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1 Das Kinderbuch – ungeliebtes Kind der Übersetzer?

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Mehrmals und in verschiedenen Ländern wurde ich in den vergangenen Jahren Ohrenzeuge von Gesprächen zwischen Übersetzerinnen, die sich ihren Lebensunterhalt vor allem als Freiberuflerinnen verdienen, über die jeweilige Auftragslage. Dabei ist mir aufgefallen, dass oft berichtet wurde, man sei gerade mit einem Kinderbuch beschäftigt, was an sich nicht verwunderlich ist, da die Übersetzungstätigkeit auf diesem Sektor außerordentlich intensiv ist. Was mich dagegen überrascht hat, war, dass diese Auskünfte praktisch immer von einem resignativen Unterton begleitet waren: Die Auftraggeber hätten im Moment leider nichts Interessanteres, aber ein Kinderbuch sei besser als nichts, und so füge man sich wohl oder übel in sein Übersetzerschicksal. Doch welche Gründe kann es geben, dass das Übersetzen von Literatur für Kinder als dermaßen unattraktiv empfunden wird?

Zunächst muss man natürlich bedenken, dass solche Aufträge selten umfangreich sind. Kinderbücher haben weniger Text als Romane für Erwachsene. Üblicherweise hat man sich auch noch an Illustrationen zu orientieren, die ja nur in den seltensten Fällen für fremdsprachige Ausgaben modifiziert oder gar ersetzt werden (dürfen). Solche zusätzlichen Erschwernisse kann man aber selten in Rechnung stellen, so dass die Verdienstmöglichkeiten bei einem einzelnen Titel naturgemäß beschränkt sind.

Ein weiteres Motiv für den geringen Enthusiasmus ist die weit verbreitete – und anscheinend auch von ÜbersetzerInnen selbst vielfach geteilte – Auffassung, das Übersetzen von Kinderbüchern sei wenig anspruchsvoll. Selbst Kultbücher wie Der kleine Prinz, seit kurzem gemeinfrei, werden von Übersetzern offenbar als ‚Kinderspiel‘ betrachtet. So beschrieb Hans Magnus Enzensberger seine Neuübersetzung des französischen Klassikers als „eine Sache für die linke Hand“. Einen großen Kulturauftrag scheint er nicht empfunden zu haben: „Das wirft man den Leuten mit Kindern jetzt mal hin, und dann können die damit machen, was sie wollen“ (Felicitas von Lovenberg, online).1

Aus Übersetzungen für die linke Hand ist wenig Prestige abzuleiten. Im Curriculum von ÜbersetzerInnen nehmen solche Publikationen demnach keinen bedeutenden Rang ein. Gegenteilige Lippenbekenntnisse bleiben Randbemerkungen der Fachliteratur. So schrieb Hans Joachim Störig im Vorwort zur ersten deutschen Anthologie übersetzungstheoretischer Äußerungen:

Im Bereich der literarischen Übersetzung […] gibt es Zweige, die ihre eigenen Probleme haben und hier insoweit nicht behandelt werden. Dazu gehören die Probleme der Filmsynchronisation. Dazu gehören Kinderbücher: Es gibt nur noch eines, das schwerer ist als ein gutes, zum Klassiker bestimmtes Kinderbuch zu schreiben – so ist gesagt worden –, nämlich ein gutes Kinderbuch gut zu übersetzen. (Störig 1963: XVIf.)

Kreativität und Hermeneutik in der Translation

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