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4.1 Digitalisierung in der Intensivmedizin – (k)ein neuer Hut?
ОглавлениеSeit Beginn der Pandemie war global ein signifikanter Anstieg intensivmedizinisch zu versorgender Patienten zu verzeichnen, da insbesondere bei schweren Verläufen von COVID-19 mit konsekutivem akutem Lungenversagen eine oftmals langandauernde Beatmungstherapie erforderlich wird. Trotz vielzähliger Beschreibungen aus den ersten Monaten haben viele Mitarbeitende aus medizinischen Berufen eine große Unsicherheit in Bezug auf die Versorgung dieser noch recht neuen Entität verspürt, nicht zuletzt auch in Hinblick auf die deutliche Arbeitsverdichtung und möglichem Risiko vor Transmissionen. Weltweit mussten sich Krankenhäuser nicht nur auf eine technische und personelle Ausweitung ihrer Kapazitäten vorbereiten, sondern vor allem viele freiwillige, pflegende Helfende oder Ärzt:innen in ein bestehendes Team integrieren und zuvor ausbilden.
Kein anderer Bereich in einem Krankenhaus ist so geprägt von der Allgegenwart technischer Apparatur wie eine Intensivstation. Im Vergleich zu anderen medizinischen Fachgebieten gibt es möglicherweise keinen anderen Bereich, in dem kritisch kranke Patienten von der Organunterstützung durch diverse Maschinen abhängig sind und in dem ihre Vitalwerte so häufig und kontinuierlich überwacht werden.
Das Anfallen großer Datenmengen ist selbstverständlich kein neues Phänomen seit der Coronakrise. Bereits seit Jahren wird der Einsatz künstlicher Intelligenz (KI) auf Intensivstationen untersucht. In der Anwendung geht es insbesondere darum, die hohe Anzahl von Patientendaten (stündlich fallen pro Patienten etwa 1.000 Datenpunkte an [1]) zu analysieren, beziehungsweise komplexe Muster zu erkennen. In der Routine vorhandene, elektronische Patientendaten helfen hier sehr zuverlässig, weil sie alle relevanten Daten bündeln und deswegen besondere Quellen für solche Big-Data-Analysen sind. Genau hier kann also der Einsatz von KI in der Intensivmedizin ansetzen, um den Kliniker zu unterstützen, was eine frühe Diagnosestellung sowie die Prognoseabschätzung betreffen – auch in Hinblick auf die Behandlung von COVID-19. Die in der KI am häufigsten genutzte Methode ist das sogenannte machine learning, bei der zur Mustererkennung in klinischen Daten komplexe, statistische Modelle und Algorithmen zur Anwendung kommen, sodass Ereignisse gegebenenfalls frühzeitig prädiziert werden können. COVID-19 führte und führt uns vor Augen: Die Intensivmedizin braucht eine Arbeitsumgebung, in der medizinisches Personal eben nicht 50 Prozent seiner Arbeitszeit vor einem Computer verbringt. Sinnvolle Mechanismen und leistungsfähige Unterstützungssysteme sind gefragt – gepaart mit Algorithmen, die uns helfen, uns auf die wesentlichen Daten zu konzentrieren, damit Patient:innen bestmöglich bettseitig versorgt werden können. In Zukunft brauchen wir Unterstützungssysteme, die technologisch ausgereift sind und uns helfen, jederzeit eine evidenzbasierte Therapie anzubieten.
Diesen Ansatz verfolgt bereits vor Pandemiebeginn die Medizininformatik-Initiative in vier BMBF-geförderten Konsortien unter Beteiligung aller deutschen Universitätskliniken. Dort wird daran gearbeitet, Daten aus universitätsmedizinischer Patientenversorgung untereinander zugänglich und austauschfähig zu machen (https:// www.medizininformatik-initiative.de). Im Konsortium SMITH wird unter anderem eine Architektur für die interoperable Nutzung intensivmedizinischer Daten mithilfe von sogenannten Datenintegrationszentren aufgebaut (https://www.smith.care/).
Voraussetzung hierfür ist der Aufbau einer IT-Infrastruktur, die eine Verknüpfung unterschiedlicher Informationssysteme für Versorgung und Forschung ermöglicht. Originär klinische Daten und Dokumente müssen zur weiteren Aufbereitung und einer vergleichenden Analyse in international standardisierte Formate (CDA, HL7, FHIR, etc.) transferiert werden, um eine standortübergreifende und nutzbare Datenbank aufzubauen und anhand international standardisierter Kommunikations- und Sicherheitsverfahren (IHE) austauschbar zu machen.