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Erster Brief.
Euphranor an Palemon.
ОглавлениеAllzusorgfältige Zergliederung der Schönheit stöhret das Vergnügen. Ihr Streit wider die überraschende Empfindung. Wird bestätiget, durch das Beyspiel der Verliebten, der Virtuosen und der Freunde.
Schon den vierten Abend bringe ich ohne Palemons Umarmung zu, und jeder Augenblick füllet meine Seele mit der wehmüthigen Erinnerung jenes unaussprechlichen Vergnügens, das ich in deiner Gesellschafft genossen. Die meisten Stun-|den des Tages hat mir die Nothwendigkeit geraubet. Ich nenne jede Beschäftigung Nothwendigkeit, wenn sie wider unsre Neigung streitet. Auch das lärmende Vergnügen, das Gewühl der Höfe, dahin mich mein Stand verbannet, verdienet mir diesen Namen. Wahr ists, ich verehre die Vorrechte meines jugendlichen Alters, ich bin der Freuden Liebling, aber nur der stillen Freuden, die ich in dem kleinen Bezirke meiner Freunde geniesse. Jenes prächtige Gebäude, jene vergüldete Gesellschafft scheinet mir wüster, als Palemons Einsamkeit. Jetzt bin ich des beschwerlichen Getümmels los; Jetzt kann ich mich frey in die Arme der Musse und der Betrachtung werfen. Wie glücklich, wenn ich mich auch in die Arme meines Freundes werfen könte! Und wie untröstlich, wenn Palemon nicht | die Sehnsucht nach seinem Umgang durch freundschaftliche Briefe linderte!
Erst gestern erhielt ich ein Schreiben von dir, dessen Inhalt mir heute Stof zum Nachdenken geben soll. Wie oft habe ich es entfaltet, gelesen, und wieder zusammen geschlagen! Dieser wichtige Brief verdient meine ganze Aufmerksamkeit; sein Inhalt betrift deine Glückseligkeit, und hat auf dein gantzes Leben einen milden Einfluß. Du rühmest dich, die Begriffe von der Natur des Vergnügens glücklich entwickelt zu haben, und es freuet dich, daß es dir gelungen, in die Tiefen der Empfindungen einen spähenden Blick zu thun. Nicht daß || du durch deine Entdeckungen einen eiteln Ruhm erhaschen wolltest; nein! Dich ergötzt vielmehr die Hofnung, durch sie Meister von deinen Empfindungen zu werden, | und dich in der Wahl des Guten zu befestigen. Du ladest mich zu gleichen Betrachtungen ein, und versprichst mir deine Gedanken zu eröfnen, sobald ich mich durch eigenes Nachsinnen dazu vorbereitet haben würde. Theuerster Freund! Ich liebe dich zu sehr, als daß ich alle deine Unternehmungen gut heissen sollte. Es hat Weltweise gegeben, die die Vernunft die Stöhrerin unseres Vergnügens genennt haben. Ich halte sie keinesweges dafür, allein alsdenn wird sie es gewiß, wenn sie der Entstehung des Vergnügens nachgrübelt. Unsre Glückseligkeit hangt von dem Genusse ab, und der Genuß von der überraschenden Empfindung, mit der jede Schönheit unsre Sinne dahin reißt. Unglücklich sind diejenigen, welche die Vernunft wider den Anfall einer solchen Ueberraschung abgehärtet hat. Die Lust | verschwindet, wenn wir unsre Empfindung allzusorgfältig aufzuklären suchen.
Unzähliche Beyspiele bieten sich mir an, die diese Warheit bestätigen. Wenn du bey der Erblickung einer Schönen in Entzückung geräthst; so vereinigt sich alles zu deiner Niederlage. Der harmonische Bau ihrer Glieder; ihre blendende Gesichtsfarbe, ihre feuerige Augen, und ihre reitzende Züge, stimmen in einer angenehmen Verwirrung überein, und bemeistern sich deiner Seele. Danke es dieser Verwirrung, daß sie dir nicht Zeit läßt, sie zu entwickeln. Hüte dich anstatt feuriger Augen, die Beschaffenheit der Säfte im Auge, und anstatt reitzender Minen, eine leichte Bewegung der Gesichtsmusclen zu gedenken. Den Augenblick würde dein Vergnügen sterben, und | du hättest anstatt einer trunkenen Wollust, eine Menge trockener Warheiten.
Die, welche die Schriften der unsterblichen Alten nur deswegen lesen, um sie zu zergliedern und rhetorische Figuren, so wie ein Insectenkenner die getrockneten Gerippe der Würmer, zu sammeln; sind zu bedauern. Sie erfinden die Regeln der Beredsamkeit; sie werden Gesetzgeber in den schönen Wissenschaften; aber sie empfinden die Schönheiten nicht mehr, die sie uns anpreisen. Ihr Gefühl verwandelt sich in einen logischen Schluß.
Auch die Freundschaft, diese Mutter des erhabensten Vergnügens, läuft Gefahr, wenn man die eintzelne Vorzüge, die sie zum Grunde hat, allzugenau erwegt. Ich zittere, wenn ich hieran gedenke. Wie? || Liebster Freund! Wenn du trotz meiner | Gründe auf deinem Vorsatze beharrest, wenn du durchaus nicht fühlen willst, ohne zu dencken; so drohet mir die Gefahr, in dir einen lauen Freund zu umarmen. Nein Palemon! Wenn du meine Ruhe liebst, (und du liebest sie gewiß) so entreisse mich diesen quälenden Sorgen. Entsage deinem Vorsatze, und überlasse deine Entdeckung der ewigen Vergessenheit. Ich bitte dich, ich beschwöre dich darum. | ||