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2.3 Dokumentarische Methode
ОглавлениеBei der Erforschung der Kindertexte und Bilder kommt die dokumentarische Methode zum Einsatz, die sich mit Bohnsack als „sozialwissenschaftliche Hermeneutik“ (2003, 550) klassifizieren lässt.3 Leitend für sie ist die methodologische Unterscheidung zweier Sinnebenen, die prinzipiell allen kulturellen Gebilden innewohnen und einander überlagern: Sprachliche Artefakte, menschliche Gesten, Bilder usw. lassen sich hinsichtlich ihres immanenten Sinngehalts analysieren. Er akzentuiert das, was wörtlich und explizit gesagt, geschildert oder dargestellt, d.h. „thematisch“ wird (Bohnsack 2001, 337). Im Gegensatz dazu erfasst der dokumentarische Sinngehalt die handlungsleitenden Orientierungen der Akteure, ihr implizites, ‚stillschweigendes‘ Wissen in Gestalt von „Relevanzen, Normalitätsannahmen, Weltsichten“ (Kleemann, Krähnke & Matuschek 2009, 160), die sich Mitglieder einer sozialen Gemeinschaft im Zuge ihrer Sozialisation angeeignet haben. Der dokumentarische Sinngehalt hebt auf die Herstellungsweise kultureller Gebilde ab, ihren modus operandi, weshalb es zu rekonstruieren gilt, „wie ein Thema, d.h. in welchem Rahmen es behandelt wird“ (Bohnsack 2011, 43; Hervorhebungen im Original).
Der erkenntnistheoretischen Differenz der beiden Sinnebenen tragen zwei Analyseschritte Rechnung. In der formulierenden Interpretation paraphrasiert der Forscher zunächst den immanenten, also den allgemein verständlichen und kommunikativ verfügbaren Sinngehalt, in diesem Fall das Was der Kindertexte und -zeichnungen. Dabei ist eine distanzierte Haltung gegenüber dem Datenmaterial erforderlich, die eine „Einklammerung des Geltungscharakters“ bedingt (Mannheim 1980, 80), denn es ist nicht von Interesse, ob etwas ‚wahr‘ oder ‚richtig‘ ist, sondern was sich darin über die Akteure und ihre Orientierungen manifestiert (vgl. Bohnsack 2014, 65). Im Mittelpunkt der reflektierenden Interpretation steht hingegen der dokumentarische Sinngehalt der Darstellungen. Der Forscher rekonstruiert das Gesagte, Geschilderte, Erzählte, das, was thematisch wird und somit den immanenten Sinngehalt, als Dokument einer handlungsleitenden Orientierung, die ihrerseits das schriftsprachlich oder bildlich Ausgedrückte (implizit) strukturiert. Bei diesem Vorgehen berücksichtigt der Interpret auch die eine Orientierung begrenzenden Horizonte, die entweder implizit in das Datenmaterial eingelassen sind oder die von den Akteuren expliziert werden. Daher geht der Forscher stets der Frage nach, worin Individuen das positive bzw. negative Ideal und Potenzial eines Sinnzusammenhangs sehen oder wie sie die Umsetzung einer Orientierung einschätzen (vgl. u.a. Przyborski 2004; Bohnsack 2014, 136 ff.).
Den gesamten Forschungsprozess mit der dokumentarischen Methode durchzieht die komparative Analyse. Sie gewährleistet, das Typische in Form homologer Muster zu rekonstruieren, statt ausschließlich fallbezogene Besonderheiten zu identifizieren. Außerdem gilt sie als „Königsweg des methodisch kontrollierten Fremdverstehens“ (Nohl 2009, 55), denn durch den Vergleich verschiedener Fälle ergeben sich empirische Vergleichshorizonte, mit denen die ‚Standortgebundenheit‘ der Forschenden zwar nicht eliminiert, wohl aber methodisch relativiert und kontrollierbar wird.4