Читать книгу Alter und Devianz - Группа авторов - Страница 47

4.4 Sanktionspraxis der Staatsanwaltschaften und Gerichte

Оглавление

Über die Strafverfolgungspraxis gibt es keine allgemein zugänglichen Daten, da die Strafverfolgungsstatistik zwar die Verurteiltenzahlen alter Menschen – auch deliktsspezifisch differenziert – ausweist, nicht aber die Sanktionsart (Geldstrafe, Strafaussetzung zur Bewährung, Freiheitsstrafe ohne Bewährung). Zur Diversionspraxis lassen sich gleichfalls nur plausible Vermutungen anstellen. So darf man aus dem erheblichen »Schwund« zwischen den TVBZ und VZ ( Tab. 4.1) schließen, dass der überwiegende Teil der Strafverfahren wegen Geringfügigkeit eingestellt wird (sog. Diversion). Die Einstellungsquote ist bei der klassischen Eigentums- und Vermögensdelinquenz vermutlich noch größer, denn die bei über 60-Jährigen überproportional vertretenen Straßenverkehrsdelikte werden vermutlich – wie allgemein üblich – überwiegend im Strafbefehlsverfahren und damit mit einer Verurteilung abgeschlossen.

Die Diversion dürfte vor allem bei Privatklagedelikten wie der Beleidigung ausgeprägt sein. Dementsprechend spielen Beleidigungsdelikte, die in der PKS 2018 knapp 16 % ausmachen, in der Verurteilte betreffenden Strafverfolgungsstatistik mit knapp 4 % kaum noch eine Rolle.51

Angesichts der geringen Deliktsschwere dürfte die Freiheitsstrafe noch mehr als bei den jüngeren Altersgruppen die absolute Ausnahme sein. Leider gibt die Strafverfolgungsstatistik darüber keine Auskunft. Jedoch dürfte klar sein, dass es sich bei den Insassen des Strafvollzugs um eine grundsätzlich andere Personengruppe als bei den in der PKS oder in der Strafverfolgungsstatistik Erfassten handelt. Dies hängt natürlich auch damit zusammen, dass ein Teil der alten Vollzugsinsassen sozusagen im Vollzug in diese Altersgruppe hineingewachsen ist (Lebenslängliche, Sicherungsverwahrte etc., s. u.).

Einige vermutlich weitgehend repräsentative Daten zur Strafverfolgungspraxis hat Langenhoff hinsichtlich einer Sonderauswertung der nordrhein-westfälischen Strafverfolgungsstatistik vorgelegt. Das Ergebnis zur Sanktionspraxis bzgl. der mindestens 60-Jährigen im Vergleich zur Gesamtgruppe der in NRW Verurteilten überrascht angesichts der oben erwähnten Deliktsstruktur wenig: 2003 wurden 89 % der älteren Verurteilten im Vergleich zu 66 % der Gesamtgruppe zu Geldstrafe verurteilt, dafür aber nur 8 % gegenüber 12 % zu einer Bewährungsstrafe und 2,9 % gegenüber 7,5 % zu einer unbedingten Freiheitsstrafe. Stationärer Maßregelvollzug wurde bei 0,4 % der älteren und 21,9 % der Gesamtgruppe angeordnet. Der überproportionale Geldstrafenanteil korrelierte mit dem erhöhten Anteil von wegen Verkehrsdelikten Verurteilten (45,2 % : 26,1 %). Damit wiederum hängt der erhöhte Anteil von Entziehungen der Fahrerlaubnis bzw. von Fahrverboten zusammen (22,7 % : 15,78 % bzw. 10,5 % : 4,3 %, vgl. Langenhoff 2005, S. 107).

Im Längsschnittvergleich hat sich in Nordrhein-Westfalen der Anteil von Freiheitsstrafen zur Bewährung von 4,7 % auf 7,8 % erhöht, gleichfalls derjenige von Freiheitsstrafen ohne Bewährung von 1,6 % auf 2,9 %, während die Geldstrafenanteile entsprechend abnahmen. Dies kann mit dem Rückgang der Diebstahlsdelinquenz älterer Menschen zusammenhängen, muss (und kann) angesichts der unzureichenden Datenlage aber nicht als Tendenz einer sich verschärfenden Strafzumessungspraxis gewertet werden. Innerhalb der unbedingten Freiheitsstrafen hat der Anteil von Freiheitsstrafen von bis zu zwei Jahren abgenommen (von 89,1 % auf 75,4 %), derjenige längerer dagegen zugenommen (berechnet nach Langenhoff 2005, S. 108). Auch hier ist der Rückschluss auf eine härtere Strafzumessungspraxis nicht möglich, es kann sich schlichtweg um Fälle schwererer Kriminalität handeln, wofür die eingangs erwähnte »Opa-Bande« als Indiz angesehen werden könnte.

In jedem Fall kann festgehalten werden, dass lange zu verbüßende Freiheitsstrafen die absolute Ausnahme darstellen. Nach den Hochrechnungen von Langenhoff (2005, S. 109) dürfte es sich bundesweit um jährlich weniger als 50 Fälle handeln.

Alter und Devianz

Подняться наверх