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Vierzehnter Brief.
Palemon an Euphranor.
ОглавлениеLindamours Vergleichung der Empfindungen mit Grössen wird verworfen. Aus der Natur unsrer Seele wird erwiesen, daß der Selbstmord auch ohne Hülfe einer Offenbarung unzuläßig sey, wenn wir annehmen, daß unsre Seele mit dem Tode zernichtet wird.
Auch alsdenn, wenn sich der fast unmögliche Fall eräugen sollte, den der Streit voraussetzt, hat die Vernunft noch Gründe die Zuläßigkeit des Selbstmordes zu bestreiten. Lindamour, der13 das Nichtbewustseyn oder die gäntzliche Zernichtung mit dem Zero, und das Bewußtseyn einer Unvollkommenheit mit einer negativen | Grösse verglichen, muß entweder dieses Gleichniß nur schertzweise vorgebracht haben, oder er hat sich von dem äusserlichen Scheine einer Aehnlichkeit blenden lassen. Was ist eine negative Grösse? Ein Kunstwort, das die Mathematiker angenommen haben, eine wirkliche Grösse anzudeuten, um welche eine andere verringert werden muß.
Im abgesonderten Begrif, ist eine negative Grösse ein Unding. Die Wirklichkeit kann ihr so wenig als dem mathematischen Punkte zukommen. Wenn der Algebraist sagt, eine negative Grösse sey weniger als Zero; so muß er entweder gar nichts, oder dieses dabey denken: eine negative Grösse, zu einer wirklichen hinzugethan, oder deutlicher, eine ihr gleiche positive Grösse, von einer andern positiven | abgezogen, läßt weniger übrig als wenn das Zero zu eben der Grösse hinzugethan wird. Läßt sich das mindeste hiervon in dem vorhabenden Falle anbringen?
Der sich in elenden Tagen nach einem zeitlichen Schlafe sehnet, könnte sich vielleicht Lindamours Gleichniß zu Nutze machen. || Er hoft zu seligern Tagen wiederum zu erwachen. Sein Daseyn wird sich ermuntern; die wirkliche Grösse, seine rückständige Vollkommenheit, wird vorhanden seyn, zu welcher die negative und das Zero hinzugethan werden müssen, wenn das Ueberbleibsel gehörig berechnet werden soll. Allein der Selbstmörder, der die Zernichtung (ich rede mit dem Ungläubigen, weil, nach deinem Geständnisse, seine Begriffe den Selbstmord am meisten beschönigen) der die Zernichtung seiner selbst, sage ich, ei-|nem unvollkommenen Zustande vorziehet, hebt die Grösse auf, darauf sich die Rechnung beziehet. Wozu soll die negative Grösse, wozu soll das Zero hinzugethan werden? Zu der Vollkommenheit seiner eintzeln Person? Sie wird nicht mehr seyn. Zur Vollkommenheit des Gantzen? O die Verbindlichkeit gegen das Gantze war gewiß der Grund nicht, der ihn zum Selbstmord angetrieben!
Und wie könnte sie es seyn? Kann ein erschaffenes Wesen behaupten: „Mein Daseyn gereicht dem Gantzen zu einer Unvollkommenheit?“ Wodurch ist der Kurtzsichtige zu dieser Erkenntniß von dem Besten des Gantzen gelangt?
Alle übrige Schlüsse dieses eifrigen Patrioten sind nicht weniger betrieglich. Es fehlet uns an Worten, ja es fehlet uns an | Begriffen selbst, wenn wir den Tod dem Leben vorziehen wollen. Dieser Vorzug, diese Wahl kann sich nie auf die Seulen der Vernunft stützen; denn die Begriffe verschwinden, so bald die Vernunft die Fackel der Deutlichkeit anzündet.
Ich will dir bey dieser Gelegenheit den ganzen Wortwechsel mittheilen, der zwischen dem Eudox und mir, über den erheblichsten von Lindamours Schlüssen, vorgefallen.
Gesetzt, sagte er, ich opferte dir Lindamours Gleichniß von positiven und negativen Grössen auf; so bleibt die Hauptsache immer noch unangetastet. Es ist kein Zweifel: „Es kann Umstände geben, darinn uns eine Zernichtung, ein Nichtbewußtseyn erwünschter ist, als das Bewußt-|seyn von tausend Mängeln?“ Was kann hierwider eingewendet werden?
Dieses, antwortete ich, daß der ganze Gedanke verschwindet, so bald man ihn zergliedert. Der Beweis – – – ||
Ist sehr leicht. Antworte nur auf einige Fragen, die ich thun werde. „Glaubst du irgend, daß die Seele, oder mit meinen Landsleuten zu reden, unser denkendes Selbst eine Wahl ohne Grund, und gleichsam nur den Eigensinn ihrer Freyheit zu zeigen, treffen könne?“
Gewiß nicht. Ohne Bewegungsgründe bleibt die Kraft unsrer Seele ewig unbestimmt. Wenn hingegen in der Sache selbst kein Grund liegt, so kann die geringschätzigste Kleinigkeit die Stelle eines wichtigen Grundes vertreten. |
Wohl! Es wird also alles, was wir wollen, gewissermassen besser seyn, wenigstens uns besser scheinen müssen, als das, was wir nicht wollen. Oder findest du irgend ein bestimmteres Wort diesen Begrif auszudrücken?
Wahrlich keines! Denn besser seyn und lieber haben beziehen sich auf einander. Ich will etwas lieber, als etwas anders, weil ich es für besser halte.
Auch der Tod, wenn wir ihn dem Leben vorziehen wollen, muß uns besser scheinen als dieses?
Allerdinges!
Was heißt aber besser seyn? Heißt es etwas anders als unser Gutes befördern, unsrer Vollkommenheit zuträglich seyn? | Denn gut ist alles, was zu unsrer Vollkommenheit etwas beyträgt.
Ich merke deine List, verschlagener Socrates! Du glaubst mich mit deinen verfänglichen Fragen schon ziemlich bestrickt zu haben. Wenn ich es hier bey einem einsilbigen Ja bewenden liesse; so würde gewiß die nächste Frage seyn: „Kann der Tod zu unsrer Vollkommenheit etwas beytragen? Jedoch, siehe! Ich entwische deinen Schlingen. Besser ist, was entweder unsre Vollkommenheit befördert, oder, (merke es wohl, Palemon!) uns von einer grössern Unvollkommenheit befreyet. Ich kann also sehr wohl sagen, der Tod – – – |
Zu übereilt, Eudox! zu übereilt. Wir wollen unsere Begriffe, so weit wir können, zergliedern. Was ist Vollkommenheit? Hast du irgend wo eine Erklärung davon angetroffen?
Wie man in den Schulen lehrt; so ist sie die Uebereinstimmung des Mannigfaltigen. Siehest du aber nicht, daß diese Erklärung mehr auf zusammengesetzte als auf einfache Dinge paßt? Es ist wahr; man trift bey ein-||fachen Wesen immer noch verschiedene Vorstellungen, verschiedene Abänderungen an, die mit einander so wohl, als mit den Gegenständen, die sie abbilden, übereinstimmen können. Findest du aber keine Erklärung, die auf einfache Dinge etwa natürlicher angebracht werden könne? |
Ich finde wahrlich keine.
So folge mir; ich will dich auf eine leiten. Ist die Seele nicht vollkommener, die sich mehr Sachen, eine Sache deutlicher, mit weniger Mühe vorstellen, und länger behalten kann, als eine andere?
Ohnstreitig!
Oder kurtz, eine Seele ist vollkommener, wenn sie eine grössere Vorstellungskraft hat.
Ja, es scheinet also.
Die Vollkommenheit der Seele besteht also in dem Grade ihrer Vorstellungskraft, oder, welches eben so viel, ihrer Wirklichkeit (Realität)? (l)
Unvergleichlich, Palemon! Denn das Wesen der Seele besteht blos in ihrer Vorstellungskraft. |
Was also die Grentzen unsrer Wirklichkeit, unsrer Vorstellungskraft erweitert, oder ihre nähere Einschränkung (ich habe deine Ausflucht begriffen, Eudox!) verhütet, das macht uns vollkommener.
Ja!
Das ist also auch besser, als etwas anders, das dieses nicht so wohl thut?
Richtig!
Auch umgekehrt. Was besser seyn soll als etwas anders, muß die Schranken unsrer Wirklichkeit, die Grentzen unsres Daseyns erweitern, oder eine nähere Einschränkung desselben verhüten. Denn nichts anders heißt Vollkommenheit befördern, und Unvollkommenheit abhalten.
Ich muß es freylich eingestehen.
O so habe ich gesiegt! Setze alle diese analytische Gleichungen, diese aufgelößte | Begriffe, anstatt derjenigen, deren sich Lindamour bedienet. Wir können ein Nichtbewußtseyn, eine Zernichtung lieber haben wollen; oder, sie kann besser seyn; sie kann eine größere Unvollkommenheit abhalten; sie kann die nähere Einschränkung unsrer Wirklichkeit mehr verhüten, als das Bewußtseyn unsrer Unvollkommenheit, oder als das Bewußtseyn eines ge-||ringeren Grades unsrer Wirklichkeit. Denn nichts anders war nach unsrer Erklärung eine Unvollkommenheit. Kann ein Vernünftiger so ausschweifend denken? Unsere Zernichtung erweitert die Grentzen unseres Daseyns, oder verhütet seine nähere Einschränckung mehr, als ein geringer Grad unsres Daseyns.
Es ist dir gelungen, Palemon! Ich bin nunmehr wirklich so weit, daß ich mich | ergeben muß. Jedoch, vielleicht sind meine Waffen zu schwach, dir gehörigen Obstand zu thun; vielleicht würde sich Lindamour besser vertheidigt haben.
Wahrlich, Euphranor! Ich weis nicht, wie der Scharfsinnigste die Sache der Selbstmörder besser vertheidigen könnte. Er wäre immer auf ein gewisses besser seyn, erwünschter seyn, lieber haben hinausgekommen, das sich mit unsrer Zernichtung gar nicht verbinden läßt. Die Warheit steht fest: Das Gefühl eines geringern Grades der Wirklichkeit, befördert unsre Vollkommenheit unendlich mehr als die Zernichtung. | ||