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4. Resümee
ОглавлениеDer Beitrag beruht auf mit Zeichnungen angereicherten Kindertexten, die in einer Unterrichtseinheit zum kreativen Schreiben in einer zweiten Grundschulklasse entstanden sind. Als Impulsgeber diente das literarästhetische Bilderbuch Wenn ich eine Katze wäre…, dessen Gehalt und Form alle Schüler*innen zu eigenen kreativen Adaptionen animiert. Wie die komparative, fallübergreifende Analyse des Datenmaterials belegt, beschäftigen sich einige Zweitklässler*innen auch mit globalen Krisen im Anthropozän. Hierzu zählen exemplarisch Umweltverschmutzung, Urbanisierung, Klimawandel und Armut, ohne dass die Lehrperson eine Auseinandersetzung mit ihnen intendiert hätte. Unzweifelhaft dokumentiert sich darin, dass von diesen Sujets eine große Anziehungskraft auf die Kinder ausgeht und sie in ihrer Lebenswelt durchaus präsent sind. Ihre Texte und Bilder sind als kritische Reflexe auf diese weltweiten Entwicklungen zu interpretieren, deren vollständige Durchdringung aktuell vermutlich noch weit außerhalb ihres aktuellen Verstehenshorizonts liegt. Trotzdem lassen sich die Schüler*innen von ihnen nicht einschüchtern, sondern sie bearbeiten die Probleme und entwickeln originelle Lösungsvorschläge, die ihrer kindlichen Gedankenund Gefühlswelt entsprechen und bereits komplexe Wechselbeziehungen zwischen Mensch und Natur erfassen.
Den hierfür notwendigen „Erprobungsraum“ (Ette 2010, 26) eröffnet ihnen das kreative Schreiben: Wie in einem ‚Spiel‘ experimentieren die Schüler*innen mit phantastischen Identitäten, mit denen sie das ‚Hier und Jetzt‘ verlassen können, um mit einer Verbindung ihrer eigenen Fähigkeiten mit den besonderen, meist übermenschlichen Eigenschaften der übernommenen Rolle auf existenzielle Bedrohungen für Menschen, Pflanzen und Tieren zu reagieren. Die Imagination des „Wenn ich ein*e … wäre“ stellt also keine vollkommene Transformation des ‚Ich‘ in ein ‚Anderes‘ dar, sondern enthält Anteile des ‚Ich‘ als auch Anteile des ‚Anderen‘, was zu einer wechselseitigen Potenzierung der Fähigkeiten führt.6 Wenngleich sich die Kinder dabei im Raum des Als-ob bewegen, können sie sich im Gewand der erweiterten Identität als Individuen erleben, die sich nicht resignierend einem scheinbar unabwendbaren Schicksal ergeben, sondern dank der zusätzlich gewonnenen Stärke gleichermaßen verändernd und nachhaltig auf die Realität einwirken und sich gestaltend mit der Gegenwart und Zukunft der Welt und ihrer Bewohner beschäftigen. Parallel üben die Kinder bei dieser „ästhetisch-imaginativen Transformation von Wirklichkeit“ (Zapf 2019, 361) auch Literatur als eine kulturelle Praxis ein, die seit jeher der Verarbeitung kollektiver, mitunter krisenhafter Erfahrungen dient, den Raum für alternative Denk- und Handlungsoptionen öffnet und schließlich den Einzelnen ermutigt, mit eigenen Imaginationen und Utopien die Zukunft – die eigene und die der Welt – mitzugestalten.