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Schüler schreiben in einer Schreibwerkstatt eigene Texte. Eine Betrachtung

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Zehra Çirak

Zu Beginn der Schreibwerkstätten erzähle ich den Schülern über mich selbst und mein eigenes Schreiben. In den meisten Fällen sind sie zwischen 14 und 16 in dem Alter, in dem ich selbst einmal mit meinen ersten Schreibversuchen anfing. Wenn ich sehr offen über mein Leben und meinen Werdegang als Autorin berichte, sind die Schüler gleich besser zugänglich.

Nachdem ich den Schülern einige meiner eigenen Gedichte oder eine sehr kurze Prosa vorlese, können sie sich ein Bild davon machen, wie ich selbst schreibe und vortrage. Da ich über drei Jahrzehnte gemeinsam mit dem Bildenden Künstler Jürgen Walter zusammenarbeitete, wobei Texte zu seinen Objekten und Skulpturen entstanden, zeige ich diese den Schülern in meinen Büchern oder über einen Laptop auf Leinwand.

Texte zu Gemälden oder Skulpturen zu schreiben ist eine gute Möglichkeit, die eigene Phantasie zu üben. Die Schüler können sich ein Bild aussuchen und (sich in das Bild hineinversetzend) eine Geschichte schreiben oder ein Gedicht. Etwa zu dem Bild „Die kleine Blonde im Park der Attraktionen“ von Joan Miró oder zu Picassos Portrait-Gemälden könnte ich mir sehr gut vorstellen, dass die unterschiedlichsten und seltsamsten Texte entstehen. Die Fülle der Auswahl aus der Bildenden Kunst ist so groß, dass sicherlich für jeden Geschmack etwas dabei wäre, um dazu einen Text zu verfassen.

Beispiele meiner Texte zu Jürgen Walters Kunstobjekten können auf der Homepage www.juergen-walter.com gelesen oder gehört werden.

Ich frage die Schüler in der Klasse, ob es einige gibt, die sich schon einmal im Schreiben versucht haben. Oft sind welche dabei, die Gedichte oder eine Geschichte geschrieben haben. Meistens zeigen sie mir später unter vier Augen diese Texte, und ich äußere mich dazu und mache Vorschläge zum Verbessern oder Verfeinern der Sprache.

Die Texte, die in der Schreibwerkstatt geschrieben werden, handeln oft vom Alltag in der Familie und in der Schule. Oder von erfundenen Familien und Personen, von Wunschträumen und Phantasiewelten. Sie erstaunten immer wieder in ihrer sehr emotionsreichen Darstellung.

Allein die Tatsache, den Schülern das Gefühl zu geben, sie seien in der Schreibwerkstatt nicht nur Schüler, sondern „Autoren“ oder „Dichter“, facht die Kreativität und die Ernsthaftigkeit ihres Schreibens an.

Die Themen werden gemeinsam gesucht und ausgewählt, an die Tafel geschrieben, und jeder kann wählen, worüber er schreiben will.

GlückUnglückLiebeFreundschaftFamilie und Schule sind die häufigsten Themen, aber auch über Gewalt in der Gesellschaft oder im eigenen Umfeld wird oft geschrieben. Natürlich sind besonders Liebesgeschichten sehr beliebt.

Worüber soll geschrieben werden?

Das ist immer die erste Frage der Schüler. Der erste Satz ist das Schwierigste für die Meisten. Also biete ich Anfangssätze an. So gebe ich jedem, der es will, einen ersten Satz. Ich schaue mir den Schüler an, stelle ihm einige persönliche Fragen, und dann können die ersten Sätze etwa so lauten:

„Von einem Tag auf den anderen war ich ein ganz anderer Mensch“ oder

„Ich habe den ersten Preis gewonnen und darf jemanden mitnehmen“ oder

„Das geheimnisvolle Paket kam heute an, und ich weiß nicht, von wem es ist und was sich darin befindet; soll ich es öffnen?“ oder

„Das Wunder geschah an einem Montag“ oder

„Mein Traumberuf“

Unter dem Titel: „Mein Leben in Postkartenformat“ regte ich die Schüler einmal dazu an, aufzuschreiben, wie sie sich ihr künftiges Leben, ihre Zukunft vorstellen. Eine halbe Seite lang. Diese Texte können auf der Rückseite einer Postkarte Platz finden, wobei auf der Vorderseite von den Schülern ausgesuchte Motive wie Fotos, selbst Gemaltes oder Collagen angebracht werden.

Besonders interessant sind die Texte der Schüler oft dann, wenn ich ihnen vorschlage, sie mögen sich in den Zustand eines Gegenstandes hineinversetzen und aus dieser Perspektive heraus berichten oder erzählen. Ein Schüler schrieb einen Text, in dem er eine Schultafel war, die sich Luft machte und von den ärgerlichen und unschönen Dingen, die ihr als Tafel geschehen waren, erzählte.

Oder eine andere Schülerin, die sich in eine Schildkröte als Haustier versetzte, die über ihre Menschenmitbewohner berichtete.

Bei den Schreibwerkstattstunden werden aber auch angefangene oder bereits fertige Texte gegenseitig vorgelesen und Meinungen darüber ausgetauscht.

Mir ist es auch sehr wichtig, den Vortrag des Textes zu üben, die Artikulation und Vortragsweisen zu trainieren und mit den Schülern ein sicheres und selbstbewusstes Auftreten zu erarbeiten. Nicht nur für die Schüler mit Migrationshintergrund ist dies eine gute Übung, die deutsche Sprache gut und klar auszusprechen.

Sich in selbst geschriebenen Texten anders als auf dem Schulhof oder zu Hause auszudrücken, macht den Schülern sichtlich Freude. Sie spüren, dass es darum geht, etwas gut, anders oder schön zu erzählen. Wobei die Frage der Phantasiefreiheit beim Schreiben oft diskutiert wird. Dichtung und Wahrheit – häufig der wichtigste Aspekt. Und die Tatsache, dass alles möglich, fast alles erlaubt ist beim Schreiben und nichts schulisch bewertet oder benotet wird, macht die Schreibenden freier und offener. Selbst das gegenseitige Loben oder Kritisieren ermuntert die Schüler zu Gesprächen und zum Überdenken und Verbessern der eigenen Texte. Die Schüler lernen sich selbst besser kennen; die Möglichkeit des Erfindens im eigenen Kopf wird erkannt.

Spannend ist auch das „Ich“ im Text.

Offensichtlich ist es Vielen ein Bedürfnis – und eine bessere Möglichkeit, über die Vorgänge in ihrem Leben oder aus der Phantasie zu berichten –, wenn das „Ich“ nicht als erkennbares Selbst zu identifizieren ist. Dies in den Gesichtern und in den Geschichten der Schüler wieder zu finden ist ein erfreulich überraschendes Erlebnis.

Immer wieder gibt es Schüler, die zu zweit oder zu dritt an einem Text schreiben wollen. Manchmal schreibt die ganze Klasse gemeinsam an einer Geschichte.

Auch über Gewalt und Unglück in der eigenen Umgebung zu erzählen ist oft ein Anliegen. Das Thema Vorurteile gegenüber Andersartigen, ob kultureller, religiöser oder sexueller Prägung, bewegt die Schüler und eröffnet gerne Diskussionen oder Streitereien in der Klasse. Auch darüber wünsche ich mir Texte von den Schülern. Homosexualität ist leider in vielen Köpfen der Schüler mit großen Vorurteilen und negativen Ansichten geprägt.

So ist zum Beispiel nach meinem Vorschlag in einer Schreibwerkstatt eine erstaunlich gute Geschichte entstanden. Sie wurde geschrieben gemeinsam von der ganzen Klasse und handelt davon, dass ein fiktiver neuer Schüler in die Klasse kommt und sich von Anfang an als schwul zu erkennen gibt. Jener Schüler, der die meisten Vorurteile gegen Schwule zu erkennen gab, hat bei der gemeinsamen öffentlichen Lesung dieser Geschichte den Part des Schwulen übernommen. Dieser Gruppentext befindet sich unter dem Titel ‚Der neue Schüler’ in der von der Robert Bosch Stiftung veröffentlichten Reihe über die Schreibwerkstätten im Ruhrgebiet 2013 an der GBR Realschule Dortmund – Klasse 8e.

Das gemeinsame Schreiben und Erzählen über das eigene oder erfundene Leben von Menschen oder Tieren, aus der Realität oder in der Märchenwelt, ermöglicht den Schreibwerkstättlern jedes Mal eine neue Gelegenheit, auch das nicht so einfach Aussprechbare aufzuschreiben und das zu erzählen, was im Innersten verborgen oder verdrängt schlummert. Über Vorurteile oder Tabuthemen zu schreiben scheint ein großes Anliegen bei den Schülern zu sein, was in den häufigen Zwischengesprächen herauszuhören ist.

Zu den Aktivitäten während der Schreibwerkstatt gehören auch Partnergespräche, in denen die Schüler zum Beispiel besprechen, warum sie Vorurteile haben und woher diese stammen, von wem sie übernommen wurden und wie die Gesellschaft damit umgeht. Eigene Erlebnisse werden erzählt und in eine Geschichte eingearbeitet. Die Schüler sollen ihre Texte gegenseitig austauschen und lesen und diskutieren. Inhalt und Erzählform werden beurteilt, Grammatik und Aussprache korrigiert.

Schüler schreiben in der Regel ihre Texte handschriftlich (wenn möglich, können sie gleich mit dem Computer geschrieben werden). Diese werden später in den Computer getippt. Die fertigen Texte erhalte ich und lektoriere sie und schicke sie zurück an die Schüler.

Eine Lesung der Texte aus der Schreibwerkstatt in der Schule oder extern, zum Beispiel in einer Bücherei, zu organisieren ist sehr wichtig. Die Schüler haben somit die Gelegenheit, ihre Ergebnisse der Schreibwerkstatt anderen Schülern und den Eltern und Lehrern vorzustellen. Die Möglichkeit, literarisches Schreiben in den Schulen zu realisieren, findet bei den Schülern große Aufmerksamkeit, Begeisterung und Dankbarkeit. Weil sie wissen, es ist ein wunderbarer Ausnahmezustand, der leider nur selten vorkommt und nicht jedem vergönnt ist.

Eigenes Schreiben und das auch dadurch erweckte Interesse am Lesen von Büchern ist sichtlich ein wichtiger Beitrag zur Entwicklung der Schüler.

Identitäten - Dialoge im Deutschunterricht

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