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4.8 Ziel und Ausgestaltungen der Freiheitsstrafe

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Das geltende Strafvollzugsrecht der Bundesländer enthält keine Sondervorschriften für bestimmte Altersgruppen. Somit gilt auch für ältere Menschen im Strafvollzug ein künftiges Leben in sozialer Verantwortung ohne Straftaten als alleiniges Vollzugsziel.68 Ferner ist der Vollzug so zu gestalten, dass das Leben im Vollzug den allgemeinen Lebensverhältnissen soweit wie möglich angeglichen ist, schädlichen Folgen des Freiheitsentzugs entgegengewirkt wird und dem Gefangenen (schon mit Beginn des Vollzugs) hilft, sich in die Gesellschaft wieder einzugliedern (§ 3 Abs. 1-3 des früheren StVollzG 1977 und die entsprechenden Regelungen der Ländergesetze). Diese Grundsätze ebenso wie die in § 2 S. 2 StVollzG 1977 beschriebene Aufgabe des Vollzugs, die Allgemeinheit vor weiteren Straftaten zu schützen, sind allerdings altersspezifischen Interpretationen zugänglich. Angesichts der geringeren Deliktsschwere und damit zusammenhängend nur in geringerem Maß betroffenen Sicherheitsbelange sind die Regelungen zur Öffnung des Vollzugs (Verlegung in den offenen Vollzug, Lockerungsmaßnahmen, Urlaub), zur Besuchskontrolle bzw. -überwachung, zur internen Öffnung durch offene Zellen, Wohngruppenvollzug etc. großzügiger auslegbar.

Besondere Interpretationsprobleme werden bei einem Blick auf das Ziel der Freiheitsstrafe deutlich. Das Resozialisierungsziel ist bei »normalen« jungen und erwachsenen Gefangenen auf die Integration in das Berufs- bzw. Arbeitsleben ausgerichtet. Bei über 60-Jährigen kann es allenfalls um die Vorbereitung auf das Rentnerleben oder im schlimmsten Fall das Leben in betreuten Wohnformen gehen. Darauf sind die Programme des Erwachsenenvollzugs aber nicht ausgelegt. Deshalb spricht manches für die Praxis in Baden-Württemberg, Hessen und Nordrhein-Westfalen, eigenständige Seniorenanstalten oder Seniorenabteilungen einzurichten, die ein sehr viel entspannteres Zusammenleben mit anderen Zielvorgaben organisieren können.69 Ein weiterer Grund für eine Abtrennung älterer Gefangener vom »Normalvollzug« kann in ihrer besonderen Vulnerabilität im Hinblick auf Gewaltviktimisierungen durch jüngere Gefangene gesehen werden, ferner in dem besonderen Bedarf fürsorgerischer Maßnahmen durch Sozialarbeit und medizinischer Versorgung.70

Ziel und Ausgestaltungen des Altenstrafvollzugs hängen wesentlich auch von der Insassenstruktur ab. Daher ist nochmals auf die unter 4.5 ( Kap. 4.5) dargestellten Daten zurückzukommen: Es gibt im Wesentlichen drei Problemgruppen. Einmal die Sicherungsverwahrten, deren Anteil nach den »Reformen« der letzten Jahre und der zunehmend restriktiveren Entlassungspraxis weiter zunehmen wird. Zum anderen die Gefangenen mit langen zeitigen oder mit lebenslanger Freiheitsstrafe und schließlich die eher sozial hilflosen Bagatelleigentumstäter u ä., die kurze Freiheitsstrafen verbüßen, jedoch wegen sozialer Prekarität, Entwurzelung, Vereinsamung etc. ein besonderes Integrationsproblem darstellen.

Unter Vollzugspraktikern herrscht Einigkeit darüber, dass – abgesehen von Einzelfällen z. B. in der Sicherungsverwahrung – ältere Gefangene einen erheblich geringeren Sicherungsbedarf aufweisen. Man könnte daher einen weit höheren Anteil als die am 31.3.2019 in der Strafvollzugsstatistik ausgewiesenen 19,7 % mindestens 60-Jähriger im offenen Vollzug Untergebrachter erwarten (der Bundesdurchschnitt im Erwachsenenvollzug lag mit 14,5 % nur wenig darunter).

Auch ist es sinnvoll, den Wohngruppenvollzug (der allerdings auch im Regelvollzug verbindlich vorgesehen werden sollte) gerade im Altenstrafvollzug zur Regel zu machen. Die Erfahrungen in den bestehenden Einrichtungen des Altenvollzugs sind auch insoweit positiv.

Beim Altenvollzug könnte man sich – ebenso wie im Jugendstrafvollzug z. B. in Baden-Württemberg der Fall (vgl. das Projekt »Chance« in Adelsheim sowie ein weiteres Projekt in Leonberg) – vorstellen, dass »der Vollzug weitgehend in freien Formen« stattfinden kann. Ohne damit einer Privatisierung des Strafvollzugs das Wort reden zu wollen, kann hier der Einsatz privater Träger der Straffälligenhilfe, u. U. auch im Pflegebereich erfahrener Träger sinnvoll sein.

In Anbetracht der Gesundheitsprobleme und der hohen Prävalenz auch psychischer Störungen und Erkrankungen bei älteren Gefangenen71 sind zudem Vernetzungen mit dem Gesundheitssektor notwendig bis hin zu der Überleitung in Pflegeheime, betreutes Wohnen etc. Damit sind Probleme der Entlassung und Entlassungsvorbereitung angesprochen. Häufig ist der »soziale Empfangsraum« problematisch oder infolge Scheidung, Verwitwung etc. nicht vorhanden. Daher müssen zur Vermeidung von Obdachlosigkeit neue Überleitungsformen speziell auch für ältere Entlassene angeboten und ausgebaut werden, z. B. altersgerechte Übergangsheime, Pflegeeinrichtungen etc.

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