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Sechster Brief.
Palemon an Euphranor.

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Ungegründete Beschuldigungen wider die Vernunft. Wider die metaphysischen Betrachtungen. Unrechtmäßige Herrschaft der Oeconomie über die speculativische Weltweisheit. Nutzen der letztern wird erhoben. Vergleichung des Vergnügens mit dem Wollen.

Es hat freylich von alten Zeiten her Gelehrte (Weltweise kann ich sie nicht nennen) gegeben, welche die Vernunft für die Stöhrerin unsres Vergnügens gehalten haben; und eben ietzt scheinet sich dieser Geist des Leichtsinns aus Franckreich über alle gesittete Völker zu verbreiten. Allein die so denken, haben die Vernunft nie gekannt. Ein Werk ihrer verkehrten Einbildungskraft, ein hülfloses Gespenst haben sie mit | dem geheiligten Namen der Vernunft eingeweihet. Sie haben diesen eingebildeten Hausgötzen angebetet, und als er ihnen seine Hülfe versagte, nach der Gewohnheit der alten Götzendiener, sein Heiligthum niedergerissen, und die taube Gottheit mit Schimpf belegt.

Wer die wahre Vernunft kennt, und in ihren Wegen wandelt, kann weder an dem Nutzen noch an der Fülle des Vergnügens zweifeln, das sich aus ihrer Quelle ergießt. Die einsamen metaphysischen Betrachtungen mögen dem Eigendünkel einiger Weltweisen noch so unfruchtbar, noch so unnütz scheinen; sie können unmöglich die Sprache der Ueberzeugung reden, oder ihr Hertz ist eben so verkehrt, als ihre Denkungsart. |

Ich habe den vermessenen Ausspruch jenes Franzosen1 nie ohne Erstaunen, oder vielmehr nie ohne eine Art von Mitleiden lesen können, der die Beschäftigung eines Reaumur, wenn er ein Mittel erfindet die Tapeten von Motten zu reinigen, höher schätzt, als die || Beschäftigung eines Leibnitz, der dem System der besten Welt nachdenckt, oder eines Bernoulli, der sich in algebraischen Rechnungen vertieft. Ist es nichts wichtiges, die entlegensten Grössen und Kräfte der Natur auszumessen, unsere Seele zu bessern, und unser Daseyn gleichsam eine Stufe höher zu setzen? Woran liegt dem Menschen mehr? wenn seinen kindischen Schmuck, wenn seinen Teppiche die Würmer zerfressen, oder wenn sein Schöpfer unvernünf-|tig handelt, wenn Frevler die Gottheit mit Recht tadeln?

Wenn die Bemühung der so genannten Goldmacher auch nicht vergebens wäre; wenn sie auch wirklich das Geheimniß erfänden, ein jedes Ertzt in Gold zu verwandeln; so würde der Stoltz noch immer lächerlich seyn, mit welchem sie die Erfindung dieses Geheimnisses den Zweck der Weltweisheit, und die würdigste Beschäftigung aller Weisen nennen. Warum erröthen denn die Gelehrten unsrer Zeit nicht, einen Wirthschaftskundigen, der den Weitzen rein zu halten lehrt, für den eintzigen wahren Weltweisen auszurufen, und sobald eine solche Dorfjunkererfindung öffentlich erscheinet, die Losung zu geben, als wäre die Weisheit bey uns eingekehrt? Geschiehet es aus Nachsicht für die Kinder der | Welt? O! So haben die Gelehrten niemals niederträchtiger geschmeichelt als ietzt.

So lange es dem Menschen an Mitteln fehlte, in der Gesellschaft anständig und wohl zu leben; waren die Weisen mit Lobeserhebungen zu belohnen, die sich so weit herunter liessen, das Volk seine Nahrung und geziemende Kleidung zubereiten zu lehren. Nunmehr haben wir zum weltlichen Wohlleben Mittel genung, und fast zu viel. Der äussere Mensch ist versorgt. Wir können uns der Mittel bedienen, die in allen Jahrhunderten sind erfunden worden. Die Natur bleibt immer eben dieselbe. Allein der innere Mensch ist unbebauet. In jedem Jahrhunderte betreten andre Menschen die Scene des Lebens. Sie müssen alle an ihrer Besserung arbeiten, unermüdet arbeiten. Sie müssen alle sich mit | würdigen Gedanken beschäftigen, und die marternden Zweifel aus ihrer Brust verbannen. Dieses Bedürftniß ist weit dringender, edler, kühner, als die Begierde nach Ueppigkeit. Wenn es wahr ist, daß das Wohlleben in der Gemüthsruhe besteht, so ist die Betrachtung der Wahrheit ein weiteres Feld zum Wohlleben, eine grössere Quelle der Glückseligkeit, als alle häußliche Mittel, die die Menschen ersinnen, ihren Zustand besser zu machen. ||

Diese Gedanken sind nicht blos die Früchte eines grüblenden Nachsinnens, daran das Herz keinen Theil nimt. Nein! Ich rede aus Empfindung, ich rede aus lebendiger Ueberzeugung.

Befrage unsern Freund, den brittischen Eudox2; der dir dieses Schreiben | überreichet. Er weis es, wie nahe ich einst dem völligen Verderben gewesen. Mein Fuß verlohr sich von dem seligen Pfad der Tugend. Mich quälten, wie höllische Furien, grausame Zweifel an der Vorsehung, ja, dir kann ich es ohne Scheu gestehen, an dem Daseyn Gottes und an der Zuverläßigkeit der Tugend. Jetzt war ich im Begriffe allen schnöden Begierden den Ziegel schiessen zu lassen. Jetzt stund ich in Gefahr, von der Wollust trunken, in den unseligen Abgrund zu stürtzen, darinn die Sclaven des Lasters stündlich tiefer sinken. Heran, Verächter der wahren Weltweisheit! Heran, seichte Denker! die ihr eine jede tiefsinnige Betrachtung für Unsinn haltet; rettet eine Seele aus dem Rachen des Verderbens. Bietet alle euere Seelenkräfte auf! Rathet! Was war zu thun? Sollte | ich die aufsteigenden Zweifel in ihrer Geburt ersticken? Wodurch? durch den Glauben? Ich Elender! Ich versuchte es, allein kann das Herz glauben, wenn die Seele zweifelt?

Die ihre Brust mit Sorglosigkeit bewafnet haben, sind vielleicht wider die Anfälle der Vernunft hinlänglich bewahrt, können ihr Herz gewisser massen zur Unterwürfigkeit zwingen. Stund es aber bey mir, mich so glücklich, oder vielmehr so unglücklich, so sclavisch zu machen? Denn welche Sclaverey ist härter als diese, wo Vernunft und Herz nicht einig sind?

Ihr verstummet? Die alles entscheidende Geschwätzigkeit ist auf einmal dahin. Euere Scheingründe haben sich wie Dünste in der Luft zertheilet, und ihr überlasset mich meinem Jammer? Dank sey jenen | getreuen Wegweisern, die mich zur wahren Erkenntniß und zur Tugend zurück geführet haben. Euch Locke und Wolf! Dir unsterblicher Leibnitz! stifte ich ein ewiges Denkmahl in meinem Herzen. Ohne euere Hülfe wäre ich auf ewig verlohren. Euch selbst habe ich nie gekannt, allein euere unvergängliche Schriften, die von der grossen Welt ungelesen bleiben, und die ich in einsamen Stunden um Hülfe angefleht, haben mich auf den sichern || Weg zur wahren Weltweisheit, zur Erkenntniß meiner selbst und meines Ursprungs geleitet. Sie haben die heiligen Wahrheiten in meine Seele gegraben, auf die sich meine Glückseligkeit gründet; sie haben mich erbauet.

Wie erstaunte unser brittische Eudox, als er nach einer jährigen Abwesenheit solche grosse Veränderungen in meinem Hertzen | wahrnahm, und wie schertzte er über den seltnen Entschluß, den ich damals gefaßt hatte, die Gefilde meines Vaterlandes zu verlassen, um die deutschen Schulen der Weltweisheit zu besuchen. Er nannte meine Bekehrung die Verwandlung eines Freygeistes in einen Schwärmer. Allein endlich gefiel ihm meine Schwärmerey; er merkte mit vieler Achtsamkeit auf die Geschichte meines Hertzens, und entschloß sich so gar eine Zeitlang mein Reisegefährte zu seyn.

In der That, was ist geschickter das menschliche Hertz zu lenken, als die Ueberzeugung von diesen Wahrheiten? In meiner Seele liegt eine Neigung zur Vollkommenheit, die ich mit allen denkenden Wesen, die ich gewissermassen mit Gott gemein habe. Wenn wir alle die Gegenstände unsres Vergnügens recht kenneten; so würde meine | Wahl mit der göttlichen übereinkommen; so würde die Wahl aller vernünftigen Wesen auf eben denselben Gegenstand treffen. Und ich soll blindlings wählen? Ich soll mir Gegenstände erlesen, die vielleicht nur den Anschein einer Vollkommenheit haben, und schmäuchlerischen Höflingen gleichen, die unter dem falschen Schein der Freundschaft auf das Verderben eines unerfahrnen Printzen lauern?

In mir liegt eine unwiderstehbare Neigung zur Vollkommenheit, ein sehnliches Bestreben nach Begriffen, die in einander gegründet sind, und dieses würdige Bedürftniß meiner Seele soll ungesättigt bleiben? Ich soll die Urquelle aller Vollkommenheiten, ich soll Gott verlassen, und auf meinen blöden Eigendünkel bauen?

Wer ist so verkehrt, den diese Bewegungs-|gründe nicht rühren? Und wie sehr muß sich das Innerste eines Ruchlosen bewegen, wenn er Gewalt genung über sich hat, diese Betrachtungen in Erwegung zu ziehen!

Hier hast du einen Vorschmack, theuerster Euphranor! von dem Nutzen, von dem unschätzbaren Vergnügen, das das Nachsinnen über unsre Empfindung gewähren kann. Freylich nur für diejenige, deren Hertz Antheil an ihren Betrachtungen nimmt. Kleine Geister, die sich der Weltweisheit nicht um ihrer selbst, sondern eines feilen Ge-||winnes halber widmen, können unmöglich in ihr diese göttliche Beruhigung finden; und von ihnen nur rühren die unseligen Klagen über die Unnützlichkeit der metaphysischen Grübeleyen her.

Bisher habe ich nur das reine Vergnügen, nur die Lust erwogen, die in unsrer Seele | über das anschauende Erkenntniß einer Vollkommenheit entsteht. Die fleischliche Wollust, die Wallung des Geblüts, die Bewegung der Gliedmassen, die alles Vergnügen hienieden unaufhörlich begleiten, habe ich von seiner Seite getrennt. So wie ich dir das Vergnügen vor Augen gelegt habe, ist es nur dem Grade nach von dem Wollen unterschieden. Auch der Wille setzt ein Gut, eine Beförderung unsrer Vollkommenheit zum Grunde, ohne welche unsre Wahl ewig unbestimmt bleibt. Nur in der Heftigkeit des Verlangens ist der Gegenstand des Vergnügens von dem Gegenstande des Willens unterschieden. Die wesentlichen Stücke, die von beyden unzertrennlich sind, bestehen

In der Betrachtung des Gegenstandes, seiner mannigfaltigen Theile, und ihrer Verknüpfung. |

Der Betrachtung folget das Urtheil, dieser Gegenstand ist gut.

Diesem Urtheile folget das Verlangen, oder das zweyte Urtheil: Ich will diese Vorstellung lieber haben als nicht haben.

Alle diese Begriffe liegen in dem Augenblicke, da wir uns entschliessen, in unsrer Seele. Ein wenig Achtsamkeit wird sie dich darinn empfinden lehren. Befrage deine Gedanken in einsamen Stunden. Sie bleiben uns selten die Antwort schuldig, wenn nur das Getümmel der Weltgeschäfte uns nicht verhindert ihre Stimme zu vernehmen. | ||

Moses Mendelssohn

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