Читать книгу DIVI Jahrbuch 2021/2022 - Группа авторов - Страница 81
7.1 Unterstützung zu Beginn der stationären Behandlung
ОглавлениеMehr als 80% der mit SARS-CoV-2 infizierten Menschen zeigen einen asymptomatischen oder milden Verlauf (5, 6), die besondere Herausforderung bei der Bewältigung der Pandemie sind jedoch diejenigen Patienten, die einen schweren Krankheitsverlauf bis hin zu einem akuten Lungenversagen entwickeln. Die Entwicklung vom Auftreten erster respiratorischer Symptome bis zur Indikation zur Intubation kann bei SARS-CoV-2 rasant verlaufen (7). Daher sollte idealerweise bereits der für die stationäre Behandlung aufnehmende Arzt frühzeitig den jeweiligen Patientenwillen hinsichtlich möglicher Therapieeskalationen wie NIV/High-Flow, Verlegung auf Intensivstation, Intubation, Reanimation ermitteln und entsprechend dokumentieren. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass die aufgrund einer akuten SARS-CoV-2 Infektion entstandene respiratorische Insuffizienz das terminale Ereignis einer vorbestehenden schweren Komorbidität darstellen kann, die im Rahmen der medizinischen Entscheidungsfindung entsprechend zu gewichten ist. Insbesondere die Patienten, bei denen vor dem Hintergrund einer vorbestehenden schweren Komorbidität eskalierende Therapiemaßnahmen nicht erfolgversprechend sind, können so in ihren vertrauten Betreuungskontexten verbleiben (evtl. unter Hinzuziehung der ambulant tätigen spezialisierten Palliativversorgung SAPV mit 24/7 Erreichbarkeit) oder stationär gezielt palliativmedizinisch behandelt werden mit dem Therapieziel einer optimalen Linderung belastender Symptome.
Entscheidungen über die Durchführung oder Nicht-Durchführung einer medizinischen Maßnahme bedürfen einer kritischen Abwägung; sie stellen für die Behandelnden eine fachliche und ethische Herausforderung dar. In dem Zwei-Säulen-Modell von medizinischer Indikation und Patientenwillen geht es bei der Beurteilung der Indikation um eine fachlich fundierte Einschätzung, ob eine medizinische Maßnahme geeignet ist, ein Behandlungsziel mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit zu erreichen. Die Indikation wird also in Bezug auf ein bestimmtes Therapieziel gestellt. Über den Inhalt dieses Therapiezieles entscheidet dabei der Patient, über den bestmöglichen Behandlungspfad dorthin entscheidet das Behandlungsteam, sodass Indikation und Patientenwille über das Therapieziel aufeinander bezogen sind (8). Kann ein vom Patienten gewünschtes Therapieziel nicht erreicht werden, ist die entsprechende medizinische Maßnahme nicht zielführend und sollte daher dem Patienten nicht angeboten werden. Wohl aber sind ggf. alternative Therapieziele realistisch erreichbar. Bei Gesprächen zur Therapiezielfindung, der Eruierung des Patientenwillens und der Indikationsstellung können Palliativmediziner die akutmedizinisch arbeitenden Kollegen unterstützen. Eine frühzeitige Definition von Therapiezielen im Sinne einer vorausschauenden Versorgungsplanung kann Patienten und ihre An- und Zugehörigen vor nicht zielführenden medizinischen Maßnahmen schützen und unterstützt eine sinnvolle Allokation von im Pandemiefall begrenzten medizinischen Ressourcen. Patienten, die in solchen Fällen eine medizinische Behandlung nicht erhalten, werden von den medizinischen Entscheidern nicht durch Unterlassen „getötet“, sondern vor einem krankheitsbedingten Sterben nicht gerettet (9). Durch Einbeziehung palliativmedizinischer Expertise können Triage-Situationen entschärft werden.