernen von einer gut beherrschten Varietät hin zum Standard“ als „problematisch“ an.

Gil Fernández (2007, 122) hält es zudem nicht mehr für zeitgemäß, eine geographische Varietät aufgrund ihres vermeintlichen historischen Prestiges zu bevorzugen; die Kriterien der Verständlichkeit und Akzeptabilität seien relevanter. Diesen entspreche am meisten das Hochlandspanische in Nord- und Zentralamerika, aber auch die Varietät der peruanischen Hauptstadt Lima, dagegen nicht die Varietäten der Plata-Staaten und Kubas. Dies solle Lehrende aber nicht davon abhalten, die Varietät zu sprechen, mit der sie am meisten vertraut sind.

Chr. Koch (2017, 104) liefert einen Entscheidungsbaum für die Akzeptabilität einer Aussprachevarietät für Lehrpersonen (vgl. Abb.1), der ausgehend vom kastilischen Standard auch andere Varietäten zulässt. Demnach wäre auch ein authentisches argentinisches Spanisch im Mund deutscher Spanisch-Lehrerinnen und -Lehrer akzeptabel (beim karibischen Spanischen gehen ja bekanntermaßen die Einschätzungen auseinander; vgl. Kapitel 2.1.2).


Abb. 1: Entscheidungsbaum für die Akzeptabilität der Aussprache von Lehrpersonen (Chr. Koch 2017, 104)

Ganz konkret plädiert Chr. Koch (2017, 111) für folgende drei nicht-kastilische Aussprachevarianten, die eine deutliche Vereinfachung für Lernerinnen und Lerner darstellen und gleichzeitig in der spanischsprachigen Welt die verbreitetsten sind:

1 Artikulation des [s] wie in der L1 Deutsch und nicht wie in der kastilischen Varietät als apikovelares [s̺] oder laminovelares [s̻]

2 Yeísmo, d. h. keine Opposition zwischen pollo und poyo und kein markiertes Phonem /ʎ/ (was neu zu lernen wäre)

3 Seseo, d. h. keine Opposition zwischen casa und caza und kein markiertes Phonem /θ/ (was neu zu lernen wäre bzw. häufig bereits als <th> im Englischen Probleme bereitet hat)

Dies entspricht u. a. auch dem español neutro wie man es in synchronisierten Filmen in Hispanoamerika findet (vgl. Kapitel 2.1.2) bzw. dem mexikanischen Spanisch. Andere lehnen das español neutro dagegen explizit wegen seiner mangelnden Authentizität und identitätsstiftenden Funktion ab (vgl. Cor. Koch 2017, 39) – zumindest für den Schulunterricht (Meisnitzer 2017, 218 sieht dagegen durchaus Potenzial für die Erwachsenenbildung). Allerdings haben empirische Studien etwa des CNN Spanischen gezeigt, dass es auch innerhalb dieser international verbreiteten und akzeptierten Varietät der Massenmedien – wie in allen anderen Varietäten auch – Variation gibt (vgl. Amorós-Negre 2019).

In der stilistischen Dimension der Variation sieht Gil Fernández (2007, 123) in einem „registro ‚neutro‘“ bzw. einer „norma de las normas“ (in die sowohl mündliche als auch schriftliche Normen eingeflossen sind) eine geeignete Zielnorm für Lernerinnen und Lerner. Dies solle aber die Dozentinnen und Dozenten nicht von ihrer eigenen authentischen Aussprache abbringen:

Es importante, sobre todo no enseñar a los alumnos un modelo de lengua ‘de clase’, ‘ideal’ –en que los segmentos y las palabras se pronuncian siempre lenta y claramente y que probablemente no escucharán nunca fuera del aula– como lo es también proporcionarles las claves para reconocer los diversos registros a que obedecen las distintas pronunciaciones (Gil Fernández 2007, 124).

Ein letzter Faktor schließlich, den native speaker bei der Bewertung der Korrektheit von Varietäten mitberücksichtigen und der sicher auch für Fremdsprachenlernerinnen und -lerner relevant ist, sind die Graphem-Phonem-Korrespondenzen:

So kommt in vielen hispanischen Ländern oft der Gedanke vor, dass das beste Spanisch dasjenige sei, welches die finalen Konsonanten deutlich aufrechterhält […]. In Kolumbien denkt man aus ähnlichen Gründen, dass das eigene Spanisch reiner sei als das anderer Gegenden. […] Der Fall Kolumbien ist deswegen sehr wichtig, weil sein Spanisch, insbesondere das von Bogotá, schon seit geraumer Zeit als eine sehr gute Sprachform angesehen wird (Moreno-Fernández 2015, 11; vgl. auch Moreno-Fernández 2000b).

Dieses Argument spricht ebenfalls für das dem hispanoamerikanischen Hochlandspanischen sehr nahen español neutro.

2.2.4 Hörverstehensmaterialien

In Bezug auf die zu schulende rezeptive Kompetenz der Lernenden gehen die Einschätzungen ebenfalls weit auseinander. Auch hier befürchtet Leitzke-Ungerer (2017a, 63) eine „Überforderung“ der Schülerinnen und Schüler, wenn man sie im 1. Lernjahr mit dem hispanoamerikanischen Spanisch, insbesondere mit der argentinischen Varietät, konfrontiere. Erst ab dem 2. Lernjahr solle ihrer Einschätzung nach die Plurizentrik „punktuell“ berücksichtigt werden (vgl. ebd., 64). Gleichzeitig kritisiert sie, dass noch im 3. Lernjahr nicht-authentische Texte dominieren, „in denen die vom español castellano abweichenden sprachlichen Merkmale noch dazu bewusst gering gehalten werden“ (Leitzke-Ungerer 2017b, 103). Sie schlägt auf Basis der Kriterien geographische Nähe, Anzahl der Sprecherinnen und Sprecher und Schwierigkeitsgrad folgende Priorisierung vor:

1. Andalusisches oder kanarisches Spanisch (ab dem 2. Lernjahr)

2. Kolumbianisches, peruanisches oder ecuadorianisches Spanisch (ab dem 2. Lernjahr)

3. Mexikanisches Spanisch (ab dem 3. Lernjahr)

4. Argentinisches Spanisch (ab dem 3. oder 4. Lernjahr) (Leitzke-Ungerer 2017b, 104)

Reimann (2017, 71) kritisiert das „Hispanophonie-Paradox“ deutlicher: Die zunehmende landeskundliche Berücksichtigung der Vielfalt spanischsprachiger Länder stehe in diametralem Gegensatz zur geringen Berücksichtigung der regionalen Varietäten und der Regionalstandards. Aus diesem Grund möchte er eine „Didaktik des plurizentrischen Spanisch“ (ebd., 74) begründen (vgl. dazu auch Zimmermann 2001, 40). Speziell empfiehlt Reimann (2017, 79) eine intensive Beschäftigung mit den Varietäten der folgenden Regionen: Andalusien, Mexiko, La Plata-Region und USA – allerdings erst ab Kompetenzniveau C1 (vgl. Abb. 2)7. Seine Deskriptoren-Skala in Abb. 2 (von der wir hier nur den Teil abdrucken, der die Aussprache betrifft) berücksichtigt Varietäten allerdings erst ab dem Niveau A2. Hier solle der Unterschied zwischen Spanien und Hispanoamerika eingeführt werden; auf B1-Niveau könne dann z.B. La Plata hinzukommen.

C2 Kann Äußerungen, die starke diatopische Markierungen südspanischer und/oder hispanoamerikanischer Varietäten und regionaler Standards auf phonetischer und prosodischer Ebene aufweisen, im Falle beinahe aller großen Varietäten (Andalusien, Mexiko, Río de la Plata, Anden, USA) verstehen. […]
C1 Kann Äußerungen, die starke diatopische Markierungen südspanischer und/oder hispanoamerikanischer Varietäten und regionaler Standards auf phonetischer und prosodischer Ebene aufweisen, im Falle zahlreicher Varietäten (vier der fünf Varietäten-Bündel Andalusien, Mexiko, Río de la Plata, Anden, USA) verstehen. […]
B2 Kann Äußerungen, die starke diatopische Markierungen südspanischer und/oder hispanoamerikanischer Varietäten und regionaler Standards auf phonetischer und prosodischer Ebene aufweisen, im Falle mehrerer Varietäten verstehen. Der Ausfall unbetonter Vokale (v.a. im mexikanischen Spanisch) stellt keine Verständnisschwierigkeiten dar. […]
B1 Kann Äußerungen, die deutlich wahrnehmbare diatopische Markierungen einzelner südspanischer und/oder hispanoamerikanischer Varietäten und regionaler Standards auf phonetischer und prosodischer Ebene aufweisen (etwa auch Spanisch der Río de la Plata-Region oder Mittelamerikas), verstehen. ʒeísmo und ʃeísmo (v.a. Río de la Plata) stellen keine Verständnisschwierigkeiten dar. […]
A2 Kann Äußerungen, die leichte diatopische Markierungen einzelner südspanischer Varietäten/des español atlántico auf phonetischer Ebene aufweisen, verstehen. Seseo, Ausfall von intervokalischem /d/ (v.a. in der Partizip-Endung -ado) und Aspiration/Schwund von auslautendem/silbenschließendem /S/ [sic!] stellen keine Schwierigkeiten für das Verständnis dar.
A1 ---

Abb. 2: Vorschlag einer Deskriptoren-Skala für die mündliche rezeptive Varietätenkompetenz im Spanischen (Reimann 2017, 87)

2.2.5 Phonologie-Lehrwerke auf Universitätsniveau

Da wie eingangs erläutert die Ausbildung der Lehrerinnen und Lehrer eine große Rolle spielt und der Fokus dieses Artikels auf der Plurizentrik im Bereich der Aussprache liegt, werfen wir hier noch einen Blick auf die aktuellen Einführungsbücher in die spanische Phonologie auf Universitätsniveau. Diese unterstreichen einhellig die Gleichberechtigung der unterschiedlichen regionalen Varietäten und Normen der Weltsprache Spanisch. Dies betrifft zum einen die Darstellung der Aussprachephänomene, bei der auch die kastilische Varietät nur als eine Varietät unter vielen betrachtet wird:

Da sich neben dem kastilischen Spanisch eine Vielfalt an regionalen Normen entwickelt hat, erscheint es fragwürdig, die Aussprache einer dieser Varietäten als Referenzlautung anzusetzen und die übrigen als divergierende Unterformen zu charakterisieren. Da eine solche Entscheidung bestenfalls mit Blick auf die Geschichte zu begründen wäre, stellen wir unterschiedliche Varietäten wie kastilisches, andalusisches oder argentinisches Spanisch jeweils gleichberechtigt dar. Hieraus folgt, dass wir bei einer Behandlung des spanischen Lautinventars z.B. das (nur in den kastilischen und nordspanischen Varietäten vorkommende) /θ/ als ein varietätenspezifisches Phonem verzeichnen, ebenso wie das Phonem /ʒ/, das speziell für das argentinische Spanisch (und darüber hinaus für den gesamten Río de la Plata-Raum) charakteristisch ist, in europäischen Varietäten jedoch nicht in dieser Form auftritt (Gabriel & Meisenburg & Selig 2013, 13).

Zum anderen ist dies auch für die Festlegung von Transkriptionskonventionen relevant:

Diese Referenztranskription erfolgt mit yeísmo und seseo, da dies die mehrheitliche Aussprache in der spanischsprachigen Welt ist. […] Von unseren Sprecher*innen entspricht die Aussprache des Mexikanischen Sprechers am meisten der Referenztranskription (Pustka 2021, 141).

2.2.6 Kompetenzen und Einstellungen von Spanisch-Lehramtstudierenden

Die beiden einzigen bislang existierenden empirischen Studien, die die Einstellungen von Spanischstudierenden im deutschsprachigen Raum zu den regionalen Varietäten und Regionalstandards des Spanischen untersuchen, sind Reissner 2017 und Reimann et al. 2018 (vgl. auch Reimann & Cantone 2021). Reissner hat im Sommersemester 2014 Fragebögen an 52 Lehramtsstudierende der Universität des Saarlandes ausgeteilt (vgl. Reissner 2017, 244, 249), Reimann et al. im Wintersemester 2014/15 in Duisburg-Essen an 95 Lehramtsstudierende, davon 54 im Fach Spanisch. Die Ergebnisse von Reissner (2017, 249-251) sind die folgenden:

 Die Studierenden haben in der Schule nur das „europäische Spanisch“ kennengelernt. Daneben wurden „ab und zu Bezüge zu Lateinamerika“ (Reissner 2017, 249) hergestellt. Dies geschah ausschließlich aus landeskundlicher und nicht aus sprachlicher Perspektive.

 60% waren mindestens für einen 6-monatigen Aufenthalt in Spanien, nur 3,9% waren schon einmal in Hispanoamerika.

 Von den spanischen Varietäten waren die meisten schon einmal direkt mit dem andalusischen Spanisch in Kontakt.

 Als Antwort auf die Frage „Für wie wichtig halten Sie…?“ geben 61% der Hispanophonie eine „hohe Priorität“ (Reissner 2017, 249); diese höchste Einordnung auf einer 5-stufigen Skala geben dagegen nur 40% den diatopischen Varietäten und 20% der Plurizentrik.

Reimann et al. (2018, 17) haben die Frage gestellt „Schreiben Sie sich Varietätenkompetenz in Ihrer Fremdsprache zu?“. In Bezug auf die Rezeption antworteten 63% der Befragten mit „ja“ und 20% mit „nein“, in Bezug auf die Produktion 24% mit „ja“ und 55% mit „nein“ (Französisch- und Spanisch-Studierende gemeinsam). Etwa die Hälfte gab an, im Studium etwas über Varietäten (v. a. hispanoamerikanische) gelernt zu haben, v. a. im sprachwissenschaftlichen Einführungskurs, manchmal auch in Seminaren zum Thema (vgl. Reimann & Cantone 2021, 23).

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