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Dritter Brief.
Palemon an Euphranor.
ОглавлениеWarum sich weder völlig deutliche noch völlig dunkele Begriffe mit dem Gefühle der Schönheit vertragen. Klarheit der Vorstellung befördert das Vergnügen. Nützliche Vorbereitungen zu dem Genusse eines Vergnügens. Erklärung einer Stelle in Aristoteles Dichtkunst. Betrachtung des Weltgebäudes aus zwey verschiedenen Gesichtspunkten.
Nicht aus jungfräulichem Uebermuthe habe ich dich deinen eifersüchtigen Sorgen überlassen. Nein! Edler Jüngling! Nenne es eine Ahndung, die deine unzeitige Furcht verdient hatte. Wenn ich allen Unwillen über dein mißtrauisches Betragen ablegen wollte; so mußte ich unverzüglich diese Art | von Rache von dir nehmen. Nunmehr hat mich die Genugthuung, die ich mir selber verschaft, zufrieden gestellt; und ich bin im Stande, deine Gründe mit kaltem Blute zu widerlegen.
Die Warheit stehet fest, kein deutlicher auch kein völlig dunkler Begrif, verträgt sich mit dem Gefühle der Schönheit. Jener, weil unsere eingeschränkte Seele keine Mannigfaltigkeit auf einmal deutlich zu fassen, vermag. Sie muß nothwendig ihre Aufmerksamkeit von dem Gantzen gleichsam abziehen, und einen Theil des Gegenstandes nach dem andern überdenken. Dieser hingegen, weil die Mannigfaltigkeit des Gegenstandes in seine Dunkelheit gleichsam verhüllt, und unsrer Wahrnehmung entzogen wird. Zwischen den Grentzen der Klarheit müssen also alle Begriffe der Schönheit | eingeschlossen seyn. Ja noch mehr; je klärer die Vorstellung des schönen Gegenstandes, desto lebhafter die Empfindung, desto feueriger das Vergnügen, das daraus entspringt. Eine klärere Vorstellung läßt uns eine grössere Mannigfaltigkeit, mehrere Verhältnisse des Mannigfaltigen gegen einander wahrnehmen. Lauter Quellen der Lust!
Höre nun, edler Jüngling! wie ich mich zu dem Genusse eines Ver-||gnügens vorbereite. Ich betrachte den Gegenstand des Vergnügens, ich überdenke alle seine Theile, und bestrebe mich sie deutlich zu fassen. Alsdenn richte ich meine Achtsamkeit auf ihre allgemeine Beziehung; ich schwinge mich von den Theilen zum Gantzen. Die besonderen deutlichen Begriffe weichen gleichsam in eine dunkele Ferne zurück. Sie | wirken alle auf mich, aber sie wirken in einem solchen Ebenmasse und Verhältniß gegen einander, daß nur das Gantze aus ihnen gleichsam hervorstrahlt, und mein Ueberdenken hat mir die Mannigfaltigkeit nur faßlicher gemacht.
Der weise Stagirit eignet einer jeden Schönheit bestimmte Grentzen der Grösse zu, und behauptet, daß sie diesen Namen nicht mehr verdienet, wenn sie die Grentzen entweder überschreitet, oder nicht erreicht. Seine Ausleger haben hierinn unsägliche Schwierigkeiten gefunden. Die gantze Welt, schlossen sie, muß nach diesem Grundsatze aufhören schön zu seyn; und wer will dieses behaupten?
Allein dieses unermeßliche All ist kein sichtbar schöner Gegenstand. Nichts verdienet diesen Namen, das nicht auf einmal | klar in unsere Sinne fällt. Daher sagt man nur alsdenn, das Weltgebäude sey schön, wenn die Einbildungskraft seine Haupttheile, in eben dem vortreflichen Ebenmasse ordnet, wie Vernunft und Wahrnehmung lehren, daß sie ausser uns geordnet sind. Geschiehet dieses; so nimt man nur die allgemeinen Verhältnisse der Welttheile zum Gantzen wahr, und die Schönheit erlangt in der Einbildung die erforderliche Grösse, die ihr in der Natur fehlet.
Die Einbildungskraft kann eine jede Schönheit zwischen die gehörigen Grentzen gleichsam einschränken, indem sie die Theile des Gegenstandes so lange erweitert, oder zusammenziehet, bis wir die erforderliche Mannigfaltigkeit auf einmal fassen können. Ein Thier von einigen Stadien groß, eine Milbe, die dem scharfsichtigsten Auge un-|merklich ist, können in der Einbildung zu schönen Gegenständen werden; und wie oft hat ihr organischer Bau den Naturliebenden ergötzt. Nur den Namen einer sichtbaren Schönheit, hat ihnen Aristoteles abgesprochen, weil unser kurzsichtiges Auge die mannigfaltigen Gliedmassen des ungeheuern Thiers nicht auf einmal, der allzukleinen Milbe aber gar nicht fassen kann. Für dramatische Dichter ist diese Warheit ungemein wichtig. (a)
Dem Weltweisen hingegen ist die Betrachtung des Gantzen eine unversiegende Quelle des Vergnügens. Sie versüßt seine einsamen Stun-||den, sie erfüllt seine Seele mit den erhabensten Empfindungen, entziehet seine Gedanken dem Getümmel der Erde und nähert sie dem Throne der Gottheit. Erhebe dich theuerer Jüngling! | zu dieser würdigen Betrachtung. Mache die Anwendung meiner Lehre auf die Schönheit der allgemeinen Natur. Sie ist das würdigste Beyspiel, das meine Lehre befestiget. Lerne daraus, wie zuträglich es der Empfindung des Gantzen sey, wenn wir alle seine Theile vorher bis zur Deutlichkeit überdacht haben.
Mache die Anwendung! sage ich. Wenn du von der wundervollen Einrichtung aller Weltkörper nichts wüßtest; wenn es dir unbekannt wäre, daß eine unermeßliche Kette von Wesen jeden Planeten bewohnt; unbekannt, daß sich aus der Mitte eines jeden Weltgebäudes ein milder Strohm von Licht und Leben nach allen Seiten ausbreitet, wenn du von allen diesen wichtigen Wahrheiten nichts wüßtest, sage ich, und du würdest ietzt nur die allgemeine Verbin-|dung der Weltkörper, ihre Lagen, Grössen und Entfernungen, nur das Gerippe gleichsam des Copernikanischen Weltbaues gewahr; so würde dich diese Erkenntniß zwar vergnügen, aber nicht deine gantze Seele anfüllen. Die Armuth an Mannigfaltigkeit würde in dem Begriffe vom Gantzen, erstaunliche Lücken hinter sich lassen, und die Harmonie, die dich ergötzen soll, auf wenige Gesetze der Natur hinauslaufen, nach welchen die Weltkörper in ihren Kreisen herumgeführet werden. Nunmehr rufe alles, was dir von den eintzelnen Theilen der Welt bekannt ist, in dein Gedächtniß zurück. Betrachte den Wurm, dessen Welt ein eintziges Blat ist, und den Menschen, den die gantze Erde in allzu engen Räume einschließt; kurtz! überdencke alles, was die blossen Augen, die Ferngläser, Ver-|nunft und Sinne von der Welt bekannt gemacht haben. Erwege die Gründe, dadurch die Muthmassung von der ähnlichen Beschaffenheit aller Weltkörper, mehr als wahrscheinlich wird; die uns veranlassen, unser Weltsystem, in Myriaden von Fixsternen, und unsere Wohnung hienieden, in unzähliche Kugeln, die sich um jene in lichten Wirbeln drehen, vervielfältiget zu sehen; steige die Kette allgemach hinauf, die alle Wesen an den Thron der Gottheit befestigen; alsdenn schwinge dich mit kühnem Fluge bis auf das allgemeine Verhältnis aller dieser Theile, zu dem unermeßlichen Gantzen. Welche himmelische Wollust wird dich auf einmahl überraschen! Kaum wirst du dich in der betäubenden Entzückung fassen können. Woher dieser unendliche Unter-||scheid? Was hat dein Ge-|fühl geadelt und deinen Vergnügungen diesen überschwänglichen Zuwachs verliehen? Gestehe es! Ist es nicht die deutliche Wahrnehmung aller Theile, die in dem letztern Falle vor der Empfindung des Gantzen hergegangen ist? Hat das Ueberdenken der Theile die Lust gestöhrt, die aus der Wahrnehmung des Gantzen entspringt? O Nein! Es hat dich vielmehr dazu vorbereitet; du hast dem Vergnügen, das aus der Schönheit des Gantzen entspringt, die gehörige Fülle gegeben, indem du eine grössere Mannigfaltigkeit ans Licht gebracht, die einhellig an seiner Bestimmung Theil nimt. | ||