Читать книгу Moses Mendelssohn - Группа авторов - Страница 21

Achter Brief.
Euphranor an Palemon.

Оглавление

Nicht alles Vergnügen gründet sich auf Vollkommenheit. Es giebt auch sinnliche Lüste, die von allen Begriffen der Vollkommenheit weit entfernt sind. Es gibt auch Vergnügungen, die sich auf Unvollkommenheiten zu stützen scheinen.

Der Tag bricht an, der seit langer Zeit gäntzlich deiner Freundschaft gewidmet war. Ich bin ihm zuvor gekommen. Hier sitze ich einsam in der Grotte, die du deinen Liebling nennest, und warte auf das erquickende Auge der Welt. Welch ein prächtiger Einzug! Mit welchem Glantze erscheinen die Vorboten der einziehenden Majestät! Und wie schön wechselt diese feuerige Gestalt mit | dem ernsthaften Gesicht der braunen Nacht ab! Ich weis nicht, ob ein anderer als ein Jüngling vermögend sey, alle diese vorzüglichen Schönheiten zu fühlen. Wenn meine Gespielen wüßten, was für eine Lust sich hier von allen Seiten auf ein jugendlich Hertz ergießt; wie wenig Gefallen würden sie an den Kriegsübungen finden, die heute jenseits der Stadt vorgenommen werden, und um deren Willen sie mich der Einsamkeit überlassen. – – Doch ich danke es ihrer wallenden Neigung zum Kriegswesen, daß ich diesen Tag meinem Palemon, daß ich ihn mir selbst schenken kann.

Die wenige Stunden, die mir die Gesellschaft täglich Raum läßt, verschwinden allzu unmerklich. Es wird Zeit erfordert, ehe ich mich in mir selbst versammeln, und zu der Ueberlegung und Stille des Gemüths | vorbereiten kann, ohne welche man die Gedanken eines Palemon nicht in ihrem ganzen Bezirke übersiehet.

Man glaubt insgemein, die Einsamkeit sey nur für das reifere Alter, und der feurigen Jugend unanständig. Allein man irret sich, wenn man dieses glaubet. Die Empfindungen der Schönheit sind die Vorrechte der Jugend, und die einsame Stille ist dem Gefühle eben so zu-||träglich als der Betrachtung. Die dieses falsche Gerücht ausgestreuet, müssen sich in unedlen Empfindungen versenkt haben; Empfindungen, die die Menschlichkeit entehren. Diese können ihre Ursachen haben, die Beschauung ihrer selbst, dazu die Einsamkeit antreibt, zu fliehen, und sich in das Gedränge zu vertiefen. Sie müssen durch den Lärm die Stimme überschreyen lassen, die sie zu edleren Ver-|gnügungen zurück ruft. Allein welches Alter ist von solchen Schandflecken frey? Nur unter Jünglinge mischt sich diese Brut am liebsten, weil die wenigsten Menschen das äusserliche einer wilden Freude, von dem Aeusserlichen einer jugendlichen Munterkeit zu unterscheiden wissen.

Ich hatte mich geirrt, Palemon! als ich die Betrachtung über die Entstehung des Vergnügens für die Stöhrerin unsrer Freuden hielt. Wie sehr haben mich deine Briefe von dem Gegentheil überzeugt. Ich würde deinen Gründen vielleicht weniger getrauet haben, allein die Erfahrung kam ihnen zu Hülfe. Ich fühle die Schönheiten dieser prächtigen Gegend gedoppelt; jede Aussicht lächelt mir mit gedoppelter Holdseligkeit entgegen, seitdem mich deine Be-|trachtungen auf die Spur des rechtschaffenen Vergnügens geführt haben.

Zwar, wenn ich mich dort in jene Rasen strecke, um die Wollust von allen Seiten her auf mich ströhmen zu lassen; so scheinet sich kein deutlicher Begrif mit meinem betäubten Gefühle zu vertragen. Die Menge der Vorstellungen berauscht meine Sinne, und mein ganzes Leben ist in diesem Augenblicke nichts als Empfindung. Allein der blosse Anblick der Natur, vermag nicht immer diese heilsame Wirkung hervorzubringen. Alsdenn muß die Betrachtung seine Stelle vertreten, und mir die Rückkehr dieser wollüstigen Augenblicke verschaffen, die ich mit keinem Throne vertauschen wollte.

Wenn du aber den Grund alles Vergnügens entweder in Vollkommenheit oder | in Schönheit zu finden glaubst; so verzeihe, Palemon! daß ich dir nicht Beyfall geben kann.

Du magst es Eitelkeit oder Stoltz nennen, Palemon! So oft von Empfindungen die Rede ist, muß die Jugend zu Rathe gezogen werden. Das reifere Alter kann durch die männliche Ernsthaftigkeit, durch beständiges Nachsinnen, durch eine vorgefaßte Schulmeinung in seinem Geschmacke verwöhnt seyn. Bey uns ist das Gefühl, die Gabe des Himmels, unverfälscht. Trauest du keiner fremden Empfindung; so rufe die Jahre deiner eigenen Jugend zurück; was dir damahls gefiel, muß ohnstreitig ein wahrer Gegenstand des Vergnügens gewesen seyn. ||

Rufe die Jahre deiner Jugend zurück! Wenn du damals den Wein im Glase blin-|ken sahest, wenn der holde Blick einer Schönen deine Aufmerksamkeit auf sich zog; so sehntest du dich, nicht selten, nach beider Genuß. Ohnstreitig sahest du den Genuß für ein Gut an. Allein mit welchem Grunde? In dieser Wollust liegen weder Mannigfaltigkeit der Begriffe, noch Verhältnisse, noch auch Beziehungen auf den gemeinschaftlichen Endzweck; weder Beschäftigung, noch Leichtigkeit in der Beschäftigung. Wir scherzten über jenen Weltweisen, der auch bey den sinnlichen Ergötzlichkeiten, Mannigfaltigkeit und Einheit der Begriffe finden wollte. Bey dem Schmause sollen die freundschaftlichen Unterredungen, und bey dem Genusse der Liebe, ich weiß nicht welche moralische Schönheiten, der Grund unsres Vergnügens seyn. |

Und dennoch leugnet Palemon nicht, daß er sich zu Zeiten nach diesen Gütern sehnte. So muß ganz gewiß die Erinnerung des Vergnügens, das dir Liebe und Wein gewährt, die Ursache seyn, warum du ihren Genuß für ein Gut, für eine Vollkommenheit hälst. Wie aber? du sagtest ja, die Vollkommenheit eines Dinges sey der Grund, warum wir an seiner Vorstellung Gefallen fänden? Umgekehrt Palemon! das Vergnügen, welches uns gewisse Gegenstände gewähren, ist der Grund, warum wir sie vollkommen nennen.

Jedoch auch dieses kann nicht in allen Fällen gelten. Glaube mir, Freund! Der Mensch ist in seinen Ergötzlichkeiten so eigensinnig, daß ihm das nicht selten vergnügt, was ihm Traurigkeit erwecken sollte. Ja | so gar in dem Augenblicke selbst, da es ihm Traurigkeit erweckt.

Jene steile Klippe, die dort hoch über dem vorbeyrauschenden Fluß hinwegragt, hat einen grausen Anblick. Die schwindelnde Höhe, das Schleidern durch die Lüfte, und der Einsturtz, den ihre gebogene Fläche zu drohen scheinet, nöthigten uns öfters den verwirrten Blick von ihr abzuwenden. Allein, nach einer kleinen Erholung, lenken wir unsre Augen wieder auf diesen furchtbaren Gegenstand. Der grause Anblick gefällt. Woher dieses seltne Wohlgefallen?

Die Natur ist schön, antworten einige ihrer Anbeter; selbst ihre kleinen Unordnungen, ihre anscheinenden Häßlichkeiten, vermehren ihren Reitz. Welcher Einfall! | Kaum würde man diese Schmeicheley einem verliebten Jünglinge verzeihen, der sie seiner Schönen vorsagte. ||

Warum haben mich meine Gespielen heute verlassen? Warum irren sie dort zwischen Waffen und Helden herum? Die nachgeahmten Vorbereitungen zum Kriege, die Anordnungen zu blutigen Schlachten, das Gedrenge, der Aufruhr und die Arbeit durch die Glieder erwecket ihnen Lust. Sollte ihnen die Erinnerung unserer Thorheit, ja was sage ich, unsres blutdürstigen Wahnwitzes, nicht vielmehr Schauer erwecken, den nichts anders als die Nothdurft einer abgedrungenen Gegenwehr rechtfertigen kann?

Du selbst, Palemon! Wie oft hat dich das Gemählde ergötzt, das in dem Cabinette | meines Vaters, nicht weit vom Eingange, pranget? Es ist ein Schif, dem von allen Seiten her der Untergang drohet. Die schäumenden Wellen stürtzen unaufhaltsam auf das zerbrechliche Gebäude los, und eilen es in die Fluthen zu vergraben. Vergeblich arbeiten die Ruderknechte; umsonst rinnt der Schweiß von ihren Gesichtern. Das Schif wankt. Jetzt wird es umschlagen und in den Abgrund sinken. Wie trostlos ringen alle, die den unvermeindlichen Tod vor Augen sehen, die ermüdeten Hände! Mit welcher Wehmuth küßt dort eine Mutter noch ihr Säugling zum letzten male! Und dieser Anblick gefiel dir, Palemon? Du nanntest ihn schön? – Es ist wahr, du bewunderst die Meisterhand, welche die Natur so geschickt nachzuahmen wußte. Allein war dieses alles? Gestehe es, Palemon! | Du würdest dich weniger ergötzt haben, wenn die Gefahr nicht auf das höchste abgebildet worden wäre. Es ist nicht mehr die schöne Natur; nein! die furchtbare, die schreckliche Natur. Und du findest Wohlgefallen an ihr? Sollte dich das traurige Andenken nicht entsetzen, daß die Menschen solchen Unglücksfällen unterworfen sind? Wie reimt sich dieses mit deiner Theorie?

Erwege es wohl, Palemon! Gesetzt, wir erinnerten uns mit jedem Augenblicke, daß unsre Furcht ein künstlicher Betrug sey; so kann diese tröstliche Erinnerung zwar unsern Schmertz lindern, aber der Gegenstand selbst kann deswegen keine Lust gewähren. Wir bleiben, dieses Trostes ohngeachtet, bey der Vorstellung eines Trauerspiels immer | noch wehmütig, immer noch betrübt, und diese Betrübniß, diese Wehmuth hat für uns unaussprechliche Reitze. Der munterste Jüngling legt seine Freudigkeit ab, und krönt den Dichter, der die boshafte Geschicklichkeit besitzt, ihm Thränen auszulocken. | ||

Moses Mendelssohn

Подняться наверх