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Dreyzehnter Brief.
Palemon an Euphranor.

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Lindamours Vertheidigung des Selbstmords wird geprüfet. Der Streitpunkt gehörig eingeschränkt; und bewiesen, daß die berüchtigsten Selbstmörder von desselben Entscheidung nichts hoffen können. Die Schaubühne hat ihre besondere Sittlichkeit. Der Selbstmord ist auf der Schaubühne, aber nicht im Leben sittlich gut.

Ich war eben auf jenem Hügel mit meiner schwärmerischen Andacht, wie ihr sie zu nennen pflegt, beschäftiget, als ich unsern Eudox von ferne erblickte. O wie vergnügt haben wir den Abend zugebracht! und wie sehnlich haben wir dich in unsrer Gesellschaft gewünschet! Lindamours Gründe für den Selbstmord waren der Gegenstand, womit wir uns | unterhielten, und wir stritten bis Mitternacht, ehe wir uns über diese verjährte Streitfrage einigermassen vergleichen konnten. Eudox verfocht, mit einer ihm gewöhnlichen Hitze, diese in unserm Vaterlande eingerissene Raserey. Sein brennender Eifer für die Ehre Engellands hat nicht selten einen Einfluß auf seine Denkungsart. Er wünschte, der Wahrheit unbeschadet, ein Vorurtheil vertheidigen zu können, das in seinem Vaterlande gleichsam das Bürgerrecht erlangt. Ich that ihm allen möglichen Widerstand, und dieses sind die Gründe, deren ich mich wider ihn bediente.

Ist die Frage, ob der Selbstmord, nach dem üblichen Gebrauche, durch eine schimpfliche Beerdigung bestraft, oder durch Lobeserhebungen vergöttert zu werden verdient; so antwortet die Vernunft: Keines | von beiden. Diese Handlung mag von dem Rechtgläubigen; als eine Versetzung in eine andere Welt, oder von dem Ungläubigen als eine Zernichtung unsres Daseyns betrachtet werden; so entziehet sie uns doch immer der Bothmäßigkeit aller irrdischen Richter, indem sie in Ansehung unsrer alle gesetzmäßige Verbindlichkeit hienieden aufhebt. ||

Der sich um eines eitelen Nachruhms willen, das Leben raubt, begehet mit dem üppigsten Wollüstling einerley Thorheit, und der sich durch schimpfliche Ahndungen davon abschrecken läßt, gleicht jenem Blödsinnigen, der durch die Erinnerung, daß das kalte Wasser seiner gebrächlichen Leibesbeschaffenheit schaden könne, von dem festen Vorsatze sich zu ersäufen abgebracht wurde. |

Jener, der sich um die innerliche Güte seiner Handlung nicht bekümmert, und blos dem Nachruhme, und wenn er ihn auch nicht verdiente, dieses grausame Opfer weihet, kann sich unmöglich mehr als den gegenwärtigen schmeichelhaften Genuß davon versprechen. Nach dem Tode muß er, wenn er gottlos ist, eine gäntzliche Zernichtung, wo nicht, eine Verachtung alles irrdischen Ruhmes erwarten. Was spornt ihn also zu dieser entsetzlichen That an? Die augenblickliche Vorstellung: „Ich werde vergöttert werden; tausend Zungen werden meinen Ruhm ausbreiten“. Ihm gilt also der gegenwärtige Genuß mehr als tausend edlere Güter, die vielleicht in der Zukunft auf ihn gewartet haben. Einerley Schwachheit mit dem weichlichsten Wollüstlinge!12 |

Der eigentliche Streitpunkt muß also seyn; ist der Selbstmord erlaubt, und kann ihn ein Tugendhafter begehen?

Noch eine Einschränkung, die ich meinen patriotischgesinnten Landsleuten zu bedenken gebe.

Die Heftigkeit der Leidenschaft, die den zum Selbstmord entschlossenen foltert, kann uns einiges Mitleid über sein trauriges Schicksal abnöthigen, aber der Zuläßigkeit seiner Handlung kein Gewicht geben. Was soll die Schande seiner begangenen Uebelthat von ihm abwältzen? „Die Leidenschaft hat seine Vernunft überwältiget?“ Was nennt man sonst Laster, als die Tyranney der Leidenschaften über die Vernunft? Soll also das Laster selbst zu seiner eigenen Entschuldigung dienen? So wäre | ein Mord erlaubt, wenn er in der jählingen Hitze eines aufgebrachten Zorns geschiehet, und Phädrens sträfliche Liebe müßte aufhören lasterhaft zu seyn, weil sie von der heftigsten Leidenschaft verzehrt ward.

Die nunmehr näher eingeschränkte Streitfrage ist also diese: „Kann die Vernunft je den Menschen den Selbstmord anrathen?“ ||

Soll ihn die Vernunft anrathen; so muß uns eine kalte Ueberlegung versichern, daß alle Güter dieser Erde für uns auf ewig verlohren seyn werden; so muß es wenigstens höchst wahrscheinlich seyn, daß weder Vernunft noch Zeit vermögend seyn werden, einen quählenden Eindruck zu überwältigen. Wir müßten den schwartzen Dunst, der aus der heftigen Leidenschaft | aufsteigt, unterdrückt, und die Gegenstände lauter und ungebrochen betrachtet haben. Und dennoch soll uns das Leben eckeln? Dennoch sollen wir mehr Trübsal als Güter vor Augen sehen? Welcher von allen Selbstmördern war in solchen Umständen? Oder welcher unselige Sterbliche wird je in solchen Drangsalen seufzen?

Du siehest, edler Jüngling! Ich bin gegen die Verfechter des Selbstmordes freygebig gewesen. Das Unvermögen ihrer Ueberlegung, einen schmertzhaften Gedanken zu unterdrücken, habe ich, wenn sie dessen aufs künftige versichert sind, gutwillig für eine Entschuldigung gelten lassen. Wie vieles wird ein Stoicker noch hierwider einzuwenden haben?

Allein diese zugegeben; so bleibt der Fall, den der Streitpunkt, nach unsern | Begriffen voraussetzt, fast unmöglich. Blount, der in der Hofnung seiner Liebe betrogen ward; Sidney, den der Dichter befürchten läßt, durch Untreu seine Geliebte getödtet zu haben; Mellefont, der wirklich durch seine Unart dazu Anlaß gegeben haben soll, können von der Entscheidung dieser Streitfrage keine Gründe zu ihrer Entschuldigung hoffen. Das heftige Brausen ihrer Leidenschaft, oder eine wilde halsstarrige Gemüthsstille, die bey den Engelländern der Gipfel aller Wut ist, hat ihnen diesen verzweifelten Entschluß eingegeben.

Du irrst dich, edler Jüngling! wenn du glaubst, der Selbstmord drücke das Siegel auf die moralische Güte eines Charakters. Nicht auf die moralische Güte überhaupt. Die Schaubühne hat ihre be-|sondere Sittlichkeit. Im Leben ist nichts sittlich gut, das nicht in unsrer Vollkommenheit gegründet ist; auf der Schaubühne hingegen, ist es alles, was in der heftigen Leidenschaft seinen Grund hat. Der Zweck des Trauerspiels ist Leidenschaften zu erregen. Daher ist der Selbstmord theatralisch gut. Die Nachreu eines Orosmans, die Gewissenswunden eines Mellefonts, würden ihre Brust nur schwach zu beklemmen scheinen, wenn sie uns nicht durch den allerentsetzlichsten Entschluß von dem Gegentheile überzeugeten. ||

Hierinn liegt ein großes Kunststück der theatralischen Poesie. Der Dichter muß den Streit der wahren Sittlichkeit mit der theatralischen sorgfältig verstecken, wenn das Schauspiel gefallen soll. Man lasse den bedrengten Sir Sampson in dem Au-|genblicke, da sich seiner Tochter Entführer ersticht, ihm diese Worte zurufen: Was thust du Bösewicht! Wilst du Laster durch Laster büssen. Den Augenblick würde die theatralische Sittlichkeit nebst dem Endzwecke des Dichters verschwinden. Unser Mitleiden, das kaum rege zu werden anfing, würde sich, in dem Spiegel der wahren Sittlichkeit, den man uns vorhält, in Abscheu verwandeln. | ||

Moses Mendelssohn

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