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Beschluß.
ОглавлениеEuphranor konnte sich der Begierde nicht länger erwehren, an Palemons Unterredung mit dem Eudox persönlich Theil zu nehmen. Er reisete zu ihnen, und unterbrach auf einige Zeit diesen lehrreichen Briefwechsel, um von seinem englischen Weltweisen lebendigen Unterricht zu holen. Da aber dieses geschah, bevor noch Palemon den achten Brief beantwortet hatte; so glaube ich meinen Lesern keinen unangenehmen Dienst zu erzeigen, wenn ich noch zum Beschlusse hieher setze, was bey ihnen mündlich über diese Materie abgehandelt worden. Man wird sich zu erinnern wissen, daß Euphranor in dem angeführten Schreiben vorgegeben, die schmertz-|haftangenehmen Empfindungen (so nannten sie der Kürtze halber diejenige, welche dem Anscheine nach, mit einer Unvollkommenheit verknüpft sind,) stritten wider Palemons Theorie, weil sie uns nichts weniger als das Erkenntniß einer Vollkommenheit zu gewähren scheinen. Er gestand dem Palemon mündlich, daß ihn du Bos15 zu diesem Gedanken verführt. Dieser Schriftsteller häuft unzählige Beyspiele von Ergötzlichkeiten ganzer Nationen, an welchen die Grausamkeit mehr Antheil gehabt zu haben scheinet; als die Menschlichkeit. Die Kampfplätze, die Tourniere, das Hetzen der Thiere, das Hahnengefechte der Engelländer und endlich die tragische Schaubühne führt er zum Beweise auf, daß die Seelen sich nur bewegt zu werden sehnen, | und sollten sie auch von unangenehmen Vorstellungen bewegt werden. Sie stimmten alle darin überein, Dubos müsse niemals das Vergnügen der Seele von der sinnlichen Lust getrennt, und in seinem Elemente, mit dem blossen Wollen verglichen haben; denn da die Bestimmung unserer Vorstellungskraft in beyden Fällen einer-||ley, und nur dem Grade nach unterschieden ist16; so kann das Vergnügen, so wenig als der Wille, etwas anders, als eine wahre oder anscheinende Güte zum Bewegungsgrunde haben. Ja Eudox bemerkte mit Recht, daß nach des Dubos Hypothes, die Menschen auch öfters an Zorn, Reu, oder Schrecken Gefallen haben müßten, weil ihre Seele davon bewegt wird: dawider aber die Erfahrung streitet. |
Sie konnten aber nicht so leicht einig werden, wie der Ursprung der schmertzhaftangenehmen Empfindungen, deren Dübos erwehnt, zu erklären sey; bis endlich Palemon das Wort ergrif, und der Schwierigkeit folgendergestalt abzuhelfen suchte.
Es ist aus der Natur unserer Seele erwiesen, sagt er, daß sie nichts wollen, daß sie sich an nichts vergnügen könne, als was sich ihr unter der Gestalt einer Vollkommenheit darstellt. Und die Erfahrung stritte dawider? – – Wir wollen sehen. Die Beyspiele die dawider angeführt werden, sind nicht alle von einerley Natur. Bey einigen blutigen Ergötzlichkeiten muß man, so zu sagen, alles Mitleiden, alles menschliche Gefühl unter-|drücken, wenn man Vergnügen daran finden will. Die zärtlichen Griechen, mußten sich nach und nach gewöhnen ihre mitleidsvolle Empfindungen zu überwältigen, ehe sie an dem Fechterkampfe der Römer Geschmack finden konnten; und wenn bey den Zuschauern der Tourniere, der Jagd, oder des Hetzens der Thiere nur eine eintzige wehmüthige Empfindung erwacht, so stöhrt sie ohnstreitig ihr Vergnügen.
Andere lockende Schauspiele hingegen müssen unser Mitleiden rege machen um uns zu gefallen. Von dieser Art sind die Trauerspiele, die rührenden Gemählde für wohlerzogene Leute, und ein blutiges Schaugerüste für den unempfindlichern Pöbel. Das Vergnügen, das sie uns gewehren, richtet | sich nach Maaßgebung des Mitleids, das sie bey uns erregen.
Jene schmertzhaften Ergötzlichkeiten, daran das Mitleiden keinen Antheil hat, stützen sich auf nichts als auf die Geschicklichkeit der handelnden Personen oder Thiere. Man bewundert die Behendigkeit ihrer Glieder und ihre geschickten Wendungen, die sie sich zu geben wissen, um den Gegentheil zu überwältigen, oder ihm zu entwischen. Wahr ists! Das Vergnügen ist nicht so groß, wenn die || Spieler in keiner Gefahr sind, ob sie gleich dem äusserlichen Anscheine nach, eben so viel Geschicklichkeit anwenden müssen. Ein Luftspringer erweckt uns unendlich mehr Vergnügen, wenn er einen Sprung über zwey kreutzweise gesetzte Schwerdter wagt, als wenn er spielend über so viel höl-|zerne Stäbe hinweg gaukelt, ohne sie zu berühren. Ein Seiltänzer lockt mich desto eher zu seinem Schaugerüste, je höher er seinen Seil aufspannt. Allein hier fliessen unmerklich ganz andere Vorstellungen mit darunter, die sich in unsrer Einbildungskraft vereinigen und an der Bewunderung Theil nehmen. Wir erstaunen über das Vertrauen, das diese handelnde Personen zu ihrer Geschicklichkeit haben; mit welcher Zuverlässigkeit und Gegenwart des Geistes sie der entsetzlichsten Gefahr trotzen; wie sie ihr entwischen, wenn sie ihnen vor Augen schwebt, und öfters Tod und Leben auf ihre Geschicklichkeit setzen. Einen Sprung über Stäbe, würden wir selbst gewagt, und vielleicht mit gutem Erfolge gewagt haben. Allein wie sicher muß der seiner Kunst seyn, der über die Spitzen der Schwerdter dahin | fährt! Wie viel Bewunderung verdienete ein römischer Fechter, der in dem Augenblicke, da er seinen Geist aufgibt, sich noch faßen, an die Lehren seiner Fechtschule zurück denken, und seine sterbende Glieder noch auf eine anständige Art ausstrecken konnte! Es ist wahr; uns würde die Grausamkeit der Handlung mehr Schauer, als das Spiel der Geschicklichkeit, Vergnügen erwecken; und eben die Wirkung that dieses blutige Schauspiel Anfangs auf die zärtlichen Griechen. Allein die Römer hatten sich durch die Gewonheit, durch angebohrene martialische Gesinnungen, durch das Ansehen, darinn bey ihnen die Leibesübungen standen, und endlich durch eine eingerissene Geringschätzigkeit der Sclaven, wider diese zarte Empfindung abgehärtet; sie unterdrückten das sanftere Gefühl der | Menschlichkeit, und weideten sich an der Geschicklichkeit der Fechter, und an ihren körperlichen Vollkommenheiten.
Alles dieses findet hingegen bey der zweiten Art von Ergötzlichkeiten nicht Statt. Es gehöret unstreitig eben so viel Geschicklichkeit dazu, ein Schif in vollem Laufe, als eines, das dem Untergange nahe ist, abzubilden, und der Mahler selbst befindet sich in beiden Fällen ausser Gefahr. Nicht anders verhält es sich mit dem tragischen Dichter; die Gefahr, das Unglück, das er abbildet, betrift ihn nicht selber; sie hat ihn also nicht in Verwirrung setzen können, und nur || das Mitleiden ist in diesen Fällen die Seele unseres Vergnügens.
Es ist die eintzige unangenehme Empfindung, die uns reitzet, und dasjenige, | was in den Trauerspielen unter dem Namen des Schreckens bekannt ist, ist nichts als ein Mitleiden, das uns schnel überrascht; denn die Gefahr drohet niemals uns selbst, sondern unserm Nebenmenschen, den wir bedauern. Was hat also diese Empfindung vor allen andern voraus, daß sie unangenehm seyn, und uns dennoch gefallen kann?
Eure Meinungen sind hierüber getheilt, geliebteste Freunde! Allein was ist das Mitleiden? Ist es nicht selbst eine Vermischung von angenehmen und unangenehmen Empfindungen? Hier zeigt sich ein merklicher Vorzug, durch den sich diese Gemüthsbewegung von allen andern unterscheidet. Sie ist nichts als die Liebe zu einem Gegenstande, mit dem Begriffe eines Unglücks, eines physicalischen Uebels, verbunden, das ihm | unverschuldet zugestossen. Die Liebe stützt sich auf Vollkommenheiten, und muß uns Lust gewähren, und der Begrif eines unverdienten Unglücks, macht uns den unschuldigen Geliebten schätzbarer und erhöhet den Werth seiner Vortreflichkeiten.
Dieses ist die Natur unsrer Empfindungen. Wenn sich einige bittere Tropfen in die honigsüsse Schale des Vergnügens mischen; so erhöhen sie den Geschmack des Vergnügens und verdoppeln seine Süßigkeiten. Jedoch nur alsdenn, wenn die beide Arten von Empfindungen, daraus die Vermischung besteht, nicht einander schnurstracks entgegen gesetzt sind.
Wenn zu dem Begriffe eines gegenwärtigen Glückes die wehmüthige Erinnerung | jenes Elends darinn wir vorher gelebt, hinzukömmt; so vergiessen wir Freudenthränen; Thränen, die der Gipfel aller Freuden sind. Warum? Der Begrif einer vergangenen Unvollkommenheit, streitet nicht wider den Begrif der gegenwärtigen Vollkommenheit. Beide können mit einander bestehen, und jene uns zum Gefühle des Vergnügens empfindlicher machen.
Wäre aber dies gegenwärtige Glück nicht vollständig, wären noch einige bedrengte Umstände übrig, die uns noch gegenwärtig schmertzeten, so würden sie einen Theil der Freude aufreiben, und ihren Grad merklich verringern. Daher habe ich gesagt, sie müssen einander nicht schnurstraks entgegen gesetzt seyn; sie müssen neben einander bestehen können. | ||
Welche Wollust muß sich also aus der Quelle des Mitleidens über uns ergiessen! Und wie bedaurenswürdig sind diejenigen, deren Herz für dieses himmlische Gefühl verschlossen ist? Die inbrünstigste Liebe streitet nicht wider den Begrif eines physicalischen Uebels, davon unser Geliebter gedrückt wird. Sie können beyde bestehen. Ja wir fühlen die Süßigkeiten der Freundschaft niemals in vollerm Masse, als wenn unserm Freunde ein Unglück zustößt, und er unser Mitleiden verdienet. Alle seine Vollkommenheiten, seine mindesten Vorzüge leuchten uns alsdenn mit doppeltem Glantze in die Augen, zumal wenn er selbst nicht Schuld an seinem Unglück ist.
Sehet jene Menge, die sich um einen Verurtheilten in dichten Haufen drenget. | Sie haben alle Greuel vernommen, die der Lasterhafte begangen; sie haben seinen Wandel, und vielleicht ihn selbst verabscheuet. Jetzt schleppt man ihn entstellt und ohnmächtig auf das blutende Schaugerüste. Man arbeitet sich durch das Gewühl, man stellt sich auf die Zähen, man klettert die Dächer hinan, um die Züge des Todes sein Gesicht entstellen zu sehen. Sein Urtheil ist gesprochen; sein Henker nahet sich ihm; ein Augenblick wird sein Schicksal entscheiden. Wie sehnlich wünschen ietzt aller Herzen, daß ihm verziehen würde! Ihm? Dem Gegenstande ihres Abscheues, den sie einen Augenblick vorher selbst zum Tode verurtheilt haben würden? Wodurch wird ietzt ein Strahl der Menschenliebe wiederum bey ihnen rege? Ist es nicht die Annäherung der Strafe, der Anblick der | entsetzlichsten physicalischen Uebel, die uns so gar mit einem Ruchlosen gleichsam aussöhnen, und ihm unsere Liebe erwerben? Ohne Liebe könnten wir unmöglich mitleidig mit seinem Schicksale seyn.
Um wie viel mehr muß also nicht die theatralische Vorstellung unzähliger Unglücksfälle, denen ein Tugendhafter unterliegt, unsere Liebe zu seinen Vollkommenheiten erhöhen und ihn unsern Augen würdiger machen? Wenn uns gleich in der Natur ein solcher Anblick unerträglich seyn würde, weil das Mißvergnügen über sein unverdientes Unglück das Vergnügen, das aus der Liebe entspringt, bey weitem überträfe; so gefällt es dennoch auf der Schaubühne. Denn die Erinnerung, daß es nichts als ein künstlicher Betrug sey, lindert eini-|germassen unsern Schmertz17 und läßt nur soviel davon übrig, als nöthig ist, unsrer Liebe die gehörige Fülle zu geben. | ||