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2. Was sind die Grundlagen einer Didaktik des Dialogs? Der Transdifferenzansatz

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Trotz der oben skizzierten Voraussetzungen für einen politischen Dialog haben sich auf breiter Ebene im Bereich der Dialog-Konzepte konsensorientierte Ansätze etabliert, die im Wesentlichen auf der von Jürgen Habermas begründeten rationalen Diskursethik fußen. Zumindest im Hinblick auf eine Dialogdidaktik, die Relevanz für die Lebenswelt von Schülerinnen und Schülern haben soll, ist dies jedoch als ein reduktionistisches Konzept zu betrachten, das mit zu starken programmatisch-normativen Vorannahmen bezüglich kommunikativer Prozesse und Dialogsituationen einhergeht.

Eine hierfür angemessene Dialogdidaktik verlangt in jedem Fall nach Ergänzungen dieses konsensorientierten Ansatzes und nach alternativen Konzepten. Hierfür geeignet ist der Ansatz der Transdifferenz.

Die Entwicklung des Transdifferenzansatzes geht auf ein Graduiertenkolleg zurück (vgl. Breinig/Lösch 2002). Dialog wird hier auf die Prozesse der Kommunikation, des Verstehens und der Verständigung, also die Sprachverwendung, gegründet. Damit setzt auch die Dialogdidaktik bei der erst-, zweit- und fremdsprachlichen Spracharbeit an, die im Unterricht erfolgen muss.

In knapper Skizze geht es bei dem Transdifferenzansatz um Folgendes:

 Zu Beginn der Entwicklung des Ansatzes der Transdifferenz lag der Fokus noch auf der unhinterfragten Annahme gelingenden Verstehens.

 Nach einer ersten kritischen Auseinandersetzung rückten auch das Nicht-Verstehen und Missverstehen in den Blick.

 Um eine krude und unrealistische Binarität zwischen Verstehen und Nicht-Verstehen zu vermeiden, wurde die Aufmerksamkeit auf Differenzen gelegt, und darauf, was sie jeweils ausmachen. Auf diese Weise können Gesprächspartner dafür sensibilisiert werden, dass sie Äußerungen ihres Gegenübers kaum jemals zu 100 % oder zu 0 % so verstehen, wie er sie gemeint haben mag, sondern dass es Übergänge zwischen Verstehen und Nicht-Verstehen gibt, die graduell sind.

 Die Auseinandersetzung mit Differenzen ist die Voraussetzung für den Zugang zu einer „positiven Transdifferenz“.

 Dem Transdifferenzansatz geht es also darum, Differenzen anders zu denken, sie auszuhandeln und nicht in Verstehen/Nicht-Verstehen – vollkommene Nachvollziehbarkeit oder komplette Unzugänglichkeit – auflösen zu müssen.

Klaus Lösch beschreibt dies so:

In einem allgemeinen Sinn – und im Anschluss an die Bedeutung ‚quer hindurch‘ der Vorsilbe ‚trans‘ – bezeichnet Transdifferenz all das Widerspenstige, das sich gegen die Einordnung in die Polarität binärer Differenzen sperrt, weil es gleichsam quer durch die Grenzlinien hindurch geht und die ursprüngliche eingeschriebene Differenz ins Oszillieren bringt, ohne sie jedoch aufzulösen. (Lösch 2005: 27)

Der Konstanzer Soziologe Ilja Srubar kommentiert dies in seinem Beitrag Transdifferenz, Kulturhermeneutik und alltägliches Übersetzen: Die soziologische Perspektive so:

Die Reflexion der Relativität von „Weltanschauungen“, die an unterschiedliche soziale Standorte gebunden sind, die ein Individuum in seiner Biografie durchläuft, dient ebenso bereits Karl Mannheim 1929 zur Illustration der Auflösung der vermeintlichen Homogenität individuellen Wissensvorrats in eine zeitliche Sequenz von ungewissen Wahlen und Entscheidungen […]. Viel wichtiger ist jedoch, dass die wissenssoziologische Arbeit Mannheims paradigmatisch „die Gesellschaft“ in eine Vielfalt von Denkstandorten verwandelt, die sich durch eine beschreibbare Eigenlogik auszeichnen und zwischen welchen Übersetzungsprozesse stattfinden müssen, sollen Gesellschaftssysteme nicht zusammenbrechen. (Srubar 2009: 131f.)

Handlungen erscheinen vor diesem Hintergrund prinzipiell als Zeichen, die anderen zur Deutung auferlegt sind. Die Ungewissheit der Referenz kennzeichnet auch die Zeichensysteme selbst. Aus dem Phänomen der unaufhebbaren kommunikativen Unschärfe resultiert die Erfahrung der Differenz, auf die auch der Begriff der Transdifferenz zielt.

Denn binäre Systeme aus „Eigenem“ und „Fremdem“ sind nur begrenzt wirksam. Ein Perspektivenwechsel unterstellt, dass es sich um klar definierbare Perspektiven und nicht um offene Wahrnehmungen handelt. Der zugrundeliegende Kulturbegriff geht von trennbaren, eigenständig existierenden Systemen mehr oder weniger stark ausgeprägter Homogenität aus. Unberücksichtigt bleiben dabei kognitive Aspekte der Wahrnehmung: Wie sollen Perspektivwechsel stattfinden, wenn der kognitive Apparat des Betrachters/Lerners derselbe bleibt? Wenn zu unterstellen ist, dass der gleiche kognitive Apparat Eigenes und Fremdes getrennt voneinander wahrnehmen kann, dann wäre er nicht lernfähig, und damit wäre das Ziel interkulturellen Verstehens apriori unrealistisch.

Anleihen fand der Transdifferenzansatz in dem Konzept der „Transkulturation“, das zuvor von dem kubanischen Anthropologen Fernando Ortiz (1947) formuliert wurde. Es betont den Prozesscharakter der Kulturentwicklung und -konstruktion. Anders als der Begriff ‚Transkulturalität’, der das (statische) Ergebnis von oft nicht genauer bestimmten Transkulturationsprozessen bezeichnet, wird unter ‚Transkulturation’ der Prozess der Konstruktion und Aushandlung individueller Bedeutungen von Kulturen verstanden. Nach Atsuko Onuki und Thomas Pekar (2006) können Kulturen somit als Figurationen und Defigurationen von sich prozessual konstituierenden (figurierenden) Einheiten gefasst werden, die sich zugleich in einer ständigen Veränderungsbewegung befinden. Diese Veränderbarkeit und Dynamik sprengt die Grenzen gängiger, auch verbreiteter transkultureller Kulturkonzepte und ist Grundlage des Transdifferenzkonzeptes.

Und weil sich zum anderen, in Hinsicht auf unsere eigene kulturelle ‚Verortung‘ (oder auch ‚Ortlosigkeit‘), jede spezifische Kultur selbst als eine ‚Figuration‘ begreifen lässt, d.h. als eine prozessual sich konstituierende Einheit, die sich jedoch in einer ständigen Veränderungsbewegung befindet. Die Rede von ‚Figuration‘ (kultureller Figuration) soll darauf aufmerksam machen, daß sich jede Kultur in einem permanenten und unaufhebbaren Spannungsfeld von De- und Refiguration befindet. Dieser besondere zeitlich-dynamische Aspekt unterscheidet im übrigen ‚Figuration‘ am klarsten von Begriffen wie Struktur, Gestalt, Form etc. (Onuki/Pekar 2006: 9)

Im Sinne von Lösch (2005: 33) ist Kultur damit kein abgeschlossenes, auf sich selbst bezogenes System:

Kultur ist kein autopoietisches System, das in ausschließlicher Selbstbezüglichkeit die eigenen Elemente selbst produziert und in diesem Prozessieren die konstitutive System-/Umweltgrenze affirmiert und perpetuiert, sondern ein prozessuales Produkt der Interaktion von Systemen, deren Grenzen freilich erst in diesem Austauschvorgang gezogen und beständig revidiert werden.

Kultur ist demzufolge als die denotative Bedeutungsebene von sozialer und sprachlicher Interaktion zu definieren. Sozialisations-, Akkulturations-, und Integrationsprozesse sowie letztlich auch Individuationsprozesse im Sinne soziokultureller Selbstwahrnehmung beruhen auf der Viabilisierung konnotativer Bedeutungen in gesellschaftlichen Kontexten. (Wendt 2002: 42)

Mit der Begrifflichkeit von Transdifferenz und Differenz soll also die Unbestimmbarkeit und Veränderbarkeit kultureller Erscheinungen so gefasst werden, dass es weder zu einer normierenden Synthese noch zu einer Auflösung von Differenzen kommt. Der Transdifferenzansatz löst das Problem der kognitiven Dissonanz also durch ein dynamisches Nebeneinander mehr oder weniger interagierender und temporärer Positionen und Einstellungen. Differenzen komplementieren die binäre Ordnung. Durch die dynamische Integration des Fremden in bestehende und sich verändernde Wissensbestände wird die binäre Trennung in Eigenes und Fremdes obsolet.

Mit diesem Verstehensmodell einher geht eine Umstellung auf ein dynamisches Identitätskonzept. Nicht die Frage „Wer bin ich?“, sondern die Frage: „Wer werde ich?“ steht im Mittelpunkt der Identitätskonstitution (vgl. Allolio-Näcke/Kalscheuer 2005: 18). Die vielfältigen Austausch- und Veränderungsprozesse von Kulturen im Kontakt beziehungsweise im Zeitalter der Globalisierung können zu einer Komplexitätssteigerung von Identitäten führen, die als postnational bezeichnet werden können. Bei einer gewissen Fragmentarisierung des Selbst findet, so wird angenommen, eine „Teilhabe an mehreren Kollektiv-Intersubjektivitäten“ statt (vgl. Hildebrandt 2005: 351).

Wie aber werden die Kompetenzen erworben, die für den Umgang mit solcher Komplexität nötig sind? Es ist davon auszugehen, dass sich die transdifferente Qualität der Wissensorganisation am besten selektiv nach Bedarf und Disposition in bestimmten thematischen Domänen entwickelt, die für ein Individuum relevant sind. Die Themenauswahl und die Zugänge zu den Themen in diesem Buch sind dieser selektiven, individuellen Vorgehensweise verpflichtet.

Identitäten - Dialoge im Deutschunterricht

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