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4.2 Kriminologische Aspekte: Kriminalität und Lebenslauf

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Die Kriminologie beschäftigt sich seit ihren Anfängen und insbesondere den Forschungen des Ehepaars Glueck in den 1930er Jahren in den USA mit Fragen der Entwicklung der Kriminalität im Lebenslauf. Dabei ging es – wie auch in den späteren sog. Kohortenstudien – vor allem um Fragen der Jugenddelinquenz. Mit dem Älterwerden der Forscher und den Daten aus Wiederholungsstudien bezogen auf dieselben Kohorten hat man nunmehr auch wirkliche Lebenslängsschnittdaten zur Verfügung, die bis ins 6. oder 7. Lebensjahrzehnt reichen. Dies gilt sowohl für Deutschland für die Tübinger Jungtäter-Vergleichsuntersuchung, die Göppinger in den 1960er Jahren begann.43

Im Folgenden soll auf eine Untersuchung bei 400 im Jahr 1976 erfassten männlichen deutschen (in Berlin inhaftierten) Strafgefangenen, die 1997 anhand von Bundeszentralregisterauszügen im Hinblick auf Rückfälle nachuntersucht wurden, eingegangen werden, um das gesamte und vielfältige Spektrum von Kriminalität und Lebenslauf in den Blick zu nehmen. Die Ergebnisse dieser Studie weisen auffällige Ähnlichkeiten mit neueren Ergebnissen der Lebenslaufforschung auf, die auf differenzierte Verläufe einerseits und die Gemeinsamkeit eines Ausklingens der durchschnittlichen kriminellen Karrieren auch bei Mehrfachauffälligen im dritten, spätestens vierten Lebensjahrzehnt andererseits hinweisen (Boers 2009; 2019; Pruin 2021). Die nachfolgend betrachtete Studie (vgl. auch Kap. 6) ist insofern besonders, als es sich um Straftäterkarrieren mit einem Hintergrund verbüßter Freiheitsstrafen handelt, also um die selektive Minderheit von Verurteilten mit einer institutionellen Gefängniskarriere. Das Durchschnittsalter der Stichprobe der als Berliner CRIME-Studie (Dahle 1998). bekannt gewordenen Untersuchung lag 1997 bei 52 Jahren.44 Durchschnittlich waren die erfassten Verurteilten 22 Jahre aktiv, davon 40 % auch noch nach 1992 als straffällig registriert. Die »Karriere« umfasste durchschnittlich 12,2 Verurteilungen und 6,3 Jahre verbüßte Haft.

Im Wesentlichen konnten 5 Verlaufsmuster delinquenter Entwicklungen identifiziert werden:

1. »Gelegenheitstäter« (47 % der Stichprobe)

Sie zeigten eine vergleichsweise geringe delinquente Aktivität bei relativ spätem »Einstiegsalter« (Ø 25 Jahre); dabei ließen sich zwei Untertypen unterscheiden:

• Zum einen Ein- bis Dreimaltäter mit singulären Ereignissen, z. B. Unterhaltspflichtverletzung, Betrugs-, Wirtschaftsdelikte u. ä.

• Zum anderen Mehrfachtäter im Bagatellbereich von Eigentums-, Verkehrs- und gelegentlich Körperverletzungsdelikten über einen längeren Zeitraum (Ø 19 Jahre).

2. »Späteinsteiger« (13 % der Stichprobe)

Der Ersteintrag im Bundeszentralregister (BZR) lag bei durchschnittlich 24 Jahren mit einem Aktivitätsgipfel zwischen 35–40 Jahren, durchschnittlich verbrachten sie 10 Jahre in Haft. Es dominierten schwere Eigentums- und Vermögensdelikte, Gewaltdelikte traten nur selten auf.

3. »Jungaktive« (16 % der Stichprobe)

Die Frequenz und Schwere der Delikte nahm noch vor dem 25. Geburtstag stark ab, teilweise blieben sie völlig straffrei, im Übrigen lediglich mit geringen Verkehrs- oder Eigentumsdelikten belastet.

4. »Altersbegrenzte Intensivtäter« (11 % der Stichprobe)

Diese Gruppe zeichnete sich durch einen frühen Beginn der Delinquenz aus. Diese wird bei einer Steigerung der Deliktsschwere bis ca. zum 30. Lebensjahr fortgesetzt, danach ist ein weitgehender Abbruch, häufig nach langen Haftstrafen zu beobachten.

5. »Persistente Intensivtäter« (13 % der Stichprobe)

Diese Gruppe wies durchschnittlich 20 Einträge im BZR auf, kam auf durchschnittlich 17 Jahre Haftverbüßung und eine Karrieredauer von 33 Jahren. Fast 60 % dieser Gruppe fielen mit schweren Raub- und Erpressungsdelikten auf (50 % aller dieser schweren Fälle gehen auf das Konto der persistenten Intensivtäter). Es gibt keinen eindeutigen Altersgipfel, sondern Zyklen schwerer Delinquenz und eher »abstinenter« Phasen. Der Anteil von »Aussteigern« betrug bis zum Erhebungszeitraum weniger als 20 %. Aber auch bei dieser Gruppe ist im vierten oder fünften Lebensjahrzehnt von einem regelmäßigen »Ausstieg« aus der kriminellen Karriere auszugehen.45

Graphisch lassen sich die Verlaufstypen anhand der durchschnittlich in der jeweiligen Lebensphase verbüßten Haftzeiten wie in der Abbildung ( Abb. 4.2) darstellen.

Diesen Verlaufstypen waren auch bestimmte Belastungsmerkmale und psychosoziale Auffälligkeiten zuzuordnen, am deutlichsten ausgeprägt bei den »persistenten Intensivtätern«. Wichtig und ermutigend erscheint, dass die Hälfte der ein Viertel der Gesamtstichprobe ausmachenden Intensivtäter um das 30. Lebensjahr herum die Karriere abbrach. Prädiktoren für den Abbruch waren: positive Erfahrungen (gelungener Berufseinstieg oder Partnerschaft), kritische Lebensereignisse (Krankheiten, Unfälle etc.), drohender längerer Strafvollzug und/oder Sicherungsverwahrung. Die Karrieretäterliteratur spricht hier von »Turning points« als Auslöser für den Abbruch.46 Bei der von Laub und Sampson bis zum 70. Lebensjahr analysierten Probanden ergab sich, dass nur ein minimaler Prozentsatz der als »high rate chronics« beschriebenen Intensivtäter auch im 7. Lebensjahrzehnt noch »aktiv« waren (je nach Deliktsart 1-3 %).47


Abb. 4.2: Verlaufsformen delinquenter Lebensläufe

Was bedeuten diese Befunde für das vorliegende Thema der Alterskriminalität über 60-Jähriger? Wir können davon ausgehen, dass sich im Bereich von Strafverurteilungen und Strafvollzug die drei Gruppen der persistenten Intensivtäter, der »Späteinsteiger« und der »Jungaktiven« mit lang ausdauerndem Ausklingen der Karriere in eher bagatellhaften Delikten wiederfinden. Darüber hinaus – und das ist wohl selten ein Problem des Strafvollzugs – handelt es sich bei den über 60-Jährigen in beachtlichem Umfang um Erstauffällige, die entweder durch kritische Lebensereignisse, Vereinsamung oder auch Altersabbau und Verlust von Hemmschwellen mit leichteren Eigentums- und Vermögens- bzw. Straßenverkehrsdelikten auffällig werden.

Alter und Devianz

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