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4 Kleiner Exkurs zum sogenannten Islamischen Staat (IS)

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Der öffentliche Diskurs zum islamistisch motivierten TerrorismusTerrorismus wird aktuell, im Herbst 2014, sehr stark von der Berichterstattung über nur eine OrganisationOrganisation dominiert. Seit Juni 2014 erscheinen nahezu täglich Presseartikel über die Gruppierung, die sich selbst als „Islamischer Staat“ bezeichnet, vor allem über ihre militärischen Erfolge und über ins Internet gestellte brutale Videos, die Enthauptungen dokumentieren. In einigen Medienberichten werden auch immer wieder der aktuelle Name der Organisation, Alternativbenennungen, ältere Namensvarianten und die entsprechenden AkronymeAkronym, thematisiert. Das folgende Beispiel möge dies illustrieren:

(13)Von jenem Tag an [15.10.2006, Anm. JHK] nannte sich die Gruppe, die zuvor als „Al-Kaida im Irak“ (AQI) bekannt war, nur noch „Islamischer Staat Irak“. Terrorexperten benutzten fortan die Abkürzung ISI oder blieben bei AQI. […] [2013 änderte die Gruppe ihren Namen], um ihre Transnationalität herauszustellen. Sie taufte sich um in „Islamischer Staat im Irak und in Großsyrien“. ISIS bot sich an, aber ebenso ISIL – denn „Al-Schaam“ wird oft mit dem Begriff „Levante“ wiedergegeben. Deutsche Sicherheitsbehörden wollten ganz korrekt sein und erfanden zusätzlich „IStIGS“. Araber wiederum ersannen ein eigenes Wort. Und zwar jenes, das sich ergibt, wenn man die arabischen Anfangsbuchstaben von „Islamischer Staat im Irak und in Großsyrien“ als Wort ausspricht (so wie wir „Nato“ sagen). Auf diese Weise entstand der Begriff „Daisch“. Die Terroristen hassen diese Verballhornung und drohen damit, jeden zu bestrafen, der sie benutzt. Vier Namen also für dieselbe Gruppe. Das war schon mal verwirrend genug. Aber noch nicht das Ende. Denn was geschah im Juni 2014, nach der Einnahme der irakischen Stadt Mossul? Die Gruppe änderte ihren Namen ein weiteres Mal – in „Islamischer Staat“. Der Verzicht auf eine geografische Verankerung sollte nun den universalen Anspruch unterstreichen. (Die Zeit, 30.10.2014)
(14)Die verschiedenen AkronymeAkronym generieren eine mehrschichtige Benennungskonkurrenzsituation. Im Englischen wird diese Gemengelage zwischen ISIS, ISIL, ISI, IS bisweilen auch als „alphabet soup“ persifliert. (New York Times, 02.10.2014)

Wenn die Selbstbezeichnungen der OrganisationOrganisation sich ändern, indem je nach Vermarktungsstrategie regionale Spezifizierungen hinzukommen oder weggelassen werden, folgen die Kurzwortbildungen nach. Zugleich stehen sich aktuelle Selbstbezeichnungen, derzeit IS, und Fremdbezeichnungen wie Da’isch gegenüber. Durchsichtiger ist die Bezeichnung Un-Islamic State, die wiederum gleich zu UIS akronymisiert wurde, oder die von UN-Generalsekretär Ban Ki-moon gebrauchte Doppelverneinung des IS-Namensclaims als „Un-Islamic Nonstate“ (New York Times, 02.10.2014). Die Hinzufügung der Negationssuffixe dient hierbei sowohl zur Abwertung der Organisation als auch zur Abgrenzung zwischen der äußerst gewalttätigen Organisation und muslimischen Gemeinschaften, die sich mit der Organisation in keiner Weise verbunden fühlen. Die AkronymeAkronym UIS versus IS konstituieren hier zugleich einen semantischen Kampf in Form einer Bezeichnungskonkurrenz, also eines Widerstreits zwischen kontradiktorischen Positionen zur gegenstandsadäquaten Nomination.

(15)Weitere Verwendungskonkurrenzen entstehen aufgrund der Tatsache, dass ISIS ein Homonym darstellt, und zwar nicht nur zum Namen einer ägyptischen Göttin, sondern auch zum Markennamen einer belgischen Schokolade (Süddeutsche Zeitung, 24.10.2014), einer britischen Dessous-Kollektion, eines Studentenmagazins und zum Titel eines Songs von Bob Dylan. (Jungle World, 28.08.2014)

Eine präzise Beschreibung des Verhältnisses von Al-Qaida und Islamischer Staat zueinander ist sicherlich eine Aufgabe für die Terrorismusforschung und weniger für diesen Aufsatz. Bislang kursieren in der medialen Berichterstattung mehrere konträre Darstellungen: Entweder dass Al-Qaida den Islamischen Staat eher als Konkurrenten versteht und sogar vor ihm warnt (bspw. Süddeutsche Zeitung, 04.09.2014) oder dass Al-Qaida-Tochterorganisationen ihre Unterstützung und Solidarität ausdrücken, was zu der folgenden AkronymAkronym-gesättigten Überschrift führt:

(16)AQMI und AQAP für IS. (Telepolis, 16.09.2014)

In deutschsprachigen Medien ist die Übernahme der aktuellen Selbstbezeichnung und die Verwendung des dazugehörigen AkronymsAkronym nach den oben beschriebenen Gebrauchsmustern dominant. Eine kleine Analyse von neun zufällig kompilierten Artikeln verschiedener Zeitungen (Der Spiegel, Süddeutsche Zeitung, taz, Die Welt, Frankfurter Allgemeine Zeitung, Berner Zeitung, Der Standard) vom 16.11.20141 zeigt dies deutlich: IS tritt insgesamt 84 mal auf. In sieben der neun Überschriften wird ebenfalls das Akronym verwendet, dann aber in den ersten Zeilen der Artikel in Kontaktstellung zu der Vollform eingeführt. Interessanterweise tritt hier oftmals eine kategorisierende Beschreibung der OrganisationOrganisation in Form einer übergeordneten Nominalphrase hinzu. Bei den Beispielen handelt es sich jeweils um die ersten Sätze der Artikel:

(17)Die Extremistenmiliz Islamischer Staat (IS) hat nach eigenen Angaben eine weitere westliche Geisel enthauptet. (Berner Zeitung)
(18)Die Dschihadistengruppe „Islamischer Staat“ (IS) hat nach eigenen Angaben den US-Bürger Peter Kassig enthauptet. (Der Spiegel)
(19)Mehr als einen Monat nach der Ermordung einer britischen Geisel hat die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) im Internet ein Video zur angeblichen Enthauptung des US-Bürgers Peter Kassig veröffentlicht. (Der Standard)
(20)Die USA haben die Enthauptung der US-Geisel Peter Kassig durch die Dschihadistengruppe „Islamischer Staat“ (IS) bestätigt. (Der Spiegel)

Erneut zeigt sich ferner die Wortbildungsaffinität der AkronymeAkronym mit einer klaren Präferenz dazu, das Erstglied in Determinativkomposita zu stellen, wie die folgende Beispiele verdeutlichen:

IS-Terroristen, IS-Kämpfern, IS-Extremisten, IS-Schergen, IS-Kriegsminister, IS-Henker, IS-Geiseln, IS-Propaganda, IS-Video, IS-Propagandavideo, IS-Provinzen, IS-Zahlung

Die Produktivität von AkronymenAkronym zur Organisationsbenennung wird umso deutlicher in der Berichterstattung zu den Ereignissen im Kurdengebiet an der Grenze zwischen Türkei und Syrien. Bei den Kämpfen um Kobanê/Ain al-Arab werden als politische und militärische Konfliktparteien IS, PKK, PYD (beides kurdische Parteien), YPG, YPJ (beides kurdische Kampfverbände), FSA (Freie syrische Armee) und weitere genannt.

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