Читать книгу Kulturelle Nachhaltigkeit lernen und lehren - Группа авторов - Страница 107
2.3 Gelebte und erlebte Erinnerungskultur – Gedenken begehen
ОглавлениеNachhaltig wird Erinnerungskultur, wenn die Begegnung mit ihr nicht als flüchtige Erfahrung wahrgenommen wird, sondern im historischen Bewusstsein Spuren hinterlässt. Zwei durch Geschichtslehrkräfte initiierte Möglichkeiten, um das historische Gedächtnis zu erweitern, stehen im Fokus dieses Abschnittes.
Um den 15. April, dem Gedenktag des Massakers im Schliefaugraben5 (1945), findet jährlich ein Gedenkmarsch vom Ortszentrum Randegg bis zum Ort der Ermordung von rund 100 ungarischen Jüdinnen und Juden statt. Die Opfer werden symbolisch in Form von kleinen und großen schwarzen Figuren, die menschliche Silhouetten darstellen, mitgetragen. Am Gedenkmarsch beteiligt sich neben Schüler*innen sowie Lehrkräften der Mittelschule Randegg auch die interessierte Bevölkerung. Gemeinsam wird der letzte Weg der Opfer abgegangen und es werden am Ort der Erschießung die Namen der ermordeten Menschen verlesen, während die mitgebrachten Figuren abgestellt werden. Jede teilnehmende Person legt einen Stein in einen am Boden vorbereiteten Davidstern. Dieser befindet sich unmittelbar vor einem 1980 zur Erinnerung an die Opfer errichteten Gedenkstein. Das Rahmenprogramm der Feier stellen Beiträge der Mittelschule dar. Jedes Jahr wird auch eine aktuelle Menschenrechtsthematik im Gedenken berücksichtigt. Zum Abschluss wird das jüdische Totengebet Kaddisch gesprochen. Durch diesen jährlich stattfindenden Marsch wird ein Platz nachhaltiger Gedenkkultur im Leben der Gemeinde Randegg sichtbar. Die Erinnerung an die menschenverachtende Verbrecherherrschaft der Nationalsozialisten und das Mitwirken regionaler NS-Anhänger werden durch kollektives Gedenken in Erinnerung behalten. (Vgl. Kammerstätter & Diesenberger 2019, 418f.)
Eine andere Möglichkeit, um nachhaltige Erinnerungskultur zu fördern, stellt Werner Sulzgrubers Projekt „TOWN_Knowledge and Remembrance“ über die Stadt- und Zeitgeschichte von Wiener Neustadt dar.6 Dieses virtuelle Angebot beinhaltet neben Lernmaterialien für Schüler*innen ein digitales Archiv mit Bildern und Medien wie beispielsweise Filme zur Zeitgeschichte sowie Interviewauszüge aus Gesprächen mit Zeitzeug*innen. Der „Wissens- und Erinnerungsspeicher TOWN“ wird kontinuierlich durch Beiträge der Wiener Neustädter Bevölkerung aktualisiert und erweitert. Darüber hinaus können diverse Wege der Erinnerung durch Stadtspaziergänge sowohl virtuell als auch in Wiener Neustadt vor Ort beschritten werden. Für jeden Rundgang wird eine Karte mit markierten Erinnerungsorten und spezifischen Informationen angeboten. Beispielsweise beginnt der „Kleine Stadtspaziergang 1938–1945“ beim Alten Rathaus am Hauptplatz und führt unter anderem zu den ehemaligen Standorten Kriegsschule, Gestapo-Zentrale, Kreisgericht und Gefangenenhaus. Der Blick auf eine Gedenktafel in der Grazer Straße 90 ermöglicht das Bewahren der Erinnerung an den Luftangriff vom 14. März 1945, der 100 Todesopfer zur Folge hatte. Während der Tour wird darüber hinaus Gedenken an Schicksale jüdischer Menschen in Form von Stolpersteinen angeregt und auf Eisenbahner, die aufgrund ihrer Widerstandshandlungen ermordet wurden, hingewiesen.