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Elisabeth Hollerweger Die Welt ohne Menschen, die Welt ohne Natur? Szenarien des Verschwindens im Literaturunterricht 1. Vorüberlegungen

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„Was wäre eigentlich, wenn die Menschen plötzlich verschwinden würden? Erobert die Natur alles zurück, was die Menschheit geschaffen hat? Welche Spuren bleiben von uns?“ (Piper Verlag 2008) Diese Fragen bilden den Ausgangspunkt für Alan Weismans Sachbuch-Bestseller Die Welt ohne uns (Weisman 2007). In vielfältigen Extrapolationen geht er darin der Hypothese nach, die Natur würde sich den Planeten nach dem Verschwinden der Menschen zurückerobern. Während die plötzliche Abwesenheit des Homo sapiens in diesem theoretischen Gedankenexperiment keiner Begründung bedarf, loten fiktive Narrative des Verschwindens oft gerade die Kausalzusammenhänge und die damit verbundenen Fragen nach Schuld und Resilienz aus. So lässt sich am Beispiel des Mediums Bilderbuch beobachten, dass neben dem Verschwinden des Menschen (Die Fabel von Fausto [Jeffers 2020]; Groona [Frey 2020]; Thelonius’ große Reise [Schade 2012]) auch das Verschwinden von Naturelementen wie Land (Polymeer [Klobouk 2012]), Bäumen (Als die Bäume davonflogen [Belli 2017]) und Meer (Der Tag, an dem das Meer verschwand [Haynes 2020]) imaginiert wird. Die erzählten Räume sind dabei durch das Fehlen vermeintlicher Selbstverständlichkeiten gekennzeichnet und fordern über Verfremdungseffekte und Irritationsmomente zur „kreativen Selbsterneuerung von Sprache, Wahrnehmung, Imagination und Kommunikation“ (Zapf 2015, 177) heraus. Das Eintauchen in solche explizit als defizitär gestalteten Welten macht die Vulnerabilität des Menschen innerhalb kollabierender Ökosysteme erlebbar und regt somit auch die kritische Auseinandersetzung mit der (Un-)Verzichtbarkeit der jeweils eliminierten Systembestandteile an.

Einerseits eröffnen die Geschichten also emotionale Zugänge zu faktisch komplexen Zukunftsszenarien, andererseits kann der Transfer von einem fiktiven Weltentwurf in die eigene Lebenswelt aber nur gelingen, wenn Schüler*innen in der Lage sind, Figurenperspektiven nachzuvollziehen, die Kausalzusammenhänge der erzählten Welten reflexiv zu durchdringen, bewusst mit der sprachlichen Konstruktion von Fiktion umzugehen und symbolische Zuspitzungen zu decodieren. In diesem Sinne kommt Literaturunterricht nicht nur die Aufgabe, sondern auch die Bedeutung zu, z.B. über literarisch ausgestaltete ‚Mangelwelten‘ das Möglichkeitsdenken anzuregen, literarisches Verstehen mit nachhaltigkeitsbezogenem Verstehen zu verzahnen und damit transformative Bildungsprozesse in einem zentralen Fach kultureller Bildung zu verankern.

Kulturelle Nachhaltigkeit lernen und lehren

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