Читать книгу Moses Mendelssohn - Группа авторов - Страница 17

Vierter Brief.
Palemon an Euphranor.

Оглавление

In dem Augenblicke des Genusses verdunkeln sich alle einzelne Begriffe. Anwendung auf die Dichter. Auf die Tonkünstler. Der Grund zum Vergnügen muß in der positiven Kraft unsrer Seele gesucht werden. Nicht aber in ihrer Einschränckung. Eines Neuern Gedanken von der Entstehung des Vergnügens. Einwurf dawider.

Mein Wahlspruch ist: wehle, empfinde, überdenke und geniesse. Wehle: unter den Gegenständen, die dich umgeben, erlies dir solche, die deiner Wohlfart zuträglich sind. Empfinde sie: verschafe dir hinlängliche Begriffe von ihrer Beschafenheit. Ueberdenke: stelle dir alle eintzelne Theile deutlich vor, und erwege ihre Ver-|hälltnisse und Beziehungen auf das Gantze. Alsdenn geniesse: richte deine Aufmerksamkeit auf den Gegenstand selbst. Hüte dich, in diesem Augenblicke an die Beschaffenheit einzelner Theile zu gedenken. Laß die Fähigkeiten deiner Seele walten. Durch das Anschauen des Gantzen, werden die Theile ihre hellen Farben verlieren, sie werden aber Spuren hinter sich lassen, die den Begrif des Gantzen aufklähren, und dem Vergnügen, das daraus entstehet, eine grössere Lebhaftigkeit verschaffen.

Aber deutlich müssen die besondern Begriffe in dem Augenblicke des Genusses nicht bleiben; so lange wir uns noch mit dem Irrdischen schleppen, so lange unsere Seele noch zu eingeschränckt ist, eine Mannigfaltigkeit auf einmal deutlich zu fassen. Hätten die Dichter dieses durch-|gehendes bedacht; so würden wir weniger Epopeen haben, die den strengesten Regeln Gnüge leisten, und dennoch den Zweck zu gefallen, so sehr verfehlen. Eine Bemerkung, dadurch viele das Ansehen der Regeln haben wanken machen wollen. Die Regeln sind Vorbereitungen, dadurch der Dichter sich und seinen zu bearbeitenden Gegenstand in die Verfassung setzen soll, die Schönheiten in ihrem || mächtigsten Reitze zu zeigen. Bey der Ausarbeitung muß er sich hüten, sie allzudeutlich vor Augen zu haben. Er muß seine gantze Achtsamkeit nur mit der Schönheit des Vorwurfs beschäftigen. Die Regeln sollten nur gleichsam von Ferne auf seine Einbildungskraft wirken. Alsdenn können sie nicht selten den Mangel eines ausserordentlichen Genies ersetzen, und den Dichter das lehren, was | sein Genie vielleicht zu klein war, zu erfinden.

Auch die Tonkünstler könnten einer schimpflichen Erniederung überhoben seyn, wenn sie diese wichtige Anmerkung nie aus den Augen lassen wollten. Es ist bekannt, daß sie, was die Annehmlichkeit ihrer Melodien betrift, einen grössern Werth auf das Urtheil eines blos geübten Ohres, als auf das Urtheil eines Meisters in der Tonkunst, setzen. Die letztern wollen ihre Erfahrenheit in der Kunst niemals verleugnen. Sie merken auf nichts als auf die Regelmäßigkeit einer Melodie, sie lauren auf glückliche Verbindung zwischen den aller widersinnigsten Uebellauten, und die sanft rührende Schönheiten schleichen unbemerkt vor ihren Ohren vorüber. |

Kann aber aus diesem allen die Folgerung rechtmäßig gezogen werden, daß das Gefühl die Mutter aller fröhlichen Empfindungen sey? Nein! wäre dieses, so hätte die weise Vorsehung ihre seligen Güter allzu ungerecht ausgetheilt. Wesen von höherer Art, würde sie zu billigen Klagen veranlasset haben. „Du hast uns mit deinem Fluche beladen, indem du uns aufgeklärte Geister verliehen hast. Wir begreifen alles deutlicher als die Wesen, die unter uns sind; elendes Vorrecht, das uns die Wege zur Lust verschleußt! Es fehlet uns an dunkeln Empfindungen, damit die untern Wesen reichlich versehen sind.“

Oder wollen wir die Ordnung umstürtzen? Sollen die die obersten Stufen der Schöpfung besteigen, die am meisten an die Sinne kleben? Sollen Engel niedriger | als Menschen, sollen Menschen niedriger als vernunftlose Thiere stehen? Soll sich die Leiter der Wesen mit den Kindern des Himmels anfangen und bis zum Wurme hinauf steigen? O Nein! nur unsre Blindheit macht die dunkle Empfindung zu einem nothwendigen Gefährten der Fröhlichkeit. In so weit es dunkeles Gefühl ist, führet es nichts annehmliches bey sich. Und Wesen, die eine grössere Mannigfaltigkeit deutlich fassen können, sind glücklicher, weil die Gegenstände mit mächtigerm Reitze auf sie würcken.

Ich habe gesagt, man würde gegen die Vorsehung ungerecht seyn, || wenn man den wesentlichen Grund eines Vergnügens in der dunkeln Empfindung suchen wollte, und ich hätte allgemeiner behaupten können; das gereinigte Vergnügen, wenn es von seiner | fleischlichen Begleiterin, von der sinnlichen Wollust abgesondert wird, müße in den positiven Kräften unsrer Seele, und nicht in einem Unvermögen, nicht in der Einschränkung dieser ursprünglichen Kräfte gegründet seyn.

Die Neigung zur Vollkommenheit muß allen denkenden Wesen ursprünglich seyn, und Gott selbst in dem allerhöchsten Grade zukommen. Hierwider hat sich ein neuer Weltweise vergangen, dessen Gedanken unsre Aufmerksamkeit verdienen. Die Sache ist voller Schwierigkeit. Wir lernen aus der Erfahrung, daß die Seele die Vorstellung einer Vollkommenheit lieber haben als nicht haben, und die Vorstellung einer Unvollkommenheit lieber nicht haben als haben wolle. Woher dieses? In welcher wesentlichen Bestimmung unsrer | Seele ist diese Eigenschaft gegründet? (b) Diesen Knoten bemühet sich unser Schriftsteller folgendergestallt ohngefähr aufzulösen. „Da das Wesen unserer Seele“, sagt er, „in einer Kraft besteht, sich die Welt vorzustellen; so muß sie sich beständig bestreben, Gedanken hervorzubringen. Sie muß sich also nach Gegenständen sehnen, die ihr eine Menge von Begriffen darbieten, und daran muß sie Gefallen finden.

Diese Begriffe müssen ihr nicht allzu verwickelt scheinen, sonst verzweifelt sie an ihrer Geschicklichkeit sie jemals fassen zu können. Ein Gegenstand, der ihr also zu versprechen scheint, sie würde die Menge Vorstellungen, die sie in ihm antrift, mit geringer Mühe entwickelen können, muß sie ungemein an sich ziehen. |

Dieses thut die Vollkommenheit. In ihr trift man eine Mannigfaltigkeit an, die übereinstimmend ist, die sich auf eine Einheit beziehet. Die Mannigfaltigkeit verspricht der Seele Beschäftigung. Sie findet eine Menge Vorstellungen, die das Bedürftniß ihrer ursprünglichen Kraft eine Zeitlang werden unterhalten können. Allein die Einheit im Mannigfaltigen verspricht ihr Leichtigkeit in der Beschäftigung. Sie wird alle mannigfaltige Begriffe gleichsam aus einem einzigen Gesichtspunkt übersehen können; es wird ihr keine sonderliche Mühe kosten, sie alle zu begreifen. Daher muß sich die Seele nach einem vollkommenen Gegenstand sehnen, und an seiner Vorstellung Gefallen finden.“ So weit der Schriftsteller. | ||

Wenn diese Erklärungsart richtig wäre; so müßte es uns zur Schwachheit gereichen, daß wir die Einheit im Mannigfaltigen lieben. Denn wenn uns die blosse Mannigfaltigkeit nicht allzusehr ermüdete; wenn wir keiner Erleichterung in unsrer Beschäftigung bedürften; so würde uns das blos Mannigfaltige mehr Lust gewähren, als wenn es von der Einheit eingeschränket wird. Allein warum ziehet der weise Schöpfer, den der Gedanke aller möglichen Welten auf einmal nicht ermüden kann, das Vollkommene dem blos Mannigfaltigen vor? | ||

Moses Mendelssohn

Подняться наверх