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2 AkronymeAkronym und Kurzwortforschung

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Eine brauchbare Definition von Kurzwörtern könnte diese als graphisch und phonisch realisierten, wortförmigen Output bestimmen, der durch einen näher zu spezifizierenden Kürzungsprozess aus einer ausdrucksseitig umfangreicheren Einheit gebildet wurde. Diese absichtlich weit gefasste Definition orientiert sich an Michel (2006: 79), wobei an seinem Ansatz zu kritisieren wäre, dass er von einer wortförmigen Kürzungsgrundlage ausgeht (siehe hierzu auch Kromminga 2007: 16). Dies entspricht nicht meiner Einschätzung: Vielmehr können ganz verschiedene sprachliche Einheiten auf wenige Elemente reduziert und univerbiert werden. Bei den Ausgangsformen der AkronymeAkronym handelt es sich oft um komplexe Nominalphrasen mit mehreren, teilweise tief eingebetteten Attributen und viel lexikalischem Material, das in der ausdrucksseitigen Reduktion entweder völlig verschwindet oder auf wenige Zeichen reduziert wird (bspw. ARD < Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland).

Anfangs war in der Kurzwortforschung die Annahme verbreitet, KurzwörterKurzwort und ihre Basislexeme müssten synonym zueinander sein (cf. Kobler-Trill 1994: 13–15). Diese Forderung ist aber nicht mit der sprachlichen Realität vereinbar und folglich ad acta gelegt worden (cf. Michel 2011: 143–161). Weber (2002) differenziert beispielsweise Kurzwörter, die sich u.a. hinsichtlich ihrer ReferenzReferenz (z.B. BMW ‚Fahrzeug‘ vs. Bayrische Motorenwerke ‚Fabrik‘) oder ihrer Konnotationen (z.B. Prof vs. Professor) gegenüber ihren jeweiligen Vollformen unterscheiden. Hinzu kommt, dass bei einigen hochfrequenten Kurzwörtern das Wissen um die dazugehörige Vollform kaum noch vorhanden ist; so war beispielsweise in einer Untersuchung von Weber (2002) die Wortfolge, die sich hinter der Abkürzung ARD verbirgt, nicht bekannt. Dies legt nahe, dass AkronymeAkronym als eigenständige Einheiten ins mentale Lexikonmentales Lexikon aufgenommen werden.

Bei der Klassifikation von Kurzwörtern gibt es verschiedene Möglichkeiten. Häufig findet sich eine Einteilung in Abhängigkeit davon, wie viele Elemente im Kürzungsprozess übernommen werden, ob es sich also um unisegmentale (Uni < Universität) oder multisegmentale KurzwörterKurzwort (WM < Weltmeisterschaft) handelt. Als eine andere Subklasse können dann partielle Kurzwörter (U-Bahn < Untergrundbahn, E-Mail < electronic mail) angesehen werden, bei denen nur eine reduzierte Initiale mit dem stets gleichen Grundwort neu kombiniert wird. Ferner werden Kurzwörter danach eingeteilt, welchen Status die herausgekürzten Elemente in der Ausgangsform hatten, so dass Morphemkurzwörter (Hoch < Hochdruckgebiet), Silbenkurzwörter (Kripo < Kriminalpolizei) und Buchstaben- oder auch Initialkurzwörter (SFV < Schweizer Fussballverband) unterschieden werden können. Mit solchen Einteilungen werden jedoch im Grunde recht disparate Phänomene zusammengefasst. Die Kürzungen durch Entfernen von Wortbestandteilen bei unisegmentalen Wörtern und die Herauslösung und Neuzusammensetzung von einzelnen Graphemen oder Silben bei multisegmentalen Wörtern sind gänzlich unterschiedliche Verfahren, und auch die jeweiligen Kürzungsresultate haben verschiedene Eigenschaften, zu denen nicht zuletzt unterschiedliche Verbreitungsmuster in den Medialitätsdomänen der Sprache gehören. Während unisegmentale Kurzwörter primär im mündlichen Sprachgebrauch auftreten, sind multisegmentale Initial- und Silbenkurzwörter konzeptionell schriftlich. Aus diesen Gründen trifft Eichinger (2000: 66) in seiner Typologie als erstes die Unterscheidung zwischen a) Kurzwörtern im eigentlichen Sinn (definiert als Kombinationen lesbarer Kurzeinheiten, cf. multisegmentale Initial- und Silbenkurzwörter) und b) gekürzten Wörtern (definiert als Reste von Langeinheiten, cf. unisegmentale Wörter). In der vorliegenden Untersuchung soll es um Kurzwörter im eigentlichen Sinn gehen, während unisegmental gekürzte Formen im Weiteren nicht thematisiert werden.

Multisegmentale Initialkurzwörter werden oft noch weiter nach ihrer Aussprache unterschieden, indem sie entweder als Lautwert-orientiert (und neu silbifiziert) wie bei GAU (< Größter anzunehmender Unfall) oder als Buchstaben-orientiert wie bei SNF (< Schweizer Nationalfond) klassifiziert werden.

Da es in der vorliegenden Untersuchung um eine besonders hochfrequente Klasse innerhalb der KurzwörterKurzwort gehen soll, die eigene Charakteristika aufweisen, wird im Folgenden der Begriff „AkronymAkronym“1Akronym für die zu beschreibenden Lexeme verwendet.

Die Ausbreitung der KurzwörterKurzwort in zahlreichen gesellschaftlichen Sphären und eine ungemein starke Zunahme seit vielen Jahren (cf. Steinhauer 2000: 1) wird gemeinhin darauf zurückgeführt, dass Kurzwörter zugleich mehrere kommunikative Zwecke erfüllen, indem sie vielen komplexen sprachlichen Bedürfnissen in hochtechnologisierten Informationsgesellschaften genuin entsprechen. Ein Überblick über die verschiedenen Funktionen, die Kurzwörtern zugeschrieben werden können, findet sich bei Michel (2006: 72–76). Im Folgenden soll es jedoch weniger um eine Gesamtdarstellung aller Funktional- und Wirkungsspezifika gehen, sondern um die Analyse ausgewählter Charakteristika von Kurzwörtern.

Ausschlaggebend für den Gebrauch von AkronymenAkronym ist sicherlich die ökonomische Komponente. Durch die Reduktion ausdrucksseitigen Zeichenmaterials sind KurzwörterKurzwort im Vergleich zu ihren Vollformen zeit- beziehungsweise platzsparend (cf. Kobler-Trill 1994: 187). Dies wirkt umso effektiver, je größer die Differenz zwischen Akronym und Ausgangsbasis ist.

Sprachökonomie sollte jedoch nicht als eindimensionales Interesse verstanden werden, das simplerweise durch eine gewisse Kürze im Ausdruck allein zu erreichen wäre. Vielmehr ergibt sie sich aus dem Zusammenspiel verschiedener Performanzbedürfnisse, die jeweils als produzenten- und rezipientenseitige miteinander konkurrieren können. Ronneberger-Sibold (1997: 251–256) erwähnt demgemäß neben dem ostentativen Bedürfnis nach Kürze auch das nach Deutlichkeit sowie phonologische Bedürfnisse, wie dies leichte Artikulierbarkeit und rhythmische Gliederung sind. KurzwörterKurzwort erfüllen diese im erweiterten Sinne sprachökonomischen Anforderungen in optimaler Weise, vor allem solche Bildungen, die aus zwei (oder auch drei) offenen Silben bestehen (schematisiert als „KV.KV“, wie Limo aus Limonade oder TH aus Technische Hochschule). Die Kondensierung ganzer Nominalphrasen auf wenige kurze Silben bedeutet eine eklatante Verdichtung. Die vorher umständlich zu gebrauchenden nominalen Wortgruppen können in gekürzter Form wiederum Wortbildungen eingehen und neue Bezeichnungen bilden. Dies führt folgerichtig zu einer großen Anzahl von Wortbildungskonstruktionen mit Kurzwörtern, wobei die KompositaKompositum mit Kurzwörtern als Erstglied deutlich überwiegen (Barz 2005: 746).

Aus der Dezimierung ganzer Attributketten auf wenige kurze Silben lässt sich außerdem ein weiterer Vorteil ziehen: Sie „erlaubt ein Referieren ohne mitschwingende ausdrückliche Prädikationen, diese womöglich in Gestalt unzutreffender, überholter oder bestrittener Prädikatoren. […] Kurzwortvarianten erlauben prädikationsfreie ReferenzReferenz.“ (Bellmann 1980: 377, Hervorhebung im Original). Diese Eigenschaft passt in bestimmten Kontexten hervorragend zu onymischenonymisch Präferenzen, nämlich dann, wenn für bestimmte Namen möglichst arbiträre, nicht-prädizierende Ausdrücke bevorzugt werden. Hinzu kommt eine von Bellmann (1980: 380) beschriebene Foregrounding-Wirkung durch den stilistischen Effekt der Hervorhebung. KurzwörterKurzwort, allen voran Initialkurzwörter, bilden als ausdrucksseitig prägnante, inhaltsseitig zunächst einmal „leere“ Wörter lexikalische Einheiten, die sich besonders gut zum unmittelbaren Labeling mit hohem Wiedererkennungswert eignen.

Mit der formseitigen Kürze gehen in vielen Fällen inhaltsseitige Eigenschaften einher, zu denen die Demotivation gehört. Die reduzierten Formen sind morphosemantisch weniger durchschaubar als ihre Ausgangsbasen, welche wiederum häufig gerade wegen ihrer präzisen Benennungsstruktur besonders umfangreich und infolgedessen kürzungsfreudig sind. Die Demotiviertheit in Form von semantischer Intransparenz tritt vor allem bei multisegmentalen Kurzwörtern auf, bei denen nur Silben oder Grapheme übernommen wurden.

Auf Seiten der Rezipienten rufen AkronymeAkronym allerdings oft Verständnisschwierigkeiten hervor. Diese treten vor allem dann auf, wenn Textproduzenten die Kenntnis eines KurzwortesKurzwort nicht voraussetzen können, obwohl sie zugleich grundsätzlich um Allgemeinverständlichkeit bemüht sein sollten. Dies ist insbesondere bei massenmedial vermittelter Kommunikation der Fall, wie sie etwa in Zeitungstexten vorliegt. Hinsichtlich des Gebrauchs im öffentlichen Diskurs ergibt sich daher ein Spannungsverhältnis, da demotivierte Kurzwörter einerseits besonders prägnant und prädikationsfrei wirken, zugleich aber auch undurchsichtig und unverständlich sein können.

Für die entsprechenden Textsorten hat sich in den letzten Jahren eine Strategie entwickelt, mittels derer zwischen ökonomischer Kürze und Verständlichkeit vermittelt wird. So werden AkronymeAkronym häufig zunächst zu Beginn des Textes nach dem Muster „Vollform (KurzwortKurzwort)“ vorgestellt und anschließend ohne neuerliche Erklärung weiterverwendet. Diese Vollformangabe findet zumeist in den ersten Zeilen eines Textes, aber nicht in Überschriften statt, wo wiederum Akronyme häufig allein verwendet werden. Die gleichzeitige Verwendung von Kurzwort und Ausgangsbasis ist zwar aufgrund der formativen Redundanz unökonomisch, liefert aber einen informationellen Mehrwert, der die Verständlichkeit des Akronyms sicherstellt und seine kommunikative Akzeptabilität erhöht. Diese Variante hat sich gegenüber anderen Möglichkeiten, wie sie etwa bei Schröder (1985: 203) beschrieben werden, weitgehend durchgesetzt und ist seit spätestens Ende der 2000er Jahre die dominante Methode (cf. Kromminga 2007: 62–67, Fleischer/Barz 2012: 290–292). Ob eine solche Texteinführung notwendig erscheint, hängt naturgemäß in erster Linie davon ab, wie stark ein Kurzwort bereits konventionalisiert und lexikalisiert ist; so werden allbekannte Akronyme wie USA, EU, UNO regelmäßig ohne Erklärung verwendet.

Das beschriebene Gebrauchsmuster – Einführung der AkronymeAkronym in Kontaktstellung zu ihrer Vollform, darauffolgende Alleinverwendung, häufig auch als Kompositumserstglieder gebraucht – trägt zusätzlich zur Herstellung einer ReferenzReferenz- oder Isotopiekette bei. Die (partielle) Rekurrenz derselben Zeichenausdrücke trägt ebenso wie die textkonstante Etablierung von Referenten zu einer starken Textkohärenz bei. KurzwörterKurzwort haben somit als Kohäsions- und Kohärenzmittel auch eine textkonstitutive Potenz (cf. Fleischer/Barz 2012: 288).

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