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Funfzehnter Brief.
Palemon an Euphranor.

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Naturalisten können durch die vorigen Schlüsse nicht vom Selbstmorde abgehalten werden. Andere Gründe, die Sträflichkeit des Selbstmordes auch nach diesem Lehrgebäude zu erhärten.

Kaum war heute die Sonne aufgegangen, als ich den brittischen Eudox mit einer unruhigen Mine in mein Zimmer treten sahe. Wie denn so früh, mein Freund? rief ich ihm entgegen. Palemon! erwiederte er, ein seltner Verdruß hat mir heute die Ruhe geraubt. O! das war in deinen Augen zu lesen, versetzte ich; allein worüber der Verdruß? |

Ueber mich selbst. Ueber die Ungeschicklichkeit, mit welcher ich gestern den Selbstmord vertheidigte!

So erscheinest du heute vermuthlich mit mächtigern Waffen ausgerüstet.

Mit so mächtigen, daß ich dem stärksten Angriffe widerstehen zu können glaube. Nicht wahr? Du denkest alles gethan zu haben, da du bewiesen, daß dem Rechtgläubigen die Religion, dem Ungläubigen hingegen sein eigenes System, das System der Zernichtung nach dem Tode, eine unwandelbare Liebe zum Leben eingeben müsse?

Und war es denn hiermit noch nicht genug? Was war denn noch zu thun übrig?

Alles, liebster Freund! Es war noch alles zu thun übrig. Die der Selbst-|mord in Versuchung gebracht, scheinen mir einem dritten System zugethan gewesen zu seyn, wider welches alle deine Gründe nichts vermögen. Man könnte sie eine Mittelgattung zwischen Gläubigen und Ungläubigen nennen, die – – – ||

Eine Mittelgattung zwischen Gläubigen und Ungläubigen? Waren ihre Seelen nicht auch eine Mittelgattung zwischen einfachen und zusammengesetzten Dingen?

Spotte nicht, Palemon! Ich will mich näher erklären. Vielleicht haben sich Palemons zu dieser Mittelgattung bekennt. Ich meine Weltweisen, über die keine geoffenbarte Religion eine merkliche Gewalt hat; die also das Gebot nicht achten, welches ihnen ihr | Kreutz, und sollten sie es auch abwerfen können, mit Freuden zu ertragen befielt. Diese halten alle Mittel ihren Zustand zu ändern für erlaubt, ja für löblich, wenn sie von der sich selbst überlassenen Vernunft gebilliget werden. Sie sind aber überdem allenthalben gefolgt, wohin sie die Weltweisheit geleitet. Auch über die Ufern dieses Lebens weit hinaus haben sie sich mit ihren Schlüssen gewagt, die Unsterblichkeit der Seele, und eine philosophische Art von Lohn und Strafe auser Zweifel zu setzen. Diese betrachten den Tod nicht als eine Zernichtung ihres Daseyns: nein! als einen Uebergang in eine andere Art von Fortdauer, die mit ihrem jetzigen Leben nur gleichsam abwechselt. Wenn sie sich tödten, so | suchen sie nicht einen unvollkommenen Zustand mit einer Zernichtung zu vertauschen; sie suchen nur die gegenwärtige Hülle, so zu sagen, abzustreifen, den verdrießlichen Balg hinter sich zu lassen, und in einer neuen Verwandlung mit verklärter Schönheit hervorzubrechen. Sie sind ungewiß, ob der künftige Zustand besser seyn wird, als der, aus welchem sie sich reissen; allein sie werden dieser Verwandlung nicht entgehen, und einen Augenblick länger in dieser Welt zu seyn, ist nur für diejenige Gewinn, die mit dem Tode vernichtet zu werden sich fürchten. Diesen wahren Weltweisen hingegen gilt ein gewaltsammer Selbstmord so viel, als eine durch die Wärme beschleinigte Ver-|wandlung eines Wurms. Was kann hierinn sträflich seyn? – Siehest du, Palemon! mit welcher undurchdrünglichen Schanze ich die Selbstmörder umgeben? Versuche deine mächtigsten Waffen, ob sie hier das mindeste zerrütten können!

Wohl Eudox! versetzte ich; ich will meine Kräfte versuchen. Ich werde aber, nach der Gewonheit der Kriegeserfahrnen, für jede neue Art von Befestigung eine neue Art von Angriff erfinden müssen. Ich frage dich also, als den Sachwalter dieser Weltweisen, ob sie || nicht für höchst wahrscheinlich halten, daß Zeit und Ueberlegung ihren ietzt nagenden Kummer unterdrücken, und heilsame Beruhigung in ihre verwundete Seele giessen werden?

Sie können es dafür halten. Allein das | zukünftige Leben verspricht ihnen vielleicht diese Beruhigung mit mehrer Wahrscheinlichkeit.

Weiche hiervon nicht ab, Eudox! Die Zukunft muß ihnen dieses in jenem Leben mit mehrer Wahrscheinlichkeit versprechen. Denn wäre die Hofnung von beiden Seiten gleich, so hätte sie keinen Grund, den gegenwärtigen Zustand zu verlassen. Allein worauf stützt sich diese hofnungsvolle Erwartung?

Vor der Geburt lag der künftige Mensch in einem Embryo verwickelt; sein Zustand war ein beständiger Schlummer, darinn weder deutliche Vorstellungen noch Bewußtseyn anzutreffen gewesen. Als sich seine Gliedmassen entwickelten, wand sich auch die Seele von den Fesseln des Schlafes los und trat auf die Scene, mit Gedanken | und Bewußtseyn ausgerüstet. Nach dem Tode verwesen alle Gliedmassen wieder. Die Masse zerstreuet sich, deren organischer Bau der Seele so wichtige Dienste geleistet. Sie selbst, die denkende Monas schränkt sich wiederum in den Bezirk eines Embryons ein. Was ist wahrscheinlicher, als daß sie alsdenn in ihren uhralten Zustand zurück kehren, und wiederum in einen tiefen Schlaf versinken wird? Oder haben deine Weltweisen irgend eine Offenbarung, die sie eines bessern belehrt?

Nichts von Offenbarung! Sie trauen keiner.

Woher wissen sie also, daß die Einschränkung unsrer Denkungskraft sich mit dem Tode plötzlich ändern, und nicht mehr von dem Stande der mit ihr verknüpften Materie abhängen wird? Kanns nicht seyn | daß der Embyro, in welchem meine Seele verwickelt lieget, beständig unter der Gestalt der leblosen Materie von Pflantze zu Pflantze reisen, oder in den Adern eines Thieres herum schleichen wird, ohne jemals eine glücklichere Organisation anzunehmen, und zu deutlichen Empfindungen zu erwachen? Antworte, Eudox!

Wie? Unsere Seele sollte in einen ewigen Schlaf versenkt werden? Eitler Kummer! So würde der gütige Vater seine Kinder, die Geschöpfe, unvollkommener werden, und ewig unvollkommener bleiben lassen? So wäre die Stufe, darauf er sie eine Zeitlang erhebt, nichts besser als eine verblendende Schaubühne, die || Leuten aus dem niedrigsten Pöbel die Krone aufsetzt, und den Augenblick darauf in ihr | Nichts zurück stößt? Nein, Palemon! Wir bedürfen keiner Offenbahrung diese Wahrheit festzusetzen: „Der gütige Schöpfer muß seine erschaffene Wesen von Stufe zu Stufe erheben, und wenn sie sinken, nur kurze Zeit sinken lassen.“

Hier habe ich dich erwartet, Eudox! Ihre Hofnung gründet sich also auf die Güte Gottes, und sie setzen sie über die Erwartung eines bessern Zustandes in diesem Leben, deren Wahrscheinlichkeit sich nicht blos auf die Güte Gottes, sondern auf die Natur der Dinge und das Wesen ihrer Seele stützt. Denn aus der Natur der Dinge läßt sich begreifen, daß Zeit und Vernunft wahrscheinlicher Weise den Jammer lindern werden, darüber sie ietzt winseln.

Setze nur noch folgendes hinzu; es kann | in der beschleinigten Verwandelung immer noch eine grössere Wahrscheinlichkeit von einer Genesung liegen, als in der Erwartung natürlicher Hülfsmittel.

Wie aber, Eudox? Wenn ich bewiese, daß eine jede Wahrscheinlichkeit, die von der Natur der Dinge herstammt, einen wichtigern Bewegungsgrund abgeben müsse, unsere Handlungen zu bestimmen, als eine solche, die von der Güte Gottes hergeleitet wird? Der eiferigste Rechtgläubige kann hieran nicht zweifeln. Wenn wir uns berathschlagen, ob eine Unternehmung auszuführen sey, sollen wir nicht sagen: es wird uns wahrscheinlicher Weise nicht gelingen, unser Vorhaben auszuführen; allein Gott wird alles wunderbar fügen, weil Gott allgütig ist. Nein! die unergründliche Weis-|heit findet keinen Gefallen an dieser blinden Zuversicht. Sie hat uns mit Vernunft und Erkenntniß begabt; wir sollen die Natur der Dinge zu Rathe ziehen, und in diesem Augenblicke den unmöglichen Fall voraussetzen, als wäre der Lauf der Dinge nothwendig, und von keinem weisen Beherrscher angeordnet. Was uns alsdenn am wahrscheinlichsten dünket, das sollen wir wählen, und alsdenn kann uns die Beruhigung auf die Güte Gottes Muth und Stärke zur Ausführung mittheilen. Ist nun diese moralische Maxime gegründet; so handeln diejenige nothwendig dawider, welche die Wahrscheinlichkeit in diesem Leben glücklich zu werden, die sich auf die Natur und den Lauf der Dinge stützt, (ich verschweige, daß die Güte Gottes uns auch hier in der Hofnung bestärkt) einer andern Wahr-|scheinlichkeit hintenansetzen, die blos das Vertrauen auf die Güte Gottes zum Grunde hat. ||

Du sagtest, wir könnten dieser Verwandlung nicht entgehen, und verlöhren also nichts dabey, wenn wir sie beschleinigten. Dieses ist falsch, Eudox! Wer aus dem Lichte der Vernunft ein zukünftiges Leben annimt, der muß eine Verbindung zwischen dem künftigen Zustande und dem jetzigen gelten lassen. Die Persönlichkeit, oder die Idendität soll fortdauern; also müssen die abwechselende Zustände in einander gegründet seyn.14 Wer diese Welt anders verläßt, muß jene anders betreten. Ein Sterblicher also, welcher das Ende der ihm in dieser Welt beschiedenen Dauer nicht abwartet, stürtzt sich in einen ganz andern | künftigen Zustand, als der ist, in welchen er nach dem Laufe der Natur versetzt worden wäre. Eudox, wie vieles wagt der Unbesonnene! Der Streich hat einen Einfluß auf seine gantze Unsterblichkeit. Alles wird merklich anders, als es für ihn bestimmt war. Und diese kühne Aenderung, diese grosse Revolution trift er blindlings?

Führe deine Weltweisen, Eudox! in jene feyerliche Versammlungen, wo Müßiggänger ihre theure Zeit mit Pharospiel tödten. Der Weltweise kann die verworfenste Kleinigkeit zu seinem Nutzen anwenden. Je öfter ein Blat in eben derselben Mischung verlohren, desto mehr setzt ein erfahrner Spieler darauf. Seine Hofnung steigt mit jedem Verluste. Der würde thöricht handeln, der diese Hofnung verschertzen und eine neue Mischung fordern wollte. Eine fast | ähnliche Beschaffenheit hat es mit unserm vorhabenden Falle. Auch alsdenn, wenn das Vertrauen auf die Güte Gottes bey Seite gesetzt wird, steigt mit jedem Unglücke, das uns in dieser Welt aufstößt, die Hofnung, daß es besser gehen werde. Die anders denken, sind mit dem abergläubischen Vorurtheile behaftet, nach welchem sich jene Spieler in einerley Kartenmischung nicht als Unglück prophezeyen, weil einige Versuche darinn mislungen sind. Kömmt das Vertrauen auf die Güte Gottes hinzu; so vermehrt sie die Hofnung, so wohl in diesem, als in einem zukünftigen Leben glückseeliger zu werden. Ja nach meiner unläugbaren Maxime, muß diese in der Berathschlagung gar nicht in Betrachtung gezogen werden. |

Allein, dieses alles wohl überlegt, ja dieses alles zugegeben, siehest du nicht auf welchen feinen Vernunftschluß, auf welche Kleinigkeit es in dieser höchstwichtigen Sache ankömt? Ein Riesen-||gebirge, das sich um ein Haar dreht: sagt jener hebräische Dichter.

O Eudox! Jetzt verleugnest du den Carakter der Weltweisen, den du vorausgesetzt; sie können unmöglich diese Sprache führen. Sie können nichts für eine Kleinigkeit achten, was ihnen die Vernunft gebietet. Die dreymahl heilige Vernunft! die ihnen die Stelle einer Offenbahrung vertritt. Sie müssen vor allen Vernunftschlüßen, sie mögen noch so fein, sie mögen noch so weit hergeholt seyn, ihr Knie mit Ehrfurcht beugen. Von ihnen hängt ihre | Glückseligkeit ab. Ich könnte alle Gründe, die du für den Selbstmord vorgebracht, auf einen jeden Mord überhaupt anwenden. Wie sehr würden sich deine gewissenhafte Weltweisen krümmen, und wie weit müßten sie ihre Schlüsse herholen, um die Sträflichkeit dieses Greuls zu erhärten.

Jedoch ich tadele dieses Verfahren nicht. Der Vernunft ist entweder alles, oder nichts geringschätzig. Warum sehen wir die Gegenstände unserer Begierden immer durch das Sehrohr der Leidenschaften an, und die Gründe, die uns davon abhalten, betrachten wir niemahls, als nachdem wir das Rohr umgekehrt? Die Schlüsse wider den Selbstmord, wendet man ein, stützen sich auf weit gesuchte Warheiten. | Wohl! Worauf beruhen aber die Bewegungsgründe, die uns zum Selbstmorde antreiben? Welche nichtswürdige Kleinigkeiten! Der Verlust unsres guten Leumuths; der Gedanke von dem schlechten Werthe, darinn wir bey unsern Nebenwürmern gerathen. Die Reue; ein allzuspätes unnützes Gefühl eines Verbrechens, dessen wir uns schuldig gemacht. Die Erniedrigung; ein König, der ietzt an die Ruderbank geschmiedet wird. Er befahl und muß gehorchen; er war mit Golde, und ist mit Eisen umgeben. Wie klein und verächtlich ist alles dieses in den Augen der strengen Vernunft? Und dennoch bestürmt man Natur und Gottheit, daß sie den Menschen solchen Drangsalen ausgesetzt? |

Jedoch der Mensch selbst, die Grösse dieses eingebildeten Königs, alle seine Gedanken und Handlungen verschwinden, werden Kleinigkeiten, wenn man sie von dieser Seite betrachtet. Es ist billig, daß sich eine Kleinigkeit um Kleinigkeiten bekümmere. | ||

Moses Mendelssohn

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