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4.5 Ältere Menschen im Strafvollzug – sozial- und legalbiografische Merkmale

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Die Altersstruktur im Strafvollzug ist einem deutlichen Wandel unterworfen. Dieser ist mit der Veränderung der Altersstruktur in der Gesamtbevölkerung und einem wachsenden Anteil älterer Menschen assoziiert. Dementsprechend werden in den nächsten Jahren rein demographisch bedingt auch die absoluten Zahlen älterer Menschen im Strafvollzug weiter ansteigen.52 Der Anteil der über 50-Jährigen Insassen hat sich – wie aus Abbildung 4.3 zu entnehmen ist – seit Ende der 1990er Jahre mehr als verdoppelt.

Der Anteil von mindestens 60-Jährigen im Strafvollzug hat sich von 1,5 % im Jahr 1992 auf 4,1 % im Jahr 2020 (im Erwachsenenstrafvollzug sogar auf 4,7 %) erhöht.

Jedoch sind die Probleme der »Überalterung« des Strafvollzugs teilweise auch durch die Kriminalpolitik verursacht, insbesondere, wenn man die Ausweitung der Sicherungsverwahrung seit 1998 bedenkt, wo fast jeder Dritte Verwahrte die Altersgrenze von 65 Jahren erreicht hat ( Tab. 4.2). Daher ist ein Blick auf sozial- und legalbiografische Merkmale der älteren Menschen im Strafvollzug angebracht.


Abb. 4.3: Die Altersstruktur im Strafvollzug in Deutschland, 1970-2019. Quelle: Strafvollzugsstatistik 2019, S. 10.

Tab. 4.2: Ältere Menschen im Strafvollzug – Stichtag 28.2.202053


Bundesweit handelte es sich um 2.603 Gefangene, davon 2.103 im Vollzug einer Freiheitsstrafe (70,6 %) und 172 Sicherungsverwahrte (0,9 %). Der Anteil älterer (mindestens 60-jähriger) Strafgefangener beträgt insgesamt zwar immer noch »nur« 4,7 % der Insassen des Erwachsenenstrafvollzugs ( Tab. 4.2), jedoch lässt sich damit zugleich eine besonders problematische Gruppe identifizieren, die in den letzten Jahren deutlich zugenommen hat:

Die 172 mindestens 60 Jahre alten Sicherungsverwahrten machen bereits ein knappes Drittel aller Sicherungsverwahrten aus (29,2 % von n = 590). Sie betreffen zwar nur 6,6 % des »Altenstraf- und -untersuchungshaftvollzugs«, sind aber in der Untergruppe der Sicherungsverwahrten deutlich überrepräsentiert.54

Bei älteren Gefangenen dürfte es sich – mit Ausnahme der Sicherungsverwahrten – um durchschnittlich weniger sicherungsbedürftige Inhaftiere handeln, denn Fluchtgefahr dürfte wegen der verminderten körperlichen Fähigkeiten geringer zu veranschlagen sein. Dementsprechend sind mindestens 60-Jährige in der Untersuchungshaft deutlich unterrepräsentiert (2,5 % gegenüber 4,7 % im Vollzug der Freiheitsstrafe, s. o.). In der Strafvollzugsstatistik (2019, S. 13) spiegelt sich der geringer ausgeprägte Sicherungsbedarf in einem leicht erhöhten Anteil älterer Gefangener im offenen Vollzug wider: 19,7 % der mindestens 60-jährigen, gegenüber 14,5 % der Erwachsenenstrafgefangenen und -verwahrten insgesamt waren zum Stichtag 31.3.2019 im offenen Vollzug untergebracht.

Wie sieht nun die Deliktsstruktur und Straflänge der wegen Freiheitsstrafen Einsitzenden aus? Dazu enthält die Strafvollzugsstatistik leider keine detaillierten Angaben. Die deliktsspezifische Differenzierung unterscheidet nur nach über 25-Jährigen, weist also die mindestens 60-Jährigen nicht getrennt aus. Aus Einzelstudien ist allerdings bekannt, dass es sich bei älteren Menschen im Strafvollzug tendenziell um die gleichen Deliktsgruppen handelt, die auch ausweislich der Strafverfolgungsstatistik überrepräsentiert sind: Eigentums- und Vermögens- sowie Verkehrstäter mit i. d. R. geringer Tatschwere i. S. der verursachten Schäden.55 Andererseits ist in der Gruppe der längere Freiheitsstrafen als zwei Jahre Verbüßenden, die etwas über 50 % der älteren Gefangenen ausmachen (s. zur voraussichtlichen Vollzugsdauer als Indikator unten), der Anteil von Gewalt- und Sexualtätern offenbar stark überrepräsentiert.56 Dies gilt insbesondere für die (zunehmende) Gruppe der älteren bzw. alternden Sicherungsverwahrten (s. u.). Nach der Auswertung von Laubenthal (2015, S. 133) waren am 31.3.2013 27,3 % wegen Straftaten gegen die Person (Beleidung, Körperverletzung, Nötigung, Bedrohung u. ä.), 24,0 % wegen Betrugs- und anderen Vermögensdelikten, 15,5 % wegen Sexualdelikten und 11,6 % wegen Diebstahl und Unterschlagung inhaftiert. Verstöße gegen andere Bundes- oder Landesgesetze (wohl ganz überwiegend BtM-Delikte) machten 9,8 %, Straßenverkehrsdelikte 4,5 % aus (bei Männern 16,7 %, bei Frauen 0,6 %).57

Hinsichtlich der Vorstrafenbelastung ergeben sich aus der Strafvollzugsstatistik, die hier nur die über 40-Jährigen getrennt ausweist, keine Besonderheiten. 69,2 % dieser Altersgruppe und 68,3 % der am 31.3.2019 insgesamt Freiheitsstrafen nach dem StGB verbüßenden Strafgefangenen waren vorbestraft. Erwartungsgemäß gibt es unter den über 40-Jährigen eine kleine Gruppe von Gefangenen (22,0 % versus 11,0 % insgesamt), die mehr als 10 Mal vorbestraft sind (vgl. Strafvollzugsstatistik 2019, S. 20).

Betrachtet man die Straflänge, indiziert durch die in der Strafvollzugsstatistik zum Stichtag erfasste »voraussichtliche Vollzugsdauer«58, so hatten von den 2.211 einsitzenden mindestens 60-jährigen Strafgefangenen 21,3 % weniger als 6 Monate zu verbüßen ( Tab. 4.3). Weitere 12,3 % hatten 6 Monate bis ein Jahr zu verbüßende Haftzeit vor sich. Diesem knappen Drittel mit sehr kurzen Strafen stehen 27,0 % Gefangener mit beachtlichen Strafzeiten von mehr als 2 bis zu 5 Jahren Freiheitsstrafe gegenüber, weitere 11,1 % mit Freiheitsstrafen zwischen 5 und 10 sowie 2,4 % mit Freiheitsstrafen zwischen 10 und 15 Jahren. Bemerkenswert sind vor allem die 175 »Lebenslänglichen«, die 16,4 % der älteren Strafgefangenen und 20,2 % aller 1.796 mit lebenslanger Freiheitsstrafe Inhaftierten ausmachten.

Tab. 4.3: Voraussichtliche Vollzugsdauer der am 31.3.2019 inhaftierten mindestens 60-jährigen Strafgefangenen


Im Vergleich zur Insassenstruktur des Vollzugs der Freiheitsstrafe insgesamt zeigt sich, dass ältere Strafgefangene bei den kurzen bis mittleren Freiheitsstrafen bis zu einem bzw. zwei Jahren unter-, bei den längeren Freiheitsstrafen, insbesondere lebenslange Freiheitsstrafe Verbüßenden dagegen überrepräsentiert sind. Insgesamt gilt aber, dass es keine homogene Gruppe älterer Gefangener gibt, sondern verschiedene Gruppen mit deliktsspezifischen und weiteren legal- und sozialbiographischen Besonderheiten. Nach der Straflänge kann man drei größere Gruppen zusammenfassen:

• Ein knappes Drittel mit kurzen bis sehr kurzen Freiheitsstrafen, darunter vermutlich auch sozial Entwurzelte, die lediglich Ersatzfreiheitsstrafen verbüßen. Nimmt man zu dieser Gruppe die Freiheitsstrafen bis zu zwei Jahren hinzu, so umfasst diese Gruppe 42,2 % der älteren Gefangenen.

• Etwas mehr als ein Viertel (27,0 %), das längere Freiheitsstrafen verbüßt (2–5 Jahre) und

• 29,9 %, die sehr lange Freiheitsstrafen von mindestens 5 Jahren bis zu lebenslänglich verbüßen.

Der Anteil der Verheirateten war bei den am 31.3.2019 eine Freiheitsstrafe Verbüßenden mit 27,7 % größer als bei den jüngeren Insassengruppen (Durchschnitt im Erwachsenenstrafvollzug: 16,7 %), ebenfalls der Anteil Verwitweter (9,2 %: 1,4 %). Geschiedene waren mit 38,2 % : 13,4 % ebenfalls überrepräsentiert, während auch bei Strafgefangenen im sehr hohen Alter »Ledige« mit 24,0 % (gegenüber 66,3 % im Durchschnitt aller FS verbüßenden Gefangenen) die Minderheit darstellen.59 Insgesamt zeigt sich nach diesen formalen Daten, dass eine deutliche Mehrheit nach der Entlassung keinen Lebenspartner haben dürft

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