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1 Einleitung

1.1 Warum sollten Menschen mit einer chronischen Schmerzerkrankung multimodal therapiert werden?

Entscheidungsprozesse in Diagnostik und Therapie werden durch die Fortschritte in der Medizin allgemein und in der Schmerzbehandlung im Speziellen immer komplizierter. Welche Behandlungsmethode für den einzelnen Patienten1 die beste ist, stellt einen einzelnen Arzt oder Therapeuten oft vor schwierige Fragen. Das immer noch weit verbreitete dualistische Denken und damit die Trennung in entweder psychische oder aber somatische Erkrankungsursachen bei der Beurteilung eines Menschen, der an chronischen Schmerzen leidet, verkompliziert diese Situation zusätzlich. Auch das Schmerzmodell des Patienten selbst bildet einen Teil dieser Problematik aus. Häufig hängt die Chronifizierung einer Schmerzerkrankung nicht unwesentlich mit den genannten Faktoren zusammen.

Bereits Mitte des 20. Jahrhunderts wurde anhand der erfolglosen unimodalen Therapie kriegsversehrter Patienten, die an chronischen Schmerzen litten, klar, dass die Beurteilung und Therapie durch einen Einzelnen nicht ausreichend ist. Die Verquickung von medizinischem und psychologischem Sachverstand zeigte dagegen schon in den Anfängen große Erfolge. Die daraus entstandenen ersten multidisziplinären Therapiekonzepte erwiesen sich als äußerst effektiv. Sie dienten international als Grundlage für die Entwicklung von interdisziplinären, multimodalen Behandlungsverfahren. Wenngleich die einzelnen dafür notwendigen Komponenten bis heute noch nicht bis ins Detail geklärt sind, hat die interdisziplinäre multimodale Schmerztherapie dennoch ihre Erfolgsgeschichte geschrieben.

Die Interdisziplinarität, d. h. die Vernetzung verschiedener Fachbereiche, und die damit verbundenen multimodalen Verfahren werden seit mindestens Anfang des Jahrtausends nicht nur in der Medizin, sondern auch in der gesamten Arbeitswelt angewendet. Die Nutzung von Synergien, die idealerweise zu einer Vereinigung des »Besten aller Mitwirkenden« führt, soll zur Lösung komplexer Probleme führen. Welche Voraussetzungen jedoch im Bereich der Behandlung chronisch schmerzkranker Menschen für eine funktionierende interdisziplinäre – oder besser: interprofessionelle – Zusammenarbeit erforderlich sind, wurde in den letzten Jahren viel diskutiert und in mannigfaltiger Weise in die Praxis umgesetzt. Multimodalität im Bereich der Schmerzversorgung, d. h. die Zusammenführung verschiedener Fertigkeiten des interdisziplinären/-professionellen Teams in der Behandlung Schmerzkranker, wird ebenfalls auf unterschiedlichste Weise ausgeführt und propagiert. Tatsächlich sind die interdisziplinären/-professionellen und multimodalen Verfahren in der Diagnostik und Therapie chronischer Schmerzen heute nicht mehr wegzudenken.

In dem Ihnen vorliegenden Praxishandbuch wird die multimodale Schmerztherapie aus vielen verschiedenen Blickwinkeln betrachtet. Neben propädeutischen Abhandlungen und der historischen Einordnung von Diagnostik und Therapie chronischer Schmerzen werden die aktuellen Behandlungskonzepte in der multimodalen Schmerztherapie von Experten diskutiert. Die verschiedenen Sektoren, in denen eine multimodale Schmerztherapie praktiziert wird, werden vorgestellt und in das Gesamtkonzept eingegliedert. Die aktuell bekannten Behandlungsverfahren und wichtige chronische Schmerzerkrankungen werden aus ganz praktischer Sicht dargestellt. Darüber hinaus werden die mit der Interprofessionalität zusammenhängenden Herausforderungen im Bereich der Organisationsstruktur, der Qualität, der Finanzierung und des Reimbursements diskutiert. Aber auch die Aspekte einer funktionierenden Teamstruktur, die Bedeutung der Interdisziplinarität/-professionalität und der multimodalen Vorgehensweise werden ausführlich beschrieben.

Die Schmerzmedizin als noch recht junges Fach benötigt die Umsetzung wissenschaftlicher Erkenntnisse in die Strukturen des Gesundheitssystems, um wirksam sein zu können: in der ärztlichen Weiterbildung die Zusatzbezeichnung Spezielle Schmerztherapie, in der universitären studentischen Ausbildung das Querschnittsfach Schmerztherapie, im ambulanten Sektor die Qualitätssicherungsvereinbarung Schmerztherapie, im teil- und vollstationären Bereich die Komplexprozeduren für multimodale Schmerztherapie im OPS-Katalog, und ganz aktuell die Integration von Schmerzdiagnosen in den neuen ICD-11-Katalog. Mit vielen dieser Aspekte beschäftigt sich unser Buch.

Ziel dieses Praxishandbuches ist es, für Sie eine praktische Handlungsgrundlage für das Thema und die Umsetzung der multimodalen Schmerztherapie zu bieten. Wir sind davon überzeugt, dass eine gelingende Behandlung chronischer Schmerzen nur durch eine tatsächliche interprofessionelle und multimodale Schmerztherapie möglich sein kann. Wir sind sehr froh darüber, dass viele Grundlagen dafür in einem interprofessionell gestalteten Buch, das die Fertigkeiten so Vieler miteinander in Beziehung stellt, erstmals zusammengefasst werden konnten.

Der Beginn der Sars-CoV-2-Pandemie fiel zeitlich in die Entstehungszeit dieses Buches. Die erforderlichen Einschränkungen in der gesamten Gesundheitsversorgung, insbesondere im Bereich der nicht-notfallmäßigen Versorgung, trafen auch die Schmerzmedizin. Damit wurden die zuständigen Leistungserbringer und die chronisch schmerzkranken Patienten, die einer multimodalen Schmerztherapie bedurft hätten, vor schwierige Herausforderungen gestellt. Durch die Folgen der Pandemie wurde, wie unter einem Brennglas, einmal mehr der dringende Bedarf nach einer qualifizierten multimodalen Schmerzversorgung deutlich.

1.2 Zielsetzung und Struktur unseres Buches

Im Fokus dieses Buches steht der chronisch schmerzkranke Patient. Die multimodale Schmerztherapie stellt die grundlegende Therapieform zur Behandlung schmerzkranker Menschen dar. Entsprechend der bio-psycho-sozialen Dimension dieser Erkrankung ist die multimodale Schmerztherapie eine innovative Therapieform mit vielfältigen Ausrichtungen, welche die oben ausgeführten Aspekte der Interdisziplinarität und Integration unterschiedlichster Fachrichtungen ausmachen. Die Struktur dieses Buches hat sich aus dem zugrundeliegenden Gedanken des integrativen Denkens und Handelns ergeben, welcher die Voraussetzung für eine nachhaltige und erfolgreiche Behandlung schmerzkranker Menschen ist. Die multimodale Schmerztherapie ist das Resultat einer Evolution von abgrenzendem, dichotomem Handeln zu einer integrativen Medizin.

Warum geben wir dieses Buch heraus? Trotz einer zunehmend validen Datenlage existiert bislang kein Kompendium zur multimodalen Schmerztherapie. Die Kenntnis dazu liegt in den Händen der Zentren und kann allenfalls in Einzelpublikationen in den entsprechenden Fachzeitschriften abgerufen werden. Trotz einer geschätzten Zahl von 2,2 Millionen chronifizierten Schmerzpatienten in Deutschland, die einer multimodalen Schmerztherapie bedürfen, ist die Versorgungslage in den verschiedenen Sektoren unzureichend. Insofern hoffen wir, mit diesem Buch das Wissen um die multimodale Schmerztherapie zu vermehren und damit einen Beitrag zu einer breiteren Versorgung leisten zu können. Unser Buch möchte dabei im Sinne eines weiten Bogens alle Berufsgruppen ansprechen, die an der Versorgung schmerzkranker Menschen beteiligt sind. Daher stellen wir Kapitel unterschiedlicher Ausrichtung zusammen, die sowohl theoretisch als auch praktisch ausgerichtet sind. Dies soll die Vertreter aller Fachrichtungen in ihrem therapeutischen Handeln unterstützen.

Im medizinischen Bereich richtet sich dieses Buch an die Pflege, die Therapeuten wie z. B. Physio- und Bewegungstherapeuten, Ergotherapeuten, Psychotherapeuten, Kunsttherapeuten und an die Ärzte unterschiedlicher Fachrichtungen sowie an nichtmedizinische Berufsgruppen aus den Bereichen der Krankenhausverwaltung, der Krankenhausökonomie, des Controllings, der Krankenkassen und der Gesundheitspolitik.

In den Kapiteln zwei und drei wird die Entwicklung der multimodalen Schmerztherapie mit ihren wissenschaftlichen Grundlagen beschrieben ( Kap. 2, Kap. 3).

Das Kapitel vier beschäftigt sich mit der Bedeutung der ambulanten und stationären Sektoren, die im deutschen Gesundheitssystem immer noch eher trennend als verbindend wirken und der Möglichkeiten, die vorhandenen Schranken zu überwinden ( Kap. 4).

Im Kapitel fünf werden wesentliche Aspekte der Umsetzung theoretischer wissenschaftlicher Erkenntnisse in das praktische Handeln beschrieben: Die praktische Umsetzung der OPS-Komplexprozeduren für teil- (8-91c.ff) und vollstationäre (8-918.ff) multimodale Schmerztherapie, das interdisziplinäre und interprofessionelle schmerzmedizinische Assessment als Instrument der Sektorenzuordnung und Therapieplanung, Beiträge verschiedener ärztlicher Fachrichtungen bei der Behandlung schmerzkranker Menschen, die Bedeutung aktiver und passiver nichtärztlicher Therapieverfahren und ergänzender Maßnahmen ( Kap. 5).

Die Kapitel sechs und sieben beschäftigen sich mit Kommunikation und mit Prädiktoren für den Therapieerfolg ( Kap. 6, Kap. 7).

Im Kapitel acht werden spezifische multimodale Therapiekonzepte bei besonders häufig vorkommenden und wichtigen Schmerzerkrankungen beschrieben ( Kap. 8).

Das Kapitel neun beschäftigt sich mit unterschiedlichen ökonomischen Aspekten, die das medizinische Handeln maßgeblich beeinflussen ( Kap. 9).

In den Kapiteln zehn, elf und zwölf geht es um Dokumentation, Qualitätsmanagement und um das hochaktuelle Thema der Zusammenarbeit zwischen Leistungserbringern und dem MD ( Kap. 10, Kap. 11, Kap. 12).

Das Kapitel dreizehn greift aktuelle wichtige Herausforderungen, Perspektiven und Chancen auf: der neue ICD-11 und dessen mögliche Implikationen für die Schmerzmedizin, Möglichkeiten der transsektoralen Zusammenarbeit, Prävention und Nachsorge, ambulante multimodale Schmerztherapie, unterschiedliche Möglichkeiten der multimodalen Schmerztherapie in Rehabilitationseinrichtungen im Vergleich zu teil- und vollstationärer MMST und die Zusammenarbeit mit den Kostenträgern ( Kap. 13).

Wir danken an dieser Stelle allen Mitautoren für die gute Zusammenarbeit und ihre exzellenten Beiträge. Besonderen Dank möchten die Herausgeber an Herrn Dr. Reinhard Thoma richten, dessen Engagement in besonderem Maße dazu beigetragen hat, dass die multimodale Schmerztherapie als Komplexprozedur in den OPS-Katalog aufgenommen wurde. Ebenso danken wir Herrn Prof. Dr. Rolf-Detlef Treede, der mit der Abbildung von chronischen Schmerzerkrankungen im ICD-11 nicht zuletzt einen Grundstein für die Umsetzung der multimodalen Schmerztherapie gelegt hat.

Ihnen wünschen wir viel Freude beim Lesen dieses Buches und freuen uns, wenn wir Sie bei Ihrer täglichen Arbeit mit Menschen, die an chronischen Schmerzen leiden, unterstützen und neue, hilfreiche Aspekte aufzeigen können.

Ihr Herausgeberteam, November 2021

1 Zugunsten einer lesefreundlichen Darstellung wird in diesem Text bei personenbezogenen Bezeichnungen in der Regel die männliche Form verwendet. Diese schließt, wo nicht anders angegeben, alle Geschlechtsformen ein (weiblich, männlich, divers).

Multimodale Schmerztherapie

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