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Zwölfter Brief.
Palemon an Euphranor.

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In der organischen Natur können alle Begebenheiten, die mit einander verknüpft sind, wechselsweise eine aus der andern entstehen. Ursprung des angenehmen Affects. Der Körper ersetzt, durch die sinnliche Lust, den Abgang in Vergnügen, den er durch die Verdunkelung der Begriffe anrichtet. Vergnügen eines Meßkünstlers.

In dem wundervollen Baue des menschlichen Körpers sind Wirkungen und Ursachen so sehr in einander verschlungen, daß sie nicht selten ihre Bestimmungen vertauschen, jene vorhergehen, und diese aus ihnen entspringen. Untrügliche Erfahrungen haben die Artzeneyverständigen auf diese große Maxime der Natur geleitet, und daher in der Beurthei-|lung verwickelter Krankheiten behutsamer verfahren gelehrt. Zwey Gequälte können eben die Schmertzen fühlen, eben die Klagen führen, und die Quelle, daraus sich der Kelch der Leiden über sie ergossen, kann immer noch verschieden seyn. Was hier eine Folge ist, kann dort die Ursache der Marter gewesen seyn; denn auch die Krankheiten, auch die Unordnungen in der organischen Natur, erfolgen nach gewissen allgemeinen Gesetzen, nach einer wechselsweisen Verknüpfung der Wirkungen und Ursachen, die auf den grossen Zweck der Schöpfung gemeinschaftlich abzielen.

Hat die Natur sich allenthalben dieses Gesetz zur Richtschnur dienen lassen; so scheinet sie bey der Verknüpfung des Gehirns, dieses Behälters von Leben und Em-|pfindung mit allen übrigen Gliedmassen am wenigsten davon abgewichen zu seyn.

Unzähliche Erfahrungen können für diese Warheit die Gewähr leisten.

Eine Jede Zerrüttung in den nervigten Gefässen, wird von einer Unordnung im Gehirne begleitet, so wie die geringste Schwachheit im Gehirne, sich in dem ganzen sennaderigen Gewebe äussert. ||

Wenn eine Bewegung in den Gliedmassen, eine Vorstellung in dem Gehirne nach sich ziehet; so bemühet sich wechselsweise diese Vorstellung, wenn sie vorhergehet, wiederum jene Bewegung hervorzubringen.

Die aufmerksame Betrachtung der Martern, damit jener Uebelthäter geplagt wird, kann in eben denselben Gliedmassen der Zuschauer gewisse Zückungen, gewisse | Täuschungen ähnlicher Schmertzen hervorbringen, die ohnstreitig den Schmertzen jenes Gequälten nichts nachgeben würden, wenn die Vorstellung davon heftig genug wäre.

Im Traume, wenn die Empfindungen schlafen und die Einbildungen eigenmächtig regieren, bemühen wir uns alle die Bewegungen hervorzubringen, die nach dem ordentlichen Laufe der Empfindungen, die Mutter dieser Vorstellungen gewesen wären.

Alle diese Beyspiele lehren dich, theuerster Jüngling! daß von allen Begebenheiten in der organischen Natur, eine jede sowohl die Ursache als die Wirkung einer andern seyn könne.

Ist nun überdem wahr, daß eine jede sinnliche Wollust, ein jeder verbesserter Zustand unsrer Leibesbeschaffenheit, die Seele | mit der undeutlichen Vorstellung einer Vollkommenheit anfüllt;9 so muß auch umgekehrt eine jede undeutliche Vorstellung einer Vollkommenheit, ein Wohlseyn des Körpers, eine Art von sinnlicher Wollust, nach sich ziehen.

Und so entstehet der angenehme Affect. Er äussert sich durch einerley Wirkungen mit der sinnlichen Wollust, nur in den Ursachen gehen sie von einander ab. Jene nimmt ihren Anfang in den Gliedmassen durch die Wirkung äusserlicher Gegenstände, und verbreitet sich von da auf das Gehirn. Diese hingegen entstehet in dem Gehirne selbst. Die Vorstellung einer geistigen Vollkommenheit, die Erinnerung einer genossenen sinnlichen Lust, und die Einbildung, die uns bey dieser Gelegenheit tausend an-|dere angenehme Empfindungen in das Gedächtniß zurück führen, ordnen die Fasern des Gehirns in den gehörigen Ton, beschäftigen sie, ohne zu ermüden; das Gehirn theilt diese harmonische Spannung den Nerven der übrigen Gliedmassen mit; der Körper geräth in den Zustand der Behaglichkeit10: der Mensch geräth in einen angenehmen Affect. ||

Daher die Wallung des Geblüts! Daher die mannigfaltigen Bewegungen der Gliedmassen, die du11 in dem Stande der Affecten bemerket hast! Bewundere die Gütigkeit, unsres allgemeinen Vaters gegen seine undankbaren Söhne! Die Seele würde mit grösserer Entzückung beglückt | seyn, wenn ihre Begriffe von der Vollkommenheit völlig deutlich wären. Allein sie konnten es nicht seyn. Die Weisheit, sagt Plato, mit der Nothwendigkeit vereinigt, haben die Welt geschaffen. Es sollte ein irrdisches Wesen mit der Seele vereinbaret seyn, das ihre Einsichten verdunkelt, und ihr dadurch einen Theil des Vergnügens raubt. Und siehe! das irrdische Wesen, der träge Körper selbst, ist eine neue Quelle der Lust. Bey einer jeden Vorstellung einer Vollkommenheit, begünstigt er uns mit dem Begriffe seines eigenen Wohlseyns, und ersetzt einigermassen den Unfug, den er in dem System unsrer Vergnügungen angerichtet hat.

Der tiefsinnige Mathematiker, der die verborgenste Warheiten ergrübelt, bessert | seine Seele. Allein die Sinne nehmen an der Freude keinen Antheil, so lange er von Warheit auf Warheit mühsam fortschreitet. In dieser Folge seines Nachsinnens macht ein deutlicher Begrif dem andern Platz. Lauter Arbeit! Lauter mühsame Arbeit!

Wenn er aber die Kette der Schlüsse, die er durchgearbeitet, auf einmal überdenkt, wenn er überschlägt, wie die Warheiten in der besten Ordnung Glied an Glied geheftet sind, wie eine aus allen und alle aus einer fliessen; welche Fülle der sinnlichen Lust muß sich alsdenn aus seinem Gehirne auf den gantzen Körper ergiessen! Seine Vorstellung wird alsdenn aufhören deutlich zu seyn; er kann unmöglich die ganze Kette auf einmal in völliger Lauterkeit übersehen. Allein die erstaunliche Mannigfaltigkeit, die | sich in der schönsten Ordnung ausnimmt, bewegt alle Fasern seines Gehirns in einer holdseligen Eintracht. Sie macht das Spiel aller Nerven rege: der Mathematiker schwimmt in Wollust. | ||

Moses Mendelssohn

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