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2.3 Kurzer Überblick über die interdisziplinären Therapien von der Jahrtausendwende bis heute

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Die Notwendigkeit und Sinnhaftigkeit einer interdisziplinären multimodalen Vorgehensweise für chronische nicht-tumorbedingte Schmerzerkrankungen wurde bis heute in zahlreichen Publikationen und Reviews bestätigt (z. B. Flor et al. 1992, Gatchel et al. 2014, Kaiser et al. 2013). Für tatsächlich interdisziplinär durchgeführte Programme ( Kap. 3.2) konnte eine längerfristige Wirksamkeit (Oslund et al. 2009, Scascighini et al. 2008) mit positiven Langzeiteffekten für Schmerzlinderung, Funktionalität und psychosozialem Beeinträchtigungserleben festgestellt werden. Auch eine anhaltende Kosteneffizienz (Ektor-Andersen et al. 2008), besonders bei einer frühzeitigen Behandlung (Kronborg et al. 2009), mit Reduktion von Akutbehandlungen, von Arztbesuchen (Clare et al. 2019), der Medikamenteneinnahme und einer Reduktion von Arbeitsunfähigkeitszeiten konnten vielfach gezeigt werden. Die Effektivität von interdisziplinären gegenüber weniger strukturierten bzw. schlechter koordinierten multidisziplinären oder rehabilitativen Programmen und gegenüber Einzelinterventionen wurde ebenfalls in verschiedenen Studien aufgeführt (Scascighini et al. 2008, Weiner and Nordin 2010). Insbesondere Guzman et al. weist in seiner bis heute viel zitierten Arbeit (Guzman et al. 2001) auf die Notwendigkeit einer bei chronifizierten Patienten mindestens 100-stündigen Intervention im multidisziplinären Setting hin, um einen klinisch relevanten Effekt bei Patienten mit chronischen Rückenschmerzen zu erzielen. Die teamintegrierte Anwendung einer Kombination aus medizinischen, physiotherapeutischen und psychosozialen Verfahren wird in allen genannten Arbeiten als Behandlungsgrundlage dargestellt (Gatchel et al. 2014). Schließlich wurden in Deutschland in den Jahren 2009 bis heute die Grundlagen für eine Standardisierung und Definition der multimodalen Schmerztherapie, der Indikationsstellung und der strukturellen Erfordernisse seitens der Ad-hoc-Kommission »Interdisziplinäre Multimodale Schmerztherapie« der Deutschen Schmerzgesellschaft e. V. umfassend ausgearbeitet (Arnold et al. 2014, Arnold et al. 2009, Arnold et al. 2012, Casser et al. 2013). In einem über Jahre dauernden Konsensprozess einigten sich alle deutschen Schmerzfachgesellschaften schließlich 2016 auf eine Klassifikation schmerztherapeutischer Einrichtungen mit Kriterien für Struktur- und Prozessqualität (Muller-Schwefe et al. 2016).

Wenngleich die geschilderte Entwicklung ein sehr positives Bild für die interdisziplinäre Vorgehensweise zeichnet, kamen in den letzten Jahren auch zahlreiche kritische Stimmen auf. Die oft noch fehlende Abgrenzung von multidisziplinären zu interdisziplinären – oder besser: interprofessionellen – Programmen stellt unverändert ein Einfallstor für zahlreiche qualitativ und quantitativ nicht ausreichende Behandlungsprogramme und Studien dar (Artner et al. 2012, Kaiser et al. 2013). In diesem Zusammenhang stellen sich auch grundlegende Fragen

• nach der tatsächlich erforderlichen Behandlungsintensität,

• nach dem Beginn und der Dauer der Therapie,

• nach gruppen- oder ggf. krankheitsspezifischen Behandlungsprogrammen,

• nach den einzelnen Sektoren zugeteilten Behandlungssettings (Petit et al. 2014, Ronzi et al. 2017),

• nach den dafür erforderlichen Messparametern

• und letztlich nach der Validierung der Behandlungsqualität (Kaiser et al. 2017, Pfingsten et al. 2019).

Darüber hinaus werden aktuell zahlreiche Aspekte in Hinblick auf die Gestaltung einer bedarfsadaptierten und effektiveren interdisziplinären Behandlung bearbeitet: Die Wahrnehmung einer sich ändernden Bevölkerungsstruktur, sei es demografisch oder kulturell bedingt, erfordert beispielsweise eine daran angepasste Behandlungsstruktur und Therapie ( Kap. 7.3., Kap. 8.7.).

Die Ausweitung der Interdisziplinarität mit einer Einbindung ergänzender und über den klassisch medizinisch-psychosozialen und physiotherapeutischen Bereich hinausgehender Fachbereiche, z. B. Medizinethik, Soziologie, Linguistik, Anthropologie etc. (Kieselbach et al. 2016, Koesling et al. 2019, Schiltenwolf et al. 2016) ist ebenfalls Thema aktueller Überlegungen. Auch der lange Zeit undenkbaren Integration von Patienten und Selbsthilfegruppen in das interdisziplinäre Setting als grundlegende Erweiterung der interprofessionellen Kompetenz kommt eine wichtige Bedeutung zu.

Die Schulung sowohl der präventiv und in der Nachsorge unentbehrlichen Primärversorger (Tzortziou Brown et al. 2016) als auch der im interdisziplinären Team aktuell und zukünftig eingebundenen Mediziner und Therapeuten stellt eine relevante Herausforderung für den Erhalt einer qualifizierten interdisziplinären Schmerztherapie dar. Letztere konnte in der curricularen studentischen Lehre mit der Etablierung des Querschnittsbereiches QB14 in Deutschland schon entscheidend vorangebracht werden (Briggs et al. 2015, Kopf et al. 2014). Neben einer verbesserten ärztlichen Kompetenz werden auch die Bereiche Psychotherapie, Physiotherapie und Ergotherapie spezifisch im Bereich interdisziplinärer Schmerzversorgung zunehmend weitergebildet und etabliert. Hier sei insbesondere auf die fortschreitende Anerkennung der »Speziellen Schmerzpsychotherapie« als Zusatzweiterbildung hingewiesen.3

Aktuell und in den kommenden Jahren werden belastbare Daten erarbeitet werden müssen, auf deren Basis eine qualitativ angepasste und wirtschaftliche interdisziplinäre Behandlung von Patienten mit chronischen Schmerzen geschaffen werden muss. Der von der WHO novellierten ICD-11 mit ihren schmerzspezifischen Diagnosen ( Kap. 13.2) wird dabei eine besondere Bedeutung zukommen. Die individuelle, die gesellschaftliche und die ökonomische Entlastung, die eine rasche und suffiziente interdisziplinäre Schmerztherapie mit sich bringt, muss in der direkten Gesundheitsversorgung, aber auch in der Gesundheitspolitik erkannt werden. Ziel muss die Entwicklung von sektorenübergreifenden und stadiengerechten Behandlungskonzepten sein.

Multimodale Schmerztherapie

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